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Viel mehr als ein Museum

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Ausstellungen in Klöstern sind heute an der Tagesordnung. Die oberösterreichische Landesausstellung „1200 Jahre Kremsmünster” (1. Mai bis 9. Oktober 1977) bietet dennoch etwas völlig Neues. Hatte man bisher Kunstschätze nach einem bestimmten Gesichtspunkt ausgewählt und an einem passenden Ort zusammengetragen, so stellt sich diesmal ein Stift selbst vor. Mit ausschließlich eigenen Exponaten, mit seiner weit zurückreichenden Geschichte, aber auch mit seinen Aufgaben in Gegenwart und Zukunft. Und am Beispiel Kremsmünster wird eines mehr denn je offenbar: Stifte sind nur peripher Museen, ihre Angehörigen nur am Rande Kustoden alter Kulturgüter. Was leisten die Mönche von Kremsmünster heute? Was erwartet den Besucher der Jubiläumsausstellung?

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Ausstellungen in Klöstern sind heute an der Tagesordnung. Die oberösterreichische Landesausstellung „1200 Jahre Kremsmünster” (1. Mai bis 9. Oktober 1977) bietet dennoch etwas völlig Neues. Hatte man bisher Kunstschätze nach einem bestimmten Gesichtspunkt ausgewählt und an einem passenden Ort zusammengetragen, so stellt sich diesmal ein Stift selbst vor. Mit ausschließlich eigenen Exponaten, mit seiner weit zurückreichenden Geschichte, aber auch mit seinen Aufgaben in Gegenwart und Zukunft. Und am Beispiel Kremsmünster wird eines mehr denn je offenbar: Stifte sind nur peripher Museen, ihre Angehörigen nur am Rande Kustoden alter Kulturgüter. Was leisten die Mönche von Kremsmünster heute? Was erwartet den Besucher der Jubiläumsausstellung?

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Als Herzog Tassilo III. von Bayern, später ein Opfer der Politik Karls des Großen, 777 die Abtei gründete - der Sage zufolge nach einem tödlichen Jagdunfall seines Sohnes Gunther -, befolgte man noch eine Mischform der Regeln Benedikts und Kolumbans. Erst am Beginn des 9. Jahrhunderts setzte sich die Regel des heiligen Benedikt allein und damit das berühmte, heute noch gültige „Bete und arbeite!” („Ora et labora!”) durch, das die Benediktiner von den Angehörigen rein beschaulicher Orden unterscheidet.

An erster Stelle steht das Gebet. Dazu gehört faktisch das gesamte religiöse Leben der Mönche, die tägliche Eucharistiefeier, das viermal am Tag zu bestimmten Stunden angesetzte gemeinsame Chorgebet, aber auch das private Gebet, die Meditation und die Askese. Bei der Profeß, der feierlichen Aufnahme in den Orden, werden drei Gelübde - Stabilitas, Conversatio mo- rum und Oboedientia - abgelegt. Das erste verpflichtet zur lebenslänglichen Bindung an ein bestimmtes Kloster und erklärt den familiären Gemeinschaftssinn der Benediktiner. Das zweite umfaßt das Bemühen um ständige Selbsterziehung sowie Armut und Ehelosigkeit. Das dritte bedeutet Gehorsam gegenüber dem Abt, der Regel, den Aufgaben des Klosters und letztlich natürlich gegenüber Gott.

Und die Arbeit? Schon zur Gründung erhielt Kremsmünster von seinem Stifter nicht nür einen umfangreichen Landbesitz, sondern auch einen gewaltigen Missions- und Arbeitsauftrag. Die Aufgaben verlagerten sich im Laufe der Jahrhunderte naturgemäß immer mehr auf die rein geistige Ebene. Schwerpunkt ist und bleibt die Seelsorge in den 26 Pfarreien des Stiftes, wo 36 Mönche als Pfarrer und Ka- pläne rund 60.000 Gläubige betreuen. 44 Kirchen liegen in diesem Bereich, der zum Großteil aus dem Missionsgebiet der Gründungszeit entstanden ist. Zur Seelsorge gehört auch die intensive Jugendarbeit.

Aus den Stiftspfarren und dem Gymnasium kommen die meisten Novizen des Klosters. Das Stiftsgymnasium Kremsmünster besteht seit 1549, das Konvikt seit 1804. Die Schule ist öffentlich und wird als humanistisches Gymnasium mit Latein, Griechisch und Englisch geführt. 16 Patres und acht Laien unterrichten etwa 300 Schüler, von denen 240 mit dem Direktor und sieben Mitbrüdem im Internat Zusammenleben. Die Absolventen des Gymnasiums halten als „Altkrems- münsterer” engen Kontakt miteinander und mit ihrer ehemaligen Erziehungsstätte.

Seit zehn Jahren betreut Kremsmünster mit fünf Patres die Pfarre und den Wallfahrtsort Mariazell. Diese Aufgabe wurde von St. Lambrecht übernommen, dem das Marienheiligtum gehört, das aber die Seelsorge dort aus personellen Gründen derzeit nicht bewältigen kann. Mit 89 Mönchen (76 Priester, zwei Diaconi permanentes, ein Bruder; zehn Kleriker, die sich auf das Priestertum vorbereiten) steht Kremsmünster heute deutlich an der Spitze der österreichischen Benediktinerklöster. Aber auch hier mußte man schwere Krisen überwinden: 1566 zählte das Stift nur drei Kon- ventualen.

Eine mühevolle, aber äußerst wichtige Aufgabe hat Kremsmünster 1970 in Brasilien übernommen. Derzeit betreuen zwei, demnächst drei Patres ein Gebiet von 35.000 Quadratkilometern um die Stadt Barreiras in der Diözese Barra mit schätzungsweise 80.000 Katholiken. Die dortige Arbeit ist als Jubiläumsgabe an die Dritte Welt gedacht.

Der jüngst eröffneten Ausstellung gingen jahrelange Renovierungs- und Restaurierungsarbeiten voraus. Dabei wurde eine Bestandsaufnahme und Bearbeitung sämtlicher Kunstschätze der Abtei durchgeführt. 22 Wissenschafter, darunter eine Reihe von Patres, beteiligten1 sich an dem Forschungsprojekt, dessen Ergebnisse heuer als zweibändige Kunsttopographie von Kremsmünster im Rahmen der österreichischen Kunsttopographie veröffentlicht werden.

Daß sich Kremsmünster nun als echtes Schmuckkästchen präsentiert, hat natürlich enorme Kosten verursacht. Man rechnet mit mehr als 50 Millionen Schilling. Wer soll das bezahlen? Das Land Oberösterreich steuert großzügig an die 15 Millionen bei, vom Bundesdenkmalamt kamen Zuschüsse von 1,5 Millionen und vom Wissenschaftsministerium eine Million für die Sternwarte. Die Hauptlast muß aber die Abtei selbst tragen, denn die Erhaltung von Kulturdenkmälern obliegt bekanntlich in erster Linie den Eigentümern. Die aktuelle Diskussion um den Denkmalschutz hat das wieder weithin transparent gemacht. Aber ist ein Stift wie Kremsmünster nicht reich?

Nur Uneinsichtige können von einem unfruchtbaren „Reichtum” des Klosters angesichts der gewaltigen Aufgaben und Auslagen sprechen. Kremsmünster besitzt 3800 Hektar Wirtschaftswald sowie 250 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche und beschäftigt 132 Arbeiter und Angestellte. Von den Einnahmen müssen aber nicht nur alle Stiftsangehörigen leben, sondern auch die gesamte Stiftsanlage und die 44 dazugehörigen Kirchen erhalten werden! Als Jubiläumsgeschenk übernahmen Gemeinde und Bevölkerung des Ortes Kremsmünster die Kosten für die Renovierung der nahegelegenen Kalvarienbergkirche.

Die wertvollen Stücke der Krems- münsterer Kunstsammlung, die den einen Schwerpunkt der Ausstellung ausmacht, müssen an Ort und Stelle erlebt werden. Kernstück ist die Schatzkammer im „Gobelinzimmer” mit dem Tassilokelch, den Codices Millenarii, den Tassiloleuchtern und dem berühmten Kremsmünsterer Scheibenkreuz. Gegenstände, die meist noch heute bei feierlichen Gelegenheiten in liturgischer Verwendung stehen.

In der Kunstausstellung spiegelt sich die Geschichte des Hauses wider; viele Abte und Mönche waren große Sammler. Das zeigt sich besonders in der Kunstkammer, der Rekonstruktion eines Raritätenkabinetts der Zeit um 1600. Die Galerie enthält vorzügliche Werke der Gotik, der Renaissance, des Barock und des Biedermeier. Die Kremsmünsterer Waffenkammer übertrifft an Umfang und Qualität der Objekte alle ähnlichen klösterlichen Sammlungen im süddeutschen Sprachraum. In der prachtvollen Barockbibliothek sind alte Musikinstrumente ausgestellt, im Paramen- tenraum nebenan beeindruckt vor allem eine Totenkasel von 1630. Auch ein Blick in den mit herrlichen Fresken ausgestatteten Kaisersaal sollte nicht versäumt werden.

Der innere Stiftshof wird von der Fassade der 1681 geweihten Kirche beherrscht, die neben kostbaren Gemälden und Fresken das Grabmal des sagenhaften Herzogssohnes Gunther enthält. Die Kirche wird auch während der Ausstellung frei zugänglich sein. Auch ein Besuch im barocken Fischbehälter von Carlo Antonio Car- lone und Jakob Prandtauer lohnt sich.

Zweiter Schwerpunkt der Ausstellung ist die naturwissenschaftliche Sammlung in der Kremsmünsterer Sternwarte. Diese Sternwarte, 1748 bis 1759 erbaut, dokumentiert das frühe naturwissenschaftliche Interesse der Benediktiner, die dem katholischen Zweig der Aufklärung voranschritten.

In den siebeq Stockwerken finden sich Kollektionen aus Geologie und Paläontologie, Mineralogie, Physik, Zoologie, Botanik, Anthropologie, Volkskunde, Völkerkunde, Kulturgeschichte und Astronomie. Viele Exponate sind Unikate, und auch insgesamt reichen die Sammlungen an große Museen heran.

Die Ausstellungsobjekte, die nur einen Teil der gesamten Sammlungen des Stiftes ausmachen und auch im Unterricht am Gymnasium Verwendung finden, bleiben auch nach dem 9. Oktober in Kremsmünster. Sie können dann jedoch nur noch im Rahmen einer Führung besichtigt werden. Kremsmünster, ein Stift mit großer Vergangenheit, steht auch heute vor großen Aufgaben.

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