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Viel Spiel, wenig Brot

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Der Ruf nach Demontage der Sozialpartnerschaft hat den Autor provoziert. Seine Antwort darauf nennt er ein „unzeitgemäßes Verlangen“. Und er bekennt sich zur bewährten Improvisation.

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Der Ruf nach Demontage der Sozialpartnerschaft hat den Autor provoziert. Seine Antwort darauf nennt er ein „unzeitgemäßes Verlangen“. Und er bekennt sich zur bewährten Improvisation.

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„Das Parlament ist gelähmt“ titelte zuletzt eine Boulevard-Zeitung. Die Parteien sind geschwächt, die Politiker zerstritten, könnte man den Schreckensruf ergänzen.

Ausgerechnet in Zeiten wie diesen wird selbst von einem Zentralsekretär der „linken Reichshälfte“ nach der Demontage der Sozialpartnerschaft gerufen. Gefordert wird eine Säuberung des Systems von Kammern und Verbänden, damit uns die Segnungen einer reinen, unverfälschten, liberalen Demokratie zuteil werden. Die Forderung

lautet: Zwischen dem Souverän und dem Volksvertreter soll keine nicht legitimierte Macht stehen.

Als ob nicht heute schon die Massenmedien es wären, die sowohl Souverän wie Volksvertreter im Wege des Agenda Settings ganz schön herumhetzen würden. Mal stirbt der Wald, dann ist es das Ozonloch in der Stratosphäre, dann das Ozon am Erdboden, dann gibt es glücklicherweise Skandale mit medienträchtigen Unterausschüssen, so daß es an „circenses“ nicht fehlt. Aber wie ist es mit „panem“.

Die Sozialpartnerschaft hat in den Jahrzehnten seit ihrer Gründung im Jahre 1957, der übrigens eine Phase der Erprobung der Wirtschaftspartnerschaft auf Betriebsebene voranging, dafür gesorgt, daß auch in Zeiten, in denen die Regierungspolitik durch Wahlen oder personelle Konflikte gelähmt war, wichtige Entscheidungen vorbereitet und entweder beschlußreif oder durchführungsreif gemacht wurden.

Es muß ja nicht alles gleich ein Gesetz sein. Die Abstimmung der Lohn- und Preispolitik erfolgte im gesetzesfreien Raum, die Errichtung des Wirtschaftsbeirats der Paritätischen Kommission desgleichen, und der hat wiederum die kurzfristige Prognose und damit die Möglichkeiten für die wirtschaftspolitische Quartalsaussprache in die Welt gesetzt.

Das Arrangement mit der Europäischen Gemeinschaft, das dann in den frühen siebziger Jahren über die Bühne ging, wurde von ihm vorbereitet. Er hat dem österreichischen Kapitalmarkt Geburtshilfe geleistet, der Budgetkonsolidierung geistig den Weg bereitet und noch so einige Kleinigkeiten zustande gebracht. Ohne Paritätische Kommission, ohne Sozialpartnerschaft hätten wir weder in der weltweiten Inflation der siebziger Jahre so blendend abgeschnitten noch auch durch eine konstruktive Lohnpolitik zur Wiederherstellung der Vollbeschäftigung in den letzten zwei Jahren einen so wesentlichen Beitrag liefern können.

International werden wir bestaunt und beneidet, mit welchem Minimum an Streiks wir Arbeitskonflikte lösen können und wie sehr die Wirtschaftspartnerschaft auf Betriebsebene dazu beigetragen hat, daß die österreichischen Arbeitneh-

mer die Einführung neuer Techniken, die Rationalisierung und betriebliche Modernisierungsmaßnahmen nicht nur akzeptiert, sondern auch mitgetragen haben. Man stelle dem das englische Beispiel an die Seite und man kann sehen, was eine Wirtschaftspartnerschaft an Posi-

tivem zustandebringen kann.

Gegenwärtig tobt ein Kampf um den Milchwirtschaftsfonds, einer sozialpartnerschaftlich besetzten Organisation. Natürlich wird der parlamentarische Untersuchungsausschuß daran interessiert sein, Skandale aufzuspüren. Abgeordne-

te, die glauben, daß sie aufgrund ihrer diesbezüglichen Arbeiten auch gewählt werden, werden versuchen, diese Skandale mediengerecht zu verbraten. Und wenn auch nichts dabei herausschaut, die Zeitungen, die ihren Absatz steigern konnten, werden dann schon dafür sorgen, daß aus dem Nichts - wenn auch keine Milchstraße - doch wenigstens eine Schlammpfütze entstehen wird.

Sollte es den Gegnern der Sozialpartnerschaft gelingen, die Vorfeldorganisation „Milchwirtschaftsfonds“ zu liquidieren, wird es nicht mehr lange dauern, bis über einige andere „Sozialpartnerleichen“ auch die Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft ins Schußfeld gerät und alle möglichen Unternehmer zum Schluß kommen werden, daß sie eigentlich diese Organisation gar nicht brauchen. Daß sie den Eindruck gewonnen haben, sie nicht zu brauchen, geht darauf zurück, daß diese Organisation da ist, ihnen alle möglichen Steine aus dem Weg ge-

räumt hat, in Bereichen tätig war, von denen sie keine Ahnung haben, daß dort für sie Wichtiges geschieht. Beim ersten Streik oder einem etwas größeren Inflationsschub würden sie es zwar bemerken, aber dann wäre es schon zu spät.

Ahnliches gilt auch für die Arbeiterkammern, dem zweiten Stützpfeiler des sözialpartnerschaftlichen Organisationsgebäudes, der auf eben diesem gesetzlichen Grund ruht, der erodiert werden soll.

Schwer einzusehen ist für den Praktiker, warum ein System, wie das des österreichischen Neokorpo-ratismus, das sich in den vergangenen Jahrzehnten so hervorragend bewährt hat und weltweit von nationalökonomisch und wirtschaftspolitisch Interessierten studiert wurde, auf einmal - nur weil zwei überragende Persönlichkeiten wie Anton Benya und Rudolf Sallinger in den Ruhestand gegangen sind beziehungsweise bald gehen werden - nicht weiterfunktionieren soll. Es ist in den Zeiten der ersten großen Koalition entstanden, hat dann die Alleinregierung der ÖVP und der SPÖ mit Bravour überstanden. Was heißt „überstanden“! Es hat diese Alleinregierungen überhaupt erst so klaglos funktionsfähig gemacht, es hat auch die Kleine Koalition SPÖ/FPÖ über die Runden gebracht, was gar nicht so leicht war und sich auch in der zweiten großen Koalition - nur mit umgekehrten Vorzeichen - hervorragend bewährt.

Viele reden von Reform, aber konkrete Vorschläge liegen nicht vor. Werden sie vorgelegt, kann man sicherlich beraten, was davon nützlich und zweckentsprechend ist. Nur aus Prinzipienreiterei sollten wir aber nichts ändern. Prinzipientreue haben wir immer gerne unseren deutschen Brüdern überlassen, die sich ja immer noch - und gar nicht so erfolgreich - redlich bemühen, die Demokratie auf den Begriff zu bringen.

Die reine Lehre ist nicht unsere Sache, unsere Stärke ist die Improvisation, unsere Lebensform das Dauerprovisorium. Wenn mit Hinweis auf die Sozialpartnerschaft der Beweis geführt wird, daß wir auch zur parlamentarischen Demokratie ein schlampertes Verhältnis haben: nun gut, auch die Schlamperei gehört zu unserem Nationalcharakter.

Der Autor ist Vizepräsident der Österreichischen Nationalbank.

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