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Verwandlungskünstler der musikalischen Neuzeit

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Er galt von Anfang an als einer der originellsten Komponisten. Das Publikum bewunderte seinen gescheiten Witz und seinen Spürsinn für Aktualität. Kritiker sagten schon dem 22jährigen nach, daß er wie kaum ein anderer die Gegenwart auf die Opernbühne geholt hätte.

Kf enek wurde 1900 in Wien geboren, war Paradeschüler Franz Schrekers, dann erfolgsverwöhnter, vielgespielter Komponist, der 1937 zeitgerecht nach Los Angeles emigrierte. Welche Werke fallen dem Musikfreund bei Nennung des Namens Ernst Kfenek ein? Natürlich „Jonny spielt auf”, seine 1927 in Leipzig uraufgeführte Jazzoper — ein Welterfolg; dann „Karl V.”, jenes monumentale Auftragswerk der Wiener Staatsoper (1933), dessen Uraufführung in Wien zuerst durch politische Intrigen verhindert und dessen Erstaufführung dann durch unverständliche Laxheit und Desinteresse der Operndirektoren um fast fünfzig Jahre verschleppt wurde. Beide Werke demonstrieren, was man unter Kfeneks „Spürsinn für Aktualität” zu verstehen hat.

Kfenek, der Verwandlungskünstler, der sich gerade von der schwülen Klangsinnlichkeit und Fin-de-siecle-Mentalität Schrekers gelöst hatte, stürzte sich mit seinem ersten Streichquartett und den ersten beiden Symphonien mit „rasanter Aktivität” in den musikalischen Expressionismus. Er huldigte der,.linearen Atonali-tät”. Aufenthalte in der Schweiz und in Frankreich führten zum nächsten Umschwung in dieser wilden Sturm-und-Drang-Periode. „Jonny” entstand, eine Liebeserklärung an den Sweet-Mu-sicman. Ein Neger, der auf der Opernbühne singt und tanzt. Jazzrhythmen blitzen.

Sechs Jahre später „konvertiert” Kfenek, angeregt durch Schönberg-, Berg- und Webern-Studien, zur Zwölftontechnik. In literarischen und theoretischen Studien schuf er sich Klarheit. „Karl V.” stand als vollendet gestaltetes Monument am Anfang dieser „musikalischen Neuzeit”.

Verfolgt man den atemberaubenden Zickzackkurs und die Erfolgslinie der Werke Kfeneks seit seiner szenischen Kantate „Zwingburg” von 1922 (nach einem Text Franz Werf eis eine Auseinandersetzung mit der sozialen Frage), sieht man sich unversehens einem wahren „Erfinder” gegenüber. Die Überraschungen reißen bei ihm nicht ab.

Jahre vor Strawinskis „Odipus Rex” erkannte er die Möglichkeiten der Oratorienoper, 1923 folgte der „Sprung über den Schatten”, eine grelle politische Satire, dann Konversationstheater. 1926 „Orpheus”, nach einem Text Kokoschkas: antiker Mythos, aufgelöst in subtile psychologische Analyse. „Jonny” zeigte einen neuen Kurs an. 1930 holte er im „Leben des Orest”, einer „großen Oper”, den mythischen Stoff auf die Straße, Heroen im wilden Treiben der Gewalten.

Kfeneks amerikanische Zeit war die Zeit der Zwölftontechnik. Doch auch da sorgte der findige, geistreiche Meister für Überraschungen. Symphonien, Solokonzerte, Lieder, seine „Sistina”: ein gewaltiges Register an Werken, die bald lyrischer-expressi-ver Ausdruckskunst, bald geistvollem Zwölftonkalkül zuneigen. Aber überall wird der Lyriker Kfenek spürbar, der durch die Lyrik als Leitfaden all die „entgegengesetzten Entwicklungsstufen vereinheitlicht und ihrer maske-radenhaften Rätselhaftigkeit” entkleidet.

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