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Digital In Arbeit

Viel Krampf nach Kampf

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Der Arbeitskampf in der Bundesrepublik Deutschland hat Probleme aufgeworfen, die erst jetzt aufgearbeitet werden müssen. Arbeitgeber wie Arbeitnehmer müssen lernen.

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Der Arbeitskampf in der Bundesrepublik Deutschland hat Probleme aufgeworfen, die erst jetzt aufgearbeitet werden müssen. Arbeitgeber wie Arbeitnehmer müssen lernen.

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Ende Juni ging einer der größten Arbeitskämpfe der Bundesrepublik zu Ende, dessen Auswirkungen auch in Österreich, vornehmlich in der Metall- und Auto-Branche, zu spüren waren. Der Schaden geht in die Milliarden D-Mark, genau läßt er sich jedoch nicht beziffern.

Zwar lassen sich bei den bestreikten bzw. ausgesperrten Unternehmungen im Metall- und Druck-Bereich die Umsatzausf äl-

le halbwegs errechnen, jedoch wäre dies nur ein Teil des volkswirtschaftlichen Schadens. Dieser geht von Erlös-Einbußen bis in zweistellige Prozent-Sätze bei großen Kaufhaus-Ketten (Kaufhof, Hertie, Karstadt etc.) bis hin zum Rückgang des Bierverkaufes von Gasthäusern in der Nähe der bestreikten Betriebe. Das bis Mitte Juli dauernde relativ kühle Wetter verstärkte diesen Negativ-Trend vor allem auf dem Sportartikel- und Freizeitsektor.

Lediglich die Heimwerkergeräte-Verkäufer konnten einen Zuwachs buchen: Die streikenden bzw. ausgesperrten Arbeiter ergingen sich in der zwangsweisen Freizeit in einer der Lieblingsbeschäftigung der Deutschen, dem „Häusle-Bauen". Dies scheint wiederum den Gegnern der Arbeitszeitverkürzung recht zu geben, die meinen, daß eine solche nicht mehr Arbeitsplätze schaffe, sondern nur die Schattenwirtschaft vergrößere.

Mit Recht fürchtet die Bundesregierung, daß durch diese Streikbewegung der bereits im zweiten Halbjahr 1983 spürbare wirtschaftliche Aufwind wieder ins Stocken gerate oder gar umgedreht werde.

Dieser drei Monate dauernde Streik im Metall- und Druck-Bereich zeigte folgende beachtenswerte Momente, die auch nach Ende des Streiks weiter diskutiert werden müssen beziehungsweise noch nicht gelöst sind.

• Die Forderung der Gewerkschaften lautete: Arbeitszeitverkürzung auf 35 Wochenstunden bei vollem Lohnausgleich, um neue Arbeitsplätze zu schaffen. Mit Recht hat der katholische Sozialethiker Oswald Nell-Breuning dagegen eingewendet, daß es sittlich nicht vertretbar sei, daß die „Arbeitsbesitzer" den .Arbeitslosen" zwar die Arbeitszeit, jedoch nicht den dazugehörenden Lohn abtreten wollen.

• Diese Streikbewegung hat auch gezeigt, wie sehr unsere Wirtschaft verflochten und die arbeitsteilige Industriegesellschaft ausgebaut ist. Bereits wenige Schwerpunktstreiks wirkten sich anderweitig in der Bundesrepublik und auch in Österreich katastrophal aus. Der Trend in der Betriebswirtschaft, möglichst kurze Lagerhaltungszeiten in den Betrieben einzuführen, hat sich dabei verheerend ausgewirkt. Auch hier wird ein gewisses Umdenken notwendig sein.

• Mit „deutscher Gründlichkeit" wurden die Grenzen des Streikrechts, das Recht der Aussperrung, die Abwägung zwischen Streikrecht und Recht auf Meinungsäußerung (besonders beim Drucker-Streik) sowie die Maßnahmen der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit, jenen Arbeitern von Betrieben, die aufgrund mangelnder Produktionsteile kurzzeitig stillegen mußten,

Heiße Spur

kein Kurzarbeitergeld zu bezahlen, auf den verschiedenen Instanzen deutscher Verfassungsund Verwaltungsgerichtsbarkeit durchdiskutiert, jedoch eine endgültige Klärung wurde zum Teil noch nicht vorgenommen.

# Natürlich kommt es bei Streiks und Aussperrungen zu verbalen und teilweise auch zu tätlichen Ausfällen, man soll das vorerst nicht allzu ernst nehmen. Während beim Metall-Streik Vorfälle dieser Art weniger spektakulär waren, kam es bei den Druckern zu ernsthaften Zwischenfällen, so in Stuttgart und Frankfurt.

Auch die Äußerungen des Vorsitzenden der IG-Druck, Erwin Ferlemann, auf dem SPD-Parteitag im Mai in Dortmund, er habe bei der Streikplanung vergessen, daß SPD-Parteitag sei, jedoch könne ohnedies die SPD-wohlwollende „Süddeutsche Zeitung" erscheinen, daß die anderen nicht erscheinen können (etwa „Die Welt" oder die „Frankfurter Allgemeine") schade ja nicht. Diese Äußerung wurde mit Recht heftiger Kritik unterzogen, da sie von einem eigenartigen Verständnis von Meinungsfreiheit ausgehe.

• Während die bestreikten Metallunternehmungen stillgelegt waren, konnten die bestreikten Zeitungsdruckereien ihre Ausgaben zum Teil zur Gänze auf den Markt bringen. Nach einer Ubersicht des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger geht hervor, daß in 15 Prozent der Fälle, in denen Zeitungsdruckereien bestreikt wurden, die Ausgaben nahezu komplett erschienen, in 65 Prozent der Fälle war es möglich, Notausgaben bis zu 28 Seiten herzustellen, nur in 20 Prozent der Fälle konnte die Zeitung nicht erscheinen.

Daß dies geschehen konnte, ermöglichte die technische Revolution der letzten Jahre auf dem Drucksektor. Mit den vorhandenen Journalisten und Sekretärinnen sowie wenigen Arbeitswilligen war es zumindest möglich, reduzierte Zeitungsausgaben auf den Markt zu bringen, da vor allem Satzerfassung und Satzherstellung über Computersystem laufen und nicht mehr den klassischen Setzer, Metteur etc. benötigen. Auch der Druckvorgang ist zum Teil schon weitgehendst automatisiert und bedarf nur mehr wenig Personals.

Zwar spürten die Zeitungsunternehmer durch geringeres Inseratenaufkommen Erlös-Einbußen, jedoch viele Leser störte der fehlende „Inseratenfriedhof" nicht. Für die IG-Druck war es jedenfalls ein böses Erwachen, festzustellen, daß ihre Streikmaßnahmen größtenteils keine Wirkung zeigten.

(Karikatur, Bensch/Handelsblatt)

• Das flexible 38,5-Wochen-stunden-Modell des äußerst verdienstvollen und umsichtigen Schlichters Georg Leber hat eher für die Unternehmungen als für die Arbeitnehmer Vorteile, weil Leerzeiten, die mitgeschleppt wurden, so nun leichter auffangbar sind. Die Zukunft wird zeigen, wie diese an sich richtige flexible Arbeitszeitlösung innerbetrieblich praktiziert werden kann. Dieses Modell wird sicherlich nach und nach von den anderen Tarifgruppen übernommen werden.

Für die Mehrzahl der Menschen bleibt die 38,5 Stundenwoche unerreichbar: für Gewerbetreibende, Unternehmer, Landwirte, leitende Angestellte, Hausfrauen und Mütter, Forscher und Wissenschaftler, Angehörige von Ge-sundheits-, Sozial- und Pädagogikberufen sowie den Dienstleistungssektor. Für diese bleibt auch noch immer die 40-Stunden-woche Utopie.

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