6800297-1971_31_02.jpg
Digital In Arbeit

„Verzerrte Perspektiven“

Werbung
Werbung
Werbung

Wolf In der Maur schrieb in der „Furche“ Nr. 28 über das Problem der Berichtigung von Rundfunk- und Fernsehsendungen. Das Thema hat, weil von zeitlos fundamentaler Bedeutung, Anspruch auf umfassende Diskussion. Zu In der Maurs Beitrag nimmt der Generalsekretär des ORF, Dr. Paul Twaroch, Stellung.

Zu Wolf In der Maurs „Intransparenter Transparenz“ sei es einem „gewissenhaften Juristen“, dem die „Haare nicht zu Berge stehen“, gestattet, zu erwidern. Die Hauptvorwürfe von Wolf In der Maur lauten, der ORF sei sein eigener Gesetzgeber, er werde zum Richter in eigener Sache, entscheide eininstanzlich und lebe in Fragen der Berichti- gungspflicht „quasi ex lex“.

, Anlaß für diese Fülle von Behauptungen ist die Tatsache, daß es der ORF gewagt hat, sich mit Wirkung vom 1- Juli 1971 in einer für das österreichische Rundfunkrecht erstmaligen Art öffentlich und bindend gegenüber jedermann zu verpflichten, unentgeltliche Berichtigungen von Tatsachenbehauptungen vorzunehmen, wenn diese objektiv unrichtig waren. Um der Sache willen soll darauf verzichtet werden, die Polemik des Artikels durch eine Gegenpolemik zu widerlegen.

Der Autor führt selbst aus, daß der ORF nicht verpflichtet wäre, Richtlinien für Berichtigungen zu erlassen, da keine gesetzlichen Bestimmungen ihn dazu zwingen. Wenn der ORF trotz dieses Rechtszustandes dazu bereit ist, dann sollte dies nicht als ein negativer Akt diskriminiert werden.

Da auch bei sorgfältigster Vorprüfung, wie Sie beim ORF durch das in Ausführung des Paragraph 1 des Rundfunkgesetzes ergangene Informationsstatut genau geregelt ist, in Einzedfällen unrichtige Mitteilungen erfolgen können, haben in einer Reihe von europäischen Staaten die Rundfunkanstalten eigene Regeln für die Durchführung von Berichtigungen aufgestellt. Es sei hier insbesondere auf die Schweizer Regelung verwiesen, die an den wesentlichen Punkten den Richtlinien des ORF entspricht. Bei der Formulierung der Richtlinien des ORF wurden auch die Regelungen der nordischen Rundfunkanstalten (Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden) herangezogen, die alle die vom Autor so gerügten Formulierungen enthalten.

Der Vorwurf, der ORF sei in der Frage, was objektiv unrichtig ist.

Richter in eigener Sache, ist vom juristischen Standpunkt aus völlig unrichtig, da die Richtlinien des ORF ein verbindliches Angebot darstellen, zu dessen Erfüllung er bei Vorliegen der Voraussetzungen gezwungen werden kann. Sollte daher ein Be- richtigungswerber eine objektive Unrichtigkeit berichtigt haben wollen und der ORF diesem Antrag nicht nachkommen, so steht es dem Antragsteller frei, den ORF bei den ordentlichen Gerichten auf Erfüllung seines Angebotes zu klagen. Dem ORF stehen im Verfahren vor den

Zivilgerichten keinerlei Präferenzen und Begünstigungen zu. Die beiden Parteien agieren in einem solchen Fall im Rahmen der Normen des Zivilprozesses als völlig gleichberechtigte Partner. Für den Fall des Ob- siegens steht dem Berichtigungswerber selbstverständlich auch das Recht zu, seinen Anspruch notfalls zwangsweise gegen den ORF durchzusetzen.

Von einer eiminstanzlichen Entscheidung des ORF ist ebensowenig die Rede wie vom Fehlen einer Berufungsinstanz. Es bleibt den Parteien selbstverständlich unbenommen, den vollen Instanzenweg auszuschöpfen, der im Regelfall drei

Instanzen umfassen wird. Dieser ordentliche Rechtsweg wurde bei der Regelung der Berichtigungen in nordischen Staaten ausgeschlossen und die Entscheidung einem eigenen Schiedsgericht, das von der jeweiligen Rundfunkanstalt und dem Justizministerium beschickt wird, übertragen. Es bleibe dahingestellt, ob ein solches Entscheidungsforum in Österreich der Entscheidung durch unabhängige Gerichte vorzuziehen wäre.

Die als „reichlich Kautschuk" gerügte Formulierung, daß der Antragsteller ein berechtigtes Interesse nachweisen muß und durch die unrichtige Mitteilung eine wesentliche Beeinflussung der Interessensphäre — nicht Intimsphäre, wie im Artikel angeführt — herbeigeführt werden muß, findet sich auch in den freiwilligen Richtlinien der Schweiz und der nordischen Staaten; schließlich auch im Rundfunkgesetz der Niederlande. Entgegen der Meinung des Autors würde im Streitfall sehr wohl das ordentliche Gericht das Vorliegen dieser Voraussetzungen überprüfen.

Daß der ORF in seinen Richtlinien die Verpflichtung zur Berichtigung von Äußerungen Dritter ablehnt, wird im Hinblick auf die allgemein als unbefriedigend angesehene presserechtliche Situation wohl selbstverständlich sein. Dazu kommt noch, daß der ORF zum Unterschied von der Presse durch das Rundfunkgesetz verpflichtet ist, derartige Äußerungen im Rahmen der Parlamentsberichterstattung und der Belangsendungen wiederaugeben.

Nicht zu übersehen, daß etwa bei Live-Sendungen der ORF nur der technische Träger von Äußerungen Dritter ist, die im Augenblick ihrer Abgabe weder redigiert noch verhindert werden könnten.

Schließlich ist der ORF legistisch nicht sich selbst überlassen und hat auch kein „ursächlich parteipoliti- tisches Aufsichtsstatut“. Beide Vorwürfe gehen an der parlamentarischen Wirklichkeit ebenso vorbei wie ‘an den Regeln des Rundfunksgesetzes und des Gesetzes über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Es bedarf auch keiner weiteren Ausführungen, daß auch der ORF selbstverständlich sich seine Gesetze nicht selbst machen darf. Seine Eigentumsverhältnisse sind transparent, sein Einkommen ist nachrechenbar, seine Werbeeinkünfte sind gesetzlich limitiert und seine Gestion wird vom Rechnungshof und von einer unabhängigen Prüfungskommission überprüft. Sein Aufsichtsrat spiegelt vor allem die föderalistischen Strukturen dieses Landes und die gesellschaftlich relevanten Kräfte wider. Wer die parteipolitische Zusammensetzung anderer Aufsichtsräte kennt, der weiß, daß damit eine für österreichische Verhältnisse wohl einmalige Zurück- drängung des Einflusses der politischen Parteien und ihrer Sekretariate geglückt ist.

Mit anderen Worten, der Österreichische Rundfunk lebt nicht „ex lex“, sondern ex lege und hat hiebei auch nichts zu verbergen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung