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Viel Schuld angesammelt

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Von jedem Kind sollten wir wenigstens soviel wissen, daß es die ihm gegebene Möglichkeit zu lieben, entfalten möchte. Wie kleinmütig und dumm von uns, wenn wir diese Möglichkeit vermeinen auslöschen zu müssen, kaum daß sie zu leben begonnen hat. Wie kläglich, wenn wir in unserer gottlosen Angst und in unserem Hochmut meinen, uns ohne diese Möglichkeit retten zu können.

Das Töten unschuldiger Kinder, das Ersticken keimender Liebesmöglichkeit hat leider nicht aufgehört. Im Gegenteil, unsere Zeit ist voll davon.

Man beschwört den Frieden, die Gewaltlosigkeit, den Wert des Lebens und die Notwendigkeit der Nächstenliebe, um dann hinzugehen und Tausende von Kindern — weltweit gesehen sind es Millionen — für unerwünscht zu erklären und sie dann töten zu lassen. Im Namen der Befreiung. Befreiung von was denn? Von einem Kind und seiner Liebe, die wir so dringend nötig hätten! ?

Ich weiß wohl, diese unsere Gesellschaft möchte von dem Thema Abtreibung und Kindestötung am liebsten nichts mehr hören. Die Schuld ist zu groß geworden und die Befreiung von solcher Schuld ist ohne Einsicht in die Liebe, die als einzige verzeihen kann, nicht möglich.

Deshalb sind auch die unschuldig getöteten Kinder nicht ruhig. Sie mahnen uns, mit dem Töten aufzuhören. Sie wollen mit ihrer Mahnung nicht anklagen, sondern — wie es der Unschuld eigen ist — sogar als Geopferte noch helfen.

Allein in unserem Lande sind in den letzten zehn Jahren, mit Inkrafttreten des Gesetzes der „Fristenlösung” am 1. Jänner 1975, täglich 100 bis 300 Kinder, ungeborene, jedoch ihr Leben schon begonnen habende Kinder, absichtlich getötet worden, nur weil sie unerwünscht waren, in der Meinung, dieses unerwünschte Kind könnte seinen Eltern soziale Last und Beschwernis sein.

Eine solche Meinung war dem Gesetzgeber unseres Rechtsstaates ausreichend, um in einem Gesetz festzulegen, du darfst dieses dir unerwünschte Kind straffrei töten, nur mußt du es bald machen, in den ersten drei Monaten seines Lebens.

Und diese Meinung war auch einigen Medizinern ausreichend, um „geschützt” durch dieses Gesetz ihre Verpflichtung gegenüber dem Leben dieses als unerwünscht erklärten Kindes zu vergessen und es brutal mit ein paar technischen Handgriffen zu zerstören.

Man müßte meinen, die Zahl dieser unzählbaren unschuldigen Kinder, Hunderttausende der letzten zehn Jahre allein in Österreich, müßte doch endlich ausreichen, um jedem von uns klar zu machen: Es ist genug!!

Es war der falsche Weg, kehren wir um, laßt uns versuchen wieder gutzumachen, was Schreckliches geschehen ist! Die Parlamentarier, indem sie doch endlich einsehen, daß ihre Zustimmung zur Tötung dieser unschuldigen Kinder falsch war und daß unsere Verfassung mit einem Artikel ergänzt werden muß, in dem klar steht, daß menschliches Leben von seinem Beginn, d. h. der Empfängnis an, bis zu seinem natürlichen Tod geschützt sein muß.

Die Mediziner, die endlich begreifen sollen, daß ihr Beruf das Bewahren des menschlichen Lebens ist und nicht seine Zerstörung, daß ein Menschenkind kein biotechnisches Produkt ist, mit dem man nach Belieben umspringen kann, sondern ein Mensch, der von Anfang an geliebt werden möchte, um einmal selbst lieben zu können.

Wir alle, die Frauen und Männer, die angesichts dieser Zahl von getöteten unschuldigen Kindern doch endlich verstehen müssen, daß unser persönliches Wohlbefinden oder gar „Glück” und unsere soziale Stellung doch niemals mit dem Töten der von uns eben gezeugten Kinder erkauft werden kann.

Im Gegenteil: Die letzten zehn Jahre beweisen, wie unser „Glück” jetzt ausschaut, wir müssen nur ehrlich genug sein, es zuzugeben.

Das Zugeben, im Unrecht gehandelt zu haben, ist offenbar für uns heutige Menschen, die wir als kinder- und gottarme Gesellschaft die Demut immer weniger kennen, überhaupt etwas vom Schwersten. Und doch müssen wir es wieder lernen, wenn wir überleben wollen, denn ohne dieses Erkennen und Eingestehen gibt es die gewünschte und doch so not-wendige echte Befreiung nicht.

In einem christlichen Land, das Österreich wenigstens gemessen an der Zahl, der großen Mehrheit christlich getaufter Menschen ist, müßte diese Umkehr — um Gottes und unseres Willen — doch eigentlich leichter möglich sein. Tun wir deshalb auch endlich etwas Großes und Tapferes.

Der Autor ist Vorstand der Univ.-Kinder-klinik in Innsbruck.

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