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Verzwickte Lage

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Sage keiner, engagierter Bundfunk sei sinnlos - oder wortreiche Sendungen hätten keine Hörer. Sicher haben sie weniger als die Musikberieselungsprogramme, doch führen sie mitunter zu Wirkungen über den Tag hinaus. Kultur- und Literatursendungen aus Westberlin (SFB, RIAS) dürften in Berlin/Ost im allgemeinen ohnehin mehr Hörer haben als in Berlin/ West. Hier wirken solche Programme als Ausgleich für ein nicht vorhandenes Feuilleton im täglich verabreichten Zeitungsersatz.

Daneben gibt es aber spezielle Hörer, von denen ich nicht weiß, ob sie immer noch in der Abteilung „Monitor“ beimRundfunk der DDB versammelt sind. Vorjahren sprach ich mit einem dort arbeitenden Ex-Dichter, der sich freute, Kultursendungen bundesdeutscher Funkanstalten mitschneiden und auswerten zu dürfen. Mit Spezialantennen würden alle erfaßt, aber nur bei den Westberlinern würde alles mitgehört. Bei den anderen treffe man eine Vorauswahl nach Programmzeitschriften - alles, was sich irgendwie mit der DDB befaßt. Leider vergaß ich nach dem ORF und dem Schweizer Funk zu fragen Von dem Mitgeschnittenen jedenfalls wird dann einiges archiviert und protokolliert.

Ich kenne den Brisanzschlüssel nicht, nach dem dem gesendeten Wort die Ehre widerfährt, in's Geschriebene rückübersetzt zu werden Sauber abgetippte Manuskripte entstehen so, jeder Ursprungssender nähme mit Freudensprüngen derart korrekturarme Arbeiten seiner Autoren entgegen. Wichtige kulturpolitische Sendungen zeichnet mansicher vollständig auf, selbst ohne Registrierung der Musik zwischen den Wortbeiträgen eine großartige Leistung für die forschende Nachwelt...

Und was geschieht mit den Mitschriften? Nach einem differenzierten Interessentenschlüssel vervielfältigt man sie, Kopien gehen an Mitarbeiter von Ministerien, in den Partei- und Staatsapparat. Erst das garantiert Wirkung über den Tag hinaus.

Am 30. Mai 1989 bekam ich eine Ablichtung einer Mitschrift meiner Kurzlesung vom 10. Mai in einem Westberliner Sender zu sehen. Dauer: Zwei Minuten. Ort: „Journal in 3“, ein Kulturjournal im Kulturprogramm des Senders Freies Berlin, von Konservativen oft angegiftet. Zwei Mitarbeiter des Ministeriums für Kultur reichten mir die Kopie mit der Frage, ob ich deren Inhalt kenne. Natürlich erkannte ich die Passage aus meinem Buch „Berlin-Ost - die andere Seite einer Stadt“ wieder, sie paßte auf eine Seite, Ein paar Satzzeichen waren falsch wiedergegeben, das lag wohl an mein er schlechten Betonung. Der Redakteur hätte doch beim Hinweis auf die Neuausgabe des zusammen mit dem Fotografen Harald Hauswald herausgegebenen Foto-Text-Bandes den Verlagsnamen mitsenden sollen. Eine Kopie der entsprechenden Seite hätte genügt - Seite 121, Ausgabe in der Harenberg Edition, die letzten beiden Sätze auf der Seite gehören nicht dazu. Dies als Hinweis für den diesmal zum Abtippen abkommandierten Mitarbeiter I

In dem Gespräch vom 30. Mai erfuhr ich einen Beschluß, der über diese Seite gefaßt worden war. Er beanspruchte nur einige Zeilen. Ich hörte etwas über die Bösartigkeit meiner geschriebenen und im Funk verlesenen Worte, verleumderisch, feindlich seien sie - und wieder einmal ahnte ich, warum die Verhältnisse hier bissige Arroganz (mit Drang zum Größenwahn) oder tief verinnerlichte Minderwertigkeitskomplexe erzeugen. Wo gibt es noch ein Staatswesen, das sich mit formulierten Sätzen so zu beschäftigen weiß?

Einer hört mit, einer entscheidet, was zum Abtippen herausgefiltert wird, einer fertigt den Auszug an, tippt ihn hörend ab, einer archiviert das Band, einer kopiert das Blatt, ein Vorgesetzter prüft das Ergebnis, einer verteilt die Kopien in entsprechende Umschläge, einer oder mehrere machen s ich damit auf den Weg. Andere lesen den Text und diskutieren mit anderen darüber. Die einen (zum Beispiel der Jugendverband, auf den sich die Worte beziehen) drängen auf Maßnahmen gegen den Verursacher der Zeilen. Andere, zum Beispiel aus dem Ministerium für Kultur, halten das für unklug -hat man den Verfasser doch gerade erstmals in ein westliches Land reisen lassen: nach Wien, wo er einen Preis für den Text jenes Buches entgegennehmen durfte, aus dem die nun als so störend empfundene Passage stammt. Wie hoch in der Hierarchie das vervielfältigte Blatt zur Beschlußfassung zirkuliert, weiß ich nicht. Jedenfalls beschließt ein Gremium, das Ministerium für Kultur übermittelt die Maßnahme, die zuvor wieder auf einem Blatt notiert, kopiert und verteilt worden ist. Die Reaktion des Autors müssen die Übermittelnden ebenfalls zusammenfassen—ein Blatt genügt... Ich hoffe für jede Kultursendung, daß sie in Berlin/ West mindestens so viele konzentrierte Hörer hat wie jener Beitrag hier inzwischen Leser bekam. Und wie wirkte das Wort nun über den Tag hinaus? Für mich erst einmal so, daß mir ein unbefristetes Reiseverbot für alle westlichen Länder verkündet worden ist - von jenen Mitarbeitern, die zwei Wochen zuvor meinten, nach Wien würde auch an der Genehmigung anderer Anträge gearbeitet.

Sage keiner, im Apparat bewege sich nichts. Jedenfalls muß ich die von der Harenberg Edition organisierte Lesereise absagen. Verlegen muß ich die Gastdozentur in Bamberg; die Vorlesungen zur eigenen Poetik und dem im Herbst erscheinenden Gedichtband „Zärtlich kreist die Faust“ werden hoffentlich im November/Dezember stattfinden können. Verschieben muß ich den Erscheinungstermin der Anthologie „Revolte der Sinnlichkeit? Neue Tendenzen in Kunst und Literatur der DDR“, wichtige Fragen der Gestaltung wären nur noch im Peter-Seiinka-Verlag selbst zu klären gewesen...

Doch ich versuche, der Aufenthaltsnötigung auch positive Seiten abzugewinnen. Erlebe ich hier doch so eher Dinge, zu denen ich spöttische literarische Kommentare verfassen und im Funk verlesen kann. Mit der Gewißheit, nicht ungehört im Äther zu verhallen. Außerdem verschafft das Verbot die Gelegenheit, die fragliche Passage zumindest gekürzt nochmals zu zitieren. Der Leser hat ein Recht zu erfahren, für welche Texte man in der DDR Reiseverbot bekommen kann.

Der vorgetragene Auszug aus dem Buch handelte vom Alkoholismus während einer Großveranstaltung des Jugendverbandes. Blauhemden grölen zu einem alten Lied einen eigenen Text: „Sauf aus! Sauf aus! Freie Deutsche Jugend - sauf aus!“ Zwei Polizisten patroullieren lächelnd vorbei.

DieseBeobachtung veranlaßt eine Meditation über die Berechenbarkeit hiesiger Strafverfolgung. Sie soll auch diesen Text beenden, kündet sie doch zutreffend von der real existierenden politischen Flexibilität:

„Solche Parodie auf ein schulbekanntes Auf baulied aus der Gründerzeit der DDR erfüllt Straftatbestände, .öffentliche Herabwürdigung gesellschaftlicher Institutionen' bringt drei Jahre Gefängnis, im Ausland vollzogen bis zu fünf. Als .staatsfeindliche Hetze' interpretiert, wäre es mit acht Jahren zu ahnden, planmäßig oder im Zusammenwirken mit feindlichen Institutionen gesungen mit zehn. Da könnte man das Absingen sogar als Jandesverräterische Nachrichtenübermittlung' deuten, was möglicherweise zu zwölf Jahren verhilft.

Aber genug davon. Denn hier schmunzelten die Polizisten. Ein Lächeln oder ein Ermittlungsverfahren - je nachdem, wer es wann wo anstimmt.“

Der Autor, Erzähler und Lyriker, lebt in der DDR.

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