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Viel Einsatzwille, wenig Prestige"

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Seit fast zehn Jahren werden auch in Österreich Altenhelfer ausgebildet. Aber nach wie vor gibt es für den neuen Sozialberuf kaum öffentliche Anerkennung.

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Seit fast zehn Jahren werden auch in Österreich Altenhelfer ausgebildet. Aber nach wie vor gibt es für den neuen Sozialberuf kaum öffentliche Anerkennung.

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Drei Stunden liegt die alte Frau schon auf dem Fußboden ihrer kleinen Altbauwohnung. Bei einem Sturz hat sie sich verletzt und schreit nun von Zeit zu Zeit laut auf, voller Schmerzen. Keiner hört sie — oder will sie hören. Die alte Frau lebt allein. Sie ist einsam. Und ein wenig herrschsüchtig auch. Mit den Nachbarn im Haus, eigentlich mit ihrer ganzen Umgebung ist sie seit langem zerstritten.

Eine junge Frau läutet. Hinter der Tür beginnt die alte Frau wieder zu schreien. Bei der Nachbarin liegt ein Schlüssel, für den Fall des Falles, weiß die junge Frau. Aber die Wohnung der alten Frau ist von innen zugesperrt, und die Schlüssel stecken im Schloß.

Die Feuerwehr wird gerufen, die Tür aufgebrochen. Dahinter findet man die alte Frau, zusammengekauert und noch immer vor Schmerzen wimmernd.

Rettung und Notarzt kommen. Die Polizei ist auch zur Stelle. „Die is' jo angschissen", stellt der Arzt fest und fragt die alte Frau: „Wollen'S in a Spital?"

Die junge Frau besteht auf die Einlieferung. Etwas widerwillig helfen die Helfer der jungen Frau beim „Abwaschen" der alten Frau. Die junge Frau packt das Notwendigste — Medikamente und Geldbörse — zusammen und begleitet den Transport der alten Frau ins Krankenhaus. Erste Diagnose nach der Aufnahme: Prellungen. Und nach drei Tagen schließlich stellt sich heraus: Schulterluxation.

Mehrere Male hat die junge Frau seither die alte Frau im Krankenhaus besucht. „Ich muß ja schaun, daß sie mir dort wieder soweit hergestellt wird, daß ich sie nicht als Pflegefall zurückbekomme. Denn dafür fehlt mir ja die Zeit."

Die junge Frau heißt Ingrid Le-genstein, Jahrgang 1961, von Beruf Altenhelferin.

Seit September des Vorjahres arbeitet sie in der Pfarre St. Johann Evangelist am Keplerplatz in Wien-Favoriten.

Nach der Matura begann die gebürtige Niederösterreicherin zunächst einmal Geschichte zu studieren. Zwei Semester haben ihr dann schließlich gereicht. So rasch wie möglich wollte sie nun in einen Beruf, mit möglichst kurzer Ausbildungszeit.

Schon während des Studiums hatte sie nebenbei in einem Altersheim gearbeitet. Und dort hörte die Ex-Studentin auch von einer „Fachschule für Altendienste" der Caritas. Sie bewarb sich mit dem festen Vorsatz, nach Absolvierung der einjährigen Fachausbildung als fix angestellte Altenhelferin in die geschlossene Altenbetreuung, sprich Altersheim, zurückzukehren.

Erst die intensive Ausbildung an der Schule und nicht.zuletzt ihre Erfahrungen im Altersheim selbst ließen in der angehenden Altenhelferin immer stärker den Wunsch nach Beschäftigung in der offenen Altenarbeit aufkommen — also der Betreuung älterer Menschen in ihrer gewohnten Umgebung und nicht im Ghetto eines Alters- oder Pflegeheimes.

Und genauso überzeugt ist Ingrid Legenstein heute davon, daß für die Arbeit mit alten Menschen eine Spezialausbildung notwendig ist: „Früher hat man doch immer geglaubt, für die Betreuung alter Leute genügen ein gutes Herz und ein gesunder Hausverstand."

Wie überhaupt der Beruf des Altenhelfers kaum öffentliche Anerkennung genießt — auch heute noch.

Was sich etwa in der Einstufung bei Anstellungen niederschlägt. ,Jch rangiere da so unter den Putzfrauen", beantwortet die Favoritner Altenhelferin eine diesbezügliche Frage, „aber viele Kolleginnen werden auch noch unter mir eingestuft."

Ingrid Legenstein ist Angestellte der Erzdiözese Wien, die gemeinsam mit der Pfarre für ihr mageres Salär aufkommt.

Dennoch ist sie zufrieden. Einmal, daß sie überhaupt — als einzige ihres Jahrganges — eine Stelle in der offenen Altenhilfe bekommen hat. Und zum anderen, daß sie es in relativ kurzer Zeit geschafft hat, viele Vorurteile und Mißverständnisse aus dem Weg zu räumen.

Vorbehalte gab es sowohl in der Pfarre — nicht nur deswegen, weil eine hauptberufliche Altenhelferin eine zusätzliche finanzielle Belastung bringt.

Vorbehalte gab es aber auch auf Seiten der bestehenden öffentlichen sozialen Einrichtungen, mit denen die junge Altenhelferin nunmehr kooperieren wollte. So versteht sie sich vor allem auch als Animator für die Entwicklung von mehr sozialem Bewußtsein in der Pfarre selbst und als Koordinator der diversen öffentlichen Hilfsangebote.

„Ich versuche, alles einzusetzen, was es von der Gemeinde her gibt. Ich nehme da niemandem Arbeit weg. Mir bleibt auch so noch genug zu tun", weist sie die Arbeitsplatzängste von Sozialarbeitern und Krankenschwestern zurück.

Und nach anfänglichen Schwierigkeiten funktioniert die Zusammenarbeit an der Basis heute bestens. Individualfürsorge, mobile Schwestern und Hausärzte wissen die Arbeit der Altenhelferin längst zu schätzen.

Nicht minder beschwerlich gestaltete sich auch der Abbau von Mißtrauen der alten Leute selbst. Im Herbst, als Ingrid Legenstein in die Pfarre gekommen ist, hat sie „ganz simpel" angefangen, mit Hausbesuchen von Tür zu Tür. Und nicht einmal wurde ihr dabei die Tür vor der Nase zugeworfen mit den Worten „Ich will mit der Fürsorge nichts zu tun haben."

Aber nach und nach konnte sie das Vertrauen der alten Menschen erwerben.

In den regelmäßigen Hausbesuchen sieht die Altenhelferin denn auch die einzige Chance, an die wirklich Hilfebedürftigen heranzukommen. „Es gibt zwar vereinzelt Hilfeschreie, aber die sind doch eher selten. Normalerweise neigen ältere Menschen in Schwierigkeiten dazu, sich noch mehr abzukapseln."

Momentan betreut Ingrid Legenstein ständig so 10 bis 15 Personen. Für mehr bleibt kaum Zeit. Deshalb trachtet die Altenhelferin, wenn sie einmal eine funktionierende Beziehung aufgebaut hat, so rasch wie nur möglich für die weitere Betreuung und regelmäßige Besuchsdienste freiwillige Helfer aus der Pfarrgemeinde zu gewinnen.

Sorgen bereitet der Altenhelferin das offenbar unvermeidliche Gerangel mit der Sozialbürokratie. Obwohl die Alten meist recht gut über ihre Rechte informiert sind, macht sich nach einer ersten Konfrontation mit dem Behördendschungel sehr bald Resignation breit. „Die alten Leute merken, daß es verdammt lange dauert, bis sie auch zu ihrem Recht kommen."

Frau Riegler etwa, schwerst bewegungsbehindert, kann ihre Wohnung nicht mehr verlassen. Sie ist auf die Hilfe von Nachbarn angewiesen. Jetzt muß ihr Ingrid Legenstein mitteilen, daß ihr Antrag auf Hilflosenzuschuß zum dritten Mal abgelehnt worden ist.

Aber nicht allein über diese Enttäuschung hilft ihr die junge Frau aus der Pfarre hinweg. Seit ihrem ersten Besuch im Jänner möchte die 75jährige, alleinstehende Frau den Kontakt mit der Altenhelferin nicht mehr missen: „Frau Legenstein ist mir eine wirklich liebe Freundin geworden."

Und die Altenhelferin selbst möchte ihren Beruf nicht gegen einen anderen eintauschen. Woher sie denn die Kraft für ihre bisweilen aufreibende, den ganzen Menschen beanspruchende Tätigkeit nimmt? Ingrid Legenstein: „Ohne gute Freunde, aber viel mehr noch, ohne meinen Glauben würde ich das nicht schaffen."

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