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Viel Feind, aber noch wenig Ehre für Rabin

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Im Juli wird die Regierung Rabin ein Jahr alt. Dies ist zwar nur ein Viertel ihrer Kadenz, aber doch ein Datum für eine erste Bilanz von Erfolgen und Mißerfolgen.

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Im Juli wird die Regierung Rabin ein Jahr alt. Dies ist zwar nur ein Viertel ihrer Kadenz, aber doch ein Datum für eine erste Bilanz von Erfolgen und Mißerfolgen.

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Zunächst muß als größter Mißerfolg erwähnt werden, daß es trotz aufrichtiger Bemühungen keinen Durchbruch bei den Gesprächen mit den Palästinensern gab. Das war die eigentliche Raison d'Etre der Rabin-Regierung, die antrat, um zu einem modus vivendi mit den Palästinensern zu kommen. Inzwischen mußte sogar Rabin seiner Enttäuschung Ausdruck geben, al s er vor einem Jahr sagte, man könne im Laufe von sechs bis neun Monaten ein Abkommen unter Dach und Fach bringen.

Nachdem die zehnte Gesprächsrunde vorüber ist und Hunderte Stellungspapiere, Interviews und Vermittlungsversuche abgelaufen sind, ist klar, daß ein rascher Abschluß ein Ding der Unmöglichkeit ist. Obwohl am echten Friedenswillen beider und ihrer Delegationen kein Zweifel herrscht, sind die unterschiedlichen Ziele derzeit kaum zu überbrücken. Die Palästinenser streben nach einem unabhängigem Staat - und zwar sofort! -, während sich Israel auf eine Übergangsperiode von fünf vertrauenbauenden Jahren einer palästinensischen Autonomie festgelegt hat. Erst danach soll von neuem über den Status der besetzten Gebiete verhandelt werden.

Bereits heute haben sich die Verhandlungen von dem in Madrid so hoffnungsvoll begonnenen Beginn zu Gunsten der palästinensischen Vorstellungen weit entfernt. Genau dies wird ja Rabin von Seiten der starken Opposition tagtäglich vorgeworfen. Die palästinensische Delegation, die von Tunis aus per Fernschaltung geschickt von Arafat manipuliert wird, ist untereinander uneins, hat praktisch keine Vollmacht und es wird ihr innerhalb ihres eigenen palästinensischen Lagers von Seiten der fundamentalistischen Opposition jedwede Legitimität verweigert. Da beide Verhandlungspartner keine volle Rückendeckung im eigenen Volk haben, sehen sich beide Seiten gezwungen, zu spektakulären aber auch überflüssigen Auftritten, mit dem propagandistischen Auge auf die Medien und Öffentlichkeitsarbeit Zuflucht zu nehmen. Andererseits wäre es durchaus denkbar, daß in Sitzungen in einer permanenten Geheim-Klausur, wie es der Fall bei Begin, Sadat und Carter in Camp-David der Fall war, weitaus mehr erreicht werden könnte.

Ewiger Zankapfel Jerusalem

Trotz allem Gesagten haben beide Delegationen eine breite Agenda behandelt und sind sich dennoch in einigen nicht unwichtigen Fragen näher gekommen. Momentan scheint das Haupthindernis Jerusalem zu sein, ein Thema, über das die beiden Verhandlungspartner in Madrid übereinkamen, es wegen seiner Kompliziertheit auszuklammern. Allein an dieser Frage können die Gespräche scheitern.

Die echte Annäherung, die im Laufe des ersten Rabin-Jahres erreicht wurde, ist die mit Jordanien, Syrien und dem Libanon, aber keiner dieser drei ist bereit, ohne die Palästinenser einen Separat-Vertrag zu unterschreiben. Rabin meint, mehr Geduld und Zeit seien notwendig und vor allem gute Nerven seien jetzt gefragt. Der Weg zum Frieden, meint Rabin, sei „unabwendbar”. Von dem einmal eingeschlagenen Weg, sagt er, können wir nicht mehr zurück.

Die lautstarke und immer mehr militante Opposition macht der Regierung zu schaffen, besonders seit „Bibi” Netanyahu zum Führer des Li-kud gewählt wurde: fast jeden Tag kommt es zu Demonstrationen, die manchmal ununterbrochen fünf Tage lang dauern.

Mit der Behauptung, Rabin habe gar kein Mandat erhalten, die Golan-Höhen an Syrien zurückzugeben sowie mit der zweiten Behauptung, Rabin basiere „seinen Verzichtfrieden” nur auf einer hauchdünnen parlamentarischen Mehrheit, in der die arabischen Stimmen den Ausschlag geben, während angeblich die meisten jüdischen Abgeordneten gegen die „Verzichtspolitik” eingestellt seien soll die Regierung des Verrats bezichtigt werden. Die Situation ist derart explosiv, daß der Generalsekretär der Arbeiterpartei, Nissim Zwilli, schon von einer „Gefahr eines Bürgerkriegs” sprach.

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Allerdings hilft diese heftige Opposition paradoxerweise in einer Hinsicht Rabin. Denn sowohl die Araber, als auch die USA sehen tagtäglich, wie schwer sich jedesmal Rabin durchsetzen muß und daß er, bei den fast jede Woche eingebrachten Mißtrauensvoten, auch einmal straucheln könnte und dann: Friedensprozeß Ade! Gerade die militante Opposition hilft Rabin auf indirekte, wenn auch ungewollte Weise im Ausland.

Offenbar kann man picht in Windeseile von nur einem Jahr einen so schwierigen und viele Jahrzehnte andauernden politischen, religiösen, nationalen, mentalen und kulturellen Konflikt, wie er zwischen den Israelis und den Palästinensern besteht, abbauen, geschweige denn lösen.

Die Regierungs-Koalition der Arbeiterpartei mit der linken „Meretz” und der orthodoxen „Schass”-Partei bleibt weiterhin ei Sorgenkind Ra-bins. Jedenfalls hat er an Popularität eingebüßt, nicht zuletzt wegen seines introvertierten, kontaktarmen und meist ernst-düsteren Auftretens. Dennoch knüpft auch heute die Mehrheit der Israelis ihre Hoffnungen an ihn, im Glauben, was nicht in einem Jahr erreicht werden konnte, immer noch in Zukunft mit und durch Rabin erreicht werden kann.

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