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Viel Kommission fiir wenig Steuerreform

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Was immer an Steueränderungen in den letzten Monaten an Finanzminister Hannes Androsch herangetragen wurde, blockte der nationale Kassenwart stereotyp ab: Jetzt arbeite die Steuerreformkommission und diese dürfe man nicht prä- judizieren. Sich selbst genehmigte Androsch eine Ausnahme: In den nächsten drei Jahren, so sein vorerst letztes Wort, werde es keinerlei Steuerentlastung geben. Die mit der Arbeit der Steuerreformer geweckten Erwartungen scheinen sich nicht zu erfüllen. /

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Was immer an Steueränderungen in den letzten Monaten an Finanzminister Hannes Androsch herangetragen wurde, blockte der nationale Kassenwart stereotyp ab: Jetzt arbeite die Steuerreformkommission und diese dürfe man nicht prä- judizieren. Sich selbst genehmigte Androsch eine Ausnahme: In den nächsten drei Jahren, so sein vorerst letztes Wort, werde es keinerlei Steuerentlastung geben. Die mit der Arbeit der Steuerreformer geweckten Erwartungen scheinen sich nicht zu erfüllen. /

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Dabei hat alles so hoffnungsvoll begonnen. Nach dem Frächterstreik im Vorsommer brach eine Steuerdiskussion los. Und man war sich - quer durch die Parteien - einig, daß unser Steuersystem gerechter und für den einzelnen Bürger durchschaubar werden muß.

Um den aufkeimenden Steuerwiderstand abzufangen, schaltete Bundeskanzler Bruno Kreisky schnell und kündigte im September 1978 die Schaffung einer Reformkommission unter dem Vorsitz seines Vizekanzlers an.

Aber erst fast ein halbes Jahr nach dieser Ankündigung, nämlich am 1. Februar des heurigen Jahres, konstituierte sich das Gremium, das unser Steuersystem überdenken und durchforsten sollte.

Androsch gab den Reformern nicht nur Diskussionsgrundlagen zur Hand, sondern auch gleich gute Ratschläge: Alles dürfen sie tun, nur sollte dies „nicht sofort zu einer steuerlichen Kulturrevolution ausarten. Die Bedeutung ihres Beitrages im Rahmen der Steuerreformkommission“, steuerte der Finanzminister vorausschauend die Arbeit, „liegt darin, durch Möglichkeiten zur.Verbesserung der Steuermoral eine Verbesserung des gesamten Steuerklimas herbeizuführen.“

Kaum einem Kommissionsmitglied dämmerte zu diesem Zeitpunkt, daß es weniger um die Verbesserung des Steuersystems, sondern praktisch nur um die Verbesserung der Steuermoral gehen sollte. Denn die Fiktion der großen Reformarbeit wurde noch aufrechterhalten.

„Derzeit“, schreibt Androsch in der ebenfalls im Februar aufgelegten Steuerbroschüre („Steuern - wer sie zahlt, wer sie trägt“), „arbeitet eine Kommission an einer grundlegenden Reform des Steuerwesens.“ Und die Wahlplattform der SPÖ für die Wahlen vom 6. Mai versprach nicht weniger unmißverständlich: „Wir werden das Steuersystem durch eine umfassende Steuerreform gerechter und übersichtlicher gestalten.“

Dieses Versprechen fand auch in der Regierungserklärung vom 19. Juni seinen Niederschlag. „Die Bemühungen um eine Vereinfachung und Durchforstung unseres historisch gewachsenen Steuersystems werden im Rahmen der großen Steuerreformkommission fortgeführt. Bis Ende dieses Jahres soll die Kommission in unbeeinflußter Arbeit Vorschläge erarbeiten“, setzte Kreisky der Androsch-Kommission sogar einen hochoffiziellen Termin.

Derart zur Eile gemahnt, kapitulierte der gewählte Kommissionsvorsitzende Bruno Schimetschek, ehemals Vizepräsident des Verwaltungsgerichtshofes, nach einer ausgiebigen Sommerpause. Brieflich ließ er Ende September alle 160 Kommissionsmitglieder wissen, leider wäre „kein Raum für die Erörterung umfassender Reformpläne vorhanden. Manche von uns mögen dies bedauern, doch darf nicht außer acht gelassen werden, daß ein solches Monstergebilde, wie es unsere Kommission darstellt, für die Vorbe ratung umfassender Gesetzesreformen … kein geeignetes Forum darstellt.“

Wie nicht anders zu erwarten, blies auch der politische Kommissionschef Androsch zum Rückzug. In seinem 316-Seiten-Konvolut als Beilage zu seiner Budgetrede vom 23. Okto ber widmet er nur wenige Zeilen diesem Problemkreis. „Vor einem Jahr wurde die Einsetzung einer Steuerreformkommission angekündigt. Es sollen jedoch“, lautet der Kernsatz, „keine übertriebenen Erwartungen in das Ergebnis, das die Steuerreformkommission vorlegen wird, gesetzt werden.“

Die Kommission denkt, Androsch lenkt.

Und er stellt die Reformer laufend vor vollendete Tatsachen:

Die Sparförderung wurde abgebaut, weil sie angeblich in diesem Ausmaß nicht mehr gerechtfertigt ist. Alle reden vom Sparen und kaum jemand denkt daran, daß die Sparförderung hierzulande ursprünglich als Milderungsinstrument wider die progressive Lohnsteuer gedacht war.

Die Beiträge zur Sozialversicherung werden erhöht. Nicht etwa, weil dafür eine sozialpolitische Notwendigkeit besteht, sondern - wie Sozialminister Gerhard Weißenberg offen eingestand - aus „budgetpolitischen Gründen“.

Der - vorderhand letzte - An- drosch-Schritt war sein Nein zu einer Lohnsteueranpassung in den nächsten Jahren. Damit hat der Finanzminister nicht nur der Steuerreformkommission, sondern auch der Entwicklung vorgegriffen, die er bis vor kurzem noch selbst abwarten wollte.

„Was Lohn- und Einkommenssteueranpassungen betrifft“, äußerte er in einer schriftlichen Anfragebeantwortung vom 3. September, „so ist dieses Thema derzeit nicht aktuell. Ob und in welchem Ausmaß derartige Anpassungen durchgeführt werden, wird nicht zuletzt von der Entwicklung der Einkommen in den nächsten Jahren abhängen.“

Der OECD-Bericht teilt freilich diese Androsch-Meinung nicht. „Trotz der periodischen Anpassung der Steuersätze zum Ausgleich der kalten Progression hat die Dringlichkeit einer umfassenden Steuerreform weiter zugenommen“, wird dort festgehalten.

Diese Dringlichkeit spüren auch durchaus die Steuerzahler.

Der Monats-Durchschnittsverdienst (ohne Familienbeihilfe) eines Industriearbeiters stieg im Durchschnitt von brutto 10.355 Schilling im Jahr 1977 auf brutto 10.942 Schilling im Voijahr. Brutto erhöhte sich also das Monatseinkommen um 587 Schilling.

Netto verblieben dem Arbeiter 1977 noch 79,8 Prozent, 1978 waren es nur mehr 76,9 Prozent. In absoluten Zahlen ausgedrückt, heißt das: Von den 587 Schilling Mehrverdienst blieben ihm tatsächlich nur 151,10

Schilling netto, Abzüge hatte er dafür um 435,90 Schilling mehr.

„Zähneknirschen beim Studium des Lohnzettels“ ortet sogar schon die ÖGB-Illustrierte „Solidarität“: „Kaninchen knabbern an unserem Bruttolohn. Die heiße Sonne läßt unseren Nettolohn dahinschmelzen.“

Die Frage nach der Uber- und Durchschaubarkeit des Steuersy stems für den einzelnen Bürger stellt sich somit allmonatlich. „In einer Demokratie sollte jedoch jeder Staatsbürger wissen, wieviel er wofür bezahlt, aber auch, was er dafür bekommt“, sieht Hannes Androsch das Problem richtig, nur ist er offenbar nicht bereit, daraus die Konsequenzen zu ziehen.

Das wäre nämlich die „steuerliche Kulturrevolution“, die er unter keinen Umständen haben will.

Unser derzeitiges Steuer- und Beitragsabzugsystem entmündigt den mündigen Bürger, um den es - zumindest verbal - in der Politik heute geht. Eigentlich ist dies ein System für politische Analphabeten, von denen man annimmt, daß sie ihren Staat mit all seinen öffentlichen Auf- und Ausgaben nicht begreifen.

Und dieses Steuer- und Beitragsabzugsystem wiegt auch heute noch Staatsbürger in dem Irrglauben, es gäbe in der Politik „Geschenke“, Leistungen des Staates könnten „gratis“ sein.

Dieses Steuer- und Beitragsabzugsystem schafft zwar die Illusion einer Umverteilung, hindert aber an der Einsicht, daß Arbeitnehmer und Arbeitgeber letztlich in einem Boot sitzen. Daß Österreichs Arbeitnehmer nicht weit mehr brutto verdienen, liegt nicht an den Arbeitgebern, sondern am System. Vor allem die Kosten des Sozialstaates werden durch Arbeitgeber-„Beiträge“ vernebelt.

Eine junge Sekretärin verdient monatlich brutto 12.250 Schilling. Ihr Arbeitgeber, das verstaatlichte Unternehmen VÖEST, könnte ihr statt dessen mehr als 22.000 Schilling monatlich auf ihr Gehaltskonto überweisen, würde sie selbst für sich alle Steuern und Beiträge entrichten und für soziale Zusatzleistungen aufkommen.

Netto bekäme diese Sekretärin freilich um keinen Groschen mehr auf die Hand: nämlich weiterhin 9.179,40 Schilling. Das sind aber nur knapp mehr als 40 Prozent ihres „unsichtbaren“ Gehaltes (siehe Kasten).

Sie wäre zwar um keinen Schilling, aber um viele Einsichten reicher - ganz im Sinne des Finanzministers: Jeder soll wissen, wieviel er wofür bezahlt.

Androsch hat schon gewußt, warum er sich eine „steuerliche Kulturrevolution“- und eine solche wäre die Systemänderung nach anglikanischem Muster - verbeten hat. Das Abgabensystem wäre durchschaubar, aber die Steuerzahler würden dann wahrscheinlich erst recht aufmüpfig werden.

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