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Viel mehr als Aktionismus

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Weltgebetswoche für die Einheit der Christen, Anlaß zur Besinnung auf die Ökumene: Finden Christen im laufenden konziliaren Prozeß zum gemeinsamen Handeln - ab­seits von den Diskussionen um Dogmen und Strukturen?

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Weltgebetswoche für die Einheit der Christen, Anlaß zur Besinnung auf die Ökumene: Finden Christen im laufenden konziliaren Prozeß zum gemeinsamen Handeln - ab­seits von den Diskussionen um Dogmen und Strukturen?

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FURCHE: Herr Professor Mette, was kann man sich unter der an­gestrebten Einheit der Christen vor­stellen? Ist das eine Einheit in den Strukturen, eine Einheit im Glau­ben - also die Übereinstimmung in den Dogmen - oder ist das zunächst mehr eine Einheit im Handeln, wie sie aus dem Vorgang in Basel her­vorzugehen scheint?

PROFESSOR NORBERT MET­TE: Wenn ich davon ausgehe, wann es mit der ökumenischen Bewegung begonnen hat, so kann man als ein entscheidendes Datum in diesem Jahrhundert, zumindest im deutschsprachigen Raum, die Zeit des Nationalsozialismus ansehen. Die Christen waren bedrängt, sie waren aufs äußerste bedroht, und sie haben in dieser Situation ge­lernt, neu zu einer Einheit zusam­menzufinden, das heißt, die Zusam­mengehörigkeit als Christen höher zu stellen als die Probleme, die bisher die Christen untereinander getrennt haben.

Es ist daraus die Hoffnung ent­standen, man könne nun auch die­ser Einheit bis in die Strukturen hin Ausdruck verleihen. Hier sind wir in den letzten Jahren etwas nüchterner geworden. Es hat sich doch gezeigt, daß sich durch die Jahrhunderte hinweg die konfes­sionellen Identitäten und auch die konfessionellen Strukturen ausein­ander entwickelt haben, sodaß es sehr schwierig ist, auf der struktu­rellen Ebene anzusetzen.

Auf der dogmatischen Ebene sind zumindest durch die Lima-Doku­mente, also die Texte über Taufe, Eucharistie und das Amt, sehr weitgehende Fortschritte erzielt worden. Es ist festgehalten wor­den, was an Konvergenz zwischen den Kirchen festzuhalten ist. Den­noch denke ich, daß die Einheit weniger als eine Einheit im Sinne einer strukturellen Unif ormität an­zustreben ist, sondern wesentlich als eine Einheit, die durchaus auch den Reichtum der Traditionen, der sich in den Konfessionen entwik-kelt hat, aufbewahrt.

Insofern sehe ich ein neues Hoff­nungszeichen im Raum des konzi-liaren Prozesses, wo die Erfahrung gemacht worden ist, daß über alle auch dogmatischen Kontroversfra­gen hinweg, auch über strukturelle Unterschiede hinweg, es doch möglich ist, als Christen im Rah­men der Fragen, die die Weltver­antwortung uns aufdrängt, gemein­sam zu handeln. In der Zeit des Nationalsozialismus haben ange­sichts der politischen Bedrohung Christen neu zusammengefunden, heute finden Christen angesichts der Weltbedrohung neu zusammen.

FURCHE: Nun sind Friede, Ge­rechtigkeit, Bewahrung der Schöp­fung ja Themen, die in der Luft lie­gen, die nicht nur von Christen aufgegriffen werden. Wo haben die Christen hier besondere Kompe­tenz?

METTE: Zunächst einmal ist es ja gut, festzustellen, daß es in die­sen Fragen eine Solidarität mit der gesamten Menschheit gibt und daß hier ansatzweise - das Friedensge­bet von Assisi hat es gezeigt - sogar eine Ökumene der Weltreligionen ins Auge zu fassen ist. Ganz wichtig ist es für die Christen, im Rahmen dieses Prozesses zu entdecken, daß Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung nicht vordergrün­dig Themen sind, die bloß ethische Konsequenzen des Glaubens bein­halten, sondern daß hier fundamen­tale Fragen des Glaubens selbst, zentrale Wahrheiten des Glaubens angesprochen sind.

Wenn wir im Glaubensbekenntnis sagen „Ich glaube an Gott, den Schöpfer", dann können wir dieses Bekenntnis glaubwürdig nur aus­sprechen, wenn wir nicht Schind­luder mit der Schöpfung dieses Gottes, an den wir glauben, trei­ben. Ähnlich, wenn wir bekennen „Christus ist der Versöhner der Menschheit", dann können wir dieses Glaubensbekenntnis nur aussprechen, wenn wir Entf eindung praktizieren und nicht weiter Vor­urteile und Streitereien unter der Menschheit aufkommen lassen. So liegt der Beitrag der Christen auch darin, hier ihr Bekenntnis einzu­bringen und nicht bloß ihre ethi­sche Verantwortung zu praktizie­ren.

FURCHE: Man hat den Eindruck, dieser konziliare Prozeß passiert auf einer mittleren Ebene, ganz oben in den Kirchenleitungen ist man noch etwas vorsichtig, auch in den Gemeinden gibt es Vorbehalte. Wie kann man diesen Prozeß zunächst in die Gemeinden, in die pastorale Praxis hineintragen?

METTE: Ich meine, der konzi­liare Prozeß ist nicht nur auf der mittleren Ebene angesiedelt, son­dern geht stark von Basisgruppen aus, Bewegungen, Initiativen, Frie­densgruppen, Dritte-Welt-Grup­pen, ökologischen Gruppen, femi­nistischen Gruppen, die seit Jahren schon in bestimmten Bereichen an dieser Thematik arbeiten.

Viele dieser Gruppen machen die Erfahrung, daß, sie es schwer ha­ben, sich innerhalb der Pfarrge­meinde anzusiedeln, daß sie in den Pfarrgemeinden bestenfalls tole­riert werden, sehr häufig aber auch sich außerhalb der Gemeinden ansiedeln mußten. Die Schwierig­keit ist in der Tat, den konziliaren Prozeß auf der Gemeindeebene zu verankern. Natürlich wird es zu Spannungen kommen, aber ich denke, daß es die Sache ist, die jetzt im Rahmen des konziliaren Pro­zesses ansteht, denn von oben ist er ja weitgehend abgedeckt. Die Fra­ge ist, ob von oben oder von unten her die Pfarrgemeinden stärker auf­gefordert werden, mit dem konzi­liaren Prozeß in Berührung zu kommen.

FURCHE: Richten sich die Vor­behalte eher gegen Ökumene als solche oder gegen die konkreten Themen?

METTE: Ich denke, die Vorbe­halte liegen eher an den Themen. Es gibt auch ökumenische Vorbehalte, aber wir müssen uns vergegenwär­tigen, daß wir gerade in unseren Pfarrgemeinden, insbesondere im katholischen Raum, über Genera­tionen hinweg ein Evangelium ver-kündet haben, das möglichst poli-tik-neutral gehalten werden sollte. Wir haben eine Frömmigkeitspra­xis, ein Gemeindeleben gehabt, das sehr stark individuell orientiert, sehr spirituell orientiert und sehr jenseitsorientiert geprägt war. Es bedarf zunächst einmal einer ganz starken Bewußtseinsarbeit, einer fundamentalen biblischen Arbeit, um diese politische Dimension des Glaubens wiederzuentdecken. Vie­le gehen gerade in die Gemeinden hinein, weil sie mit diesen Fragen, die die Welt bewegen, nichts zu tun haben wollen, weil sie ihre Ruhe haben wollen. Die nicht zu ver-schrecken, sondern doch für diese Annäherung zu gewinnen, halte ich für ganz wichtig.

FURCHE: Wie beurteilen Sie die geringe Beteiligung der römisch­katholischen Kirche beim bevorste­henden Treffen in Seoul?

METTE: Das halte ich ehrlich ge­sagt für eine Katastrophe. Die erste große Enttäuschung war ja bereits vor zwei Jahren, als vom Vatikan her bekannt wurde, daß man trotz des Drängens des Ökumenischen Rates der Kirchen nicht offiziell für die Weltversammlung in Seoul ein­laden wollte, aber der Vatikan hat­te damals noch seine volle Teilnah­me zugesagt. Nun hat sich Anfang Dezember eben entschieden, daß nur eine 20köpfige Beraterdelega­tion nach Seoul geschickt wird. Das halte ich im Rahmen des konzilia­ren Prozesses für einen enormen Rückschritt.

FURCHE: Womit begründet Rom diesen Rückzieher?

METTE: Die katholische Kirche gibt offiziell den ökumenischen Be -reich als Ursache an, ich halte aber letztlich auch die thematische Ebene für sehr gravierend. Man hat Angst, daß es in diesen Fragen auch in der katholischen Kirche zu stark vorangeht. Ich denke, die ganze Auseinandersetzung mit der Befrei­ungstheologie muß auch in diesem Kontext gesehen werden.

FURCHE: Dabei hat der Papst in seiner Botschaß zum Weltfriedens­tag genau die Anliegen des konzi­liaren Prozesses aufgegriffen...

METTE: Das sind eben auch widersprüchliche Äußerungen. Ich denke man kann sich durchaus auf Texte beziehen, aber was den kon­ziliaren Prozeß auszeichnet, ist eben, daß von den Betroffenen und Beteiligten her Bewußtseinsbildung von unten erwächst. Mir scheint, daß hier in unguter Weise die ka­tholische Kirche ihre Tradition, als Lehrmeister von oben zu sprechen, fortsetzen will. Das paßt einfach in die Situation des konziliaren Pro­zesses nicht hinein. Wir haben seit Jahrzehnten hervorragende päpst-liche Stellungnahmen zur sozialen Frage, aber wir müssen uns auch fragen: Wie sind sie im katholi­schen Bewußtsein rezipiert worden? Ich denke, hier kommt es darauf an, Prozesse von unten her wachsen zu lassen, und wenn die Leute wach­geworden sind, wenn sie daran teil­nehmen, dringt ihnen das mehr unter die Haut, als wenn von oben derartiges verkündet wird.

FURCHE: Aber unten droht, sehr vereinfacht ausgedrückt, eine Spal­tung zwischen den „ Frommen "und den „Aktivisten"?

METTE: Ich hielte es für ungut, wenn beide Bereiche auseinander­driften würden. Ich denke, wenn man sich auf den konziliaren Pro­zeß einläßt, dann sieht man auch sehr stark, wie Formen der Spiri­tualität für den ganzen Prozeß konstitutiv sind. Es ist nicht so, wie dem Prozeß vorgeworfen wird, daß er sich in Aktionismus, in Politik erschöpft.

Wenn es nämlich wahr ist, daß die Themen des konziliaren Pro­zesses so zentral mit dem Bekennt­nis unseres Glaubens zusammen­hängen, dann erwächst der Prozeß eigentlich nur aus der Spirituali­tät, dann ist er ein zutiefst spiri­tuelles Ereignis. Das kennenzuler­nen, das zu vermitteln, das steht auf Gemeindeebene an. Es ist dafür zu werben, daß auch die, die sich eher in den Frömmigkeitsformen zu Hause fühlen, damit ihren Bei­trag zum konziliaren Prozeß leisten können.

FURCHE: Wie kann der konzilia­re Prozeß schon bald konkret grei­fen?

METTE: Es gibt eine Erfahrung, die Margot Käßmann aus dem evan­gelischen Raum berichtet, und ich würde sie genauso für den katholi­schen Raum gelten lassen. Ich den­ke, der konziliare Prozeß greift in den Gemeinden nicht, wenn er zum Thema gemacht wird als konzilia-rer Prozeß. Dafür ist es zu abstrakt.

Ich denke, die Gemeinden müs­sen konkret vor Ort die Betroffen­heiten entdecken, sie müssen ent­decken: Wo wird bei uns die Schöp­fung zerstört? Wo gibt es konkret bei uns in der Nachbarschaft Un­frieden? Wo wird bei uns sozial ungerecht gehandelt? Wo wird gegen Menschenrechte verstoßen? Dort anzusetzen, hielte ich für die entscheidende Frage. Dann erst kann der konziliare Prozeß ent­deckt, können die Dokumente, die verabschiedet worden sind, in den Gemeinden relevant werden.

Mit dem Professor für Pastoraltheologie an der Katholischen Fakultät der Universität Pader­born und Referenten bei der Österreichischen Pastoraltagung 1989 (27.-29. Dezember. Wien-Lainz) sprach Heiner Boberski.

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