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Viel Richtiges und eine Verkennung

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Am 3. März werden die „Roten Markierungen '80" der Öffentlichkeit vorgestellt werden - das Buch, aus dem man den geistigen Gehalt der heutigen SPÖ schließen können soll. Einer der darin enthaltenen Beiträge stammt von Zentralsekretär Karl Blecha und trägt den Titel „Demokratischer Sozialismus und christliche Grundwerte". Die geschickt vertretene Fundamentalthese dieses Aufsatzes lautet: Zum Wahlkampfsiegen brauchen wir die Christen nicht - aber dazu, die Menschen vor d&m geistigen Versump&rn zu bewahren.

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Am 3. März werden die „Roten Markierungen '80" der Öffentlichkeit vorgestellt werden - das Buch, aus dem man den geistigen Gehalt der heutigen SPÖ schließen können soll. Einer der darin enthaltenen Beiträge stammt von Zentralsekretär Karl Blecha und trägt den Titel „Demokratischer Sozialismus und christliche Grundwerte". Die geschickt vertretene Fundamentalthese dieses Aufsatzes lautet: Zum Wahlkampfsiegen brauchen wir die Christen nicht - aber dazu, die Menschen vor d&m geistigen Versump&rn zu bewahren.

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Gleich zu Beginn versucht Blecha zu begründen, warum gläubige Christen kein spezieües Wahlkampffutter von der SPÖ mehr brauchen: Eine IFES-Umfrage habe im März 1978 ergeben, daß „in Österreich die Religion nur noch für eine Minderheit von 42 Prozent der Österreicher eine persönliche Bedeutung hat" (Seite 35). In der SPÖ gab es damals laut dieser Umfrage immerhin 24 Prozent religiöse Menschen und in der ÖVP 29 Prozent religiös Uninteressierte. Daß „zwischen Christentum und Sozialismus kein Gegensatz besteht", bejahten damals 61% „völlig" und weitere 23% „teilweise" - immerhin auch 44% bzw. 33% der ÖVP-Sympa-thisanten.

„Der wahre Grund des Miteinan-der-Reden-Müssen" hege daher tiefer als in der Wahltaktik. Nämlich: „Kapitalismus und Kommunismus haben den gleichen vulgären Materialismus verbreitet, der sich als gemeinsamer Feind des ethischen Sozialismus und des Christentums erweist" (S. 36 f.).

Von kühnen Ausflügen in Geschichte und Theologie, die gar nicht zum herkömmlichen Vorstellungsbild des bulligen Parteisekretärs passen, kehrt Blecha mit der Schlußfolgerung zurück: Christentum und Sozialismus, „heute von den gleichen Mächten bedroht", seien auch allein fähig, die großen Probleme der Gegenwart zu lösen: soziale Gerechtigkeit, Hunger, Frieden, Lebensqualität.

„Durch das Gespräch sollen gemeinsame Lösungen gefunden, der Regierungssozialismus vor bloßem Pragmatismus bewahrt und die Entflechtung von Christentum und Strukturkonservatismus beschleunigt werden" (S. 33) - im Geiste des „MariazellerManifests" von 1952, das mit dem Motto „Eine freie Kirche in einer freien Gesellschaft" den entscheidenden Klimawandel bewirkt habe.

Nicht ganz ohne süffisanten Unterton berichtet Blecha davon, daß er „seit 1966 und erst recht seit meiner Bestellung zum Zentralsekretär der SPÖ 1976 jeden Monat an einem Gespräch (mit Katholiken) teilgenommen" habe - was manchen nicht autorisierten Dialog-Eiferern doch ein wenig zu denken geben sollte.

Nach Meinung des Autors gebe es wesentliche Gemeinsamkeiten zwischen Christentum und Sozialismus: „daß beide die Gesellschaft zu ändern trachten, indem sie eine ständige Revision des Bestehenden zwecks Vermenschlichung des Menschen verlangen" (S. 57) und daß beide von der Auffassung ausgehen, „daß der Mensch ein unvollkommenes Wesen ist" (S. 58). Was Blecha nicht ergänzt: daß klassische SP-Theoretiker lange genug so taten, als wäre der Mensch bei entsprechender Änderung der Umweltbedingungen in der Tat irdisch perfektionierbar.

„Sozialisten schaffen mehr Freiheit, indem sie Soziales tun" (S. 62), lockt der Autor mit einer weiteren Grundwert-Gemeinsamkeit, gestattet sich aber trotz penibler Bedachtsamkeit in seinen Formulierungen die bedenkliche Unscharfe, daß schon bloßes „Streben nach Macht und Eigentum" (S. 62) falsche Selbstverwirklichung sei. Wie viele Sozialisten sind da falsch selbstverwirklicht?

„Gleichheit wird im neuen Parteiprogramm der SPÖ als Ausdruck der Gleichwertigkeit aller Menschen ... geseheri", beteuert der Autor (S. 64), zitiert dann aber eine Belegstelle, in der nur von „gleichberechtigten Menschen" die Rede ist. Zum Thema Solidarität beschwört er die biblische Bedeutung dieses Begriffes, der „nicht bloß eine individuelle Solidarisierung mit den jeweils Zu-kurz-Gekommenen" gemeint habe, sondern „Uberwindung von gesellschaftlichen Mechanismen und Strukturen, die Egoismus und Unterdrückung produzieren" (S. 66).

Man kann sich nun natürlich auf alle möglichen Textstellen stürzen (was ja auch geschehen wird) und daran herummäkeln. Das wird wenig daran ändern können, daß die durchgehende Darstellung Blechas, der von Kardinal König bis Pater Büche-le, von Oswald von Nell-Breuning bis Wilhelm F. Czerny, von Richard Barta bis Günther Nenning seine Zeugen gewissenhaft gelesen hat, nicht falsch ist. Nur unvollständig.

Nicht die zeitgenössische sozialistische Theorie trennt viele Christen vom Sozialismus, sondern die Last der Geschichte und vielfach auch noch die Praxis der Gegenwart. Bei der Schilderung dieser beiden Korhpofa.-gpQrdnetes. Nebeneinander in je und je verschiedenen Wirkkategorien und mit der beiderseitigen Absicht, den Menschen zu dienen und nicht diese zu beherrschen: Das wäre richtiger und wichtiger ..."

nenten hat Karl Blecha den Anteil seiner eigenen Parteiseite an Mißverstehen und Antagonismus gehörig unter- bzw. fast völlig weggezeichnet.

Dennoch bleibt als Haupteinwand gegen diese Darlegung, daß sie das heutige Selbstverständnis der Kirche - selbständige geistige Kraft und niemandes politischer Bundesgenosse zu sein - verkennt. Daß „der Sozialismus nicht auf eine bloße ,Messer-und-Gabel'-Bewegung, das Christentum nicht auf reine Ethik reduziert werden darf' (S. 71): Da hat Blecha recht! Aber deswegen darf die Kirche nicht jetzt Bundesgenossin einer SPÖ werden, wenn sie sich schwer genug tut, der tagespolitischen Allianz mit der ÖVP zu entsagen.

Es ist unlogisch, die „Verzerrung des christlichen Wertsystems im Feudalismus" (S. 67) und die Verstrickung der Kirche im Kapitalismus zu beklagen und dann vom Aufbruch von Kirche und Sozialismus „zu gleichen Zielen" (S. 77) zu sprechen. Entweder man ist dagegen, daß sich die Kirche mit herrschenden Mächten einläßt - dann gilt das auch für den herrschenden Sozialismus. Oder man prophezeit der Kirche als Realist, daß sie sich mit jedem herrschenden System einläßt und aus seelsorglichen Gründen einlassen muß: Dann darf man ihr auch nicht die Vergangenheit als solche vorhalten.

Sozialismus wie Christentum hätten, meint der Verfasser, „voneinander zu lernen, und beide dürfen nicht müde werden, einander zu kritisieren, denn beide sind hinter ihrem Anspruch zurückgeblieben" (S. 79). Stimmt: Wenn der Sozialismus heute einräumt, daß der Mensch auch durch die Verstaatlichung der Produktionsmittel nicht moralischer wird, dann kann auch der nichtsozialistische Christ zugeben, dab privateigentum am Producktionskapital nicht die Geselschaft verschristlicht.

Ein geordnetes Nebeneinander inie und je verschiedenen Wirkkategoricht diese zu beherrschen Das ware richtiger und wichtiger als jeder Versuch der einen oder der anderen Seite, mit zweieriel Dunger ein und dieselbe Furche zu bearbeiten.

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