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Ein wenig erfreuliches österreichisches Phänomen ist die weit verbreitete Interesselosigkeit der österreichischen Öffentlichkeit an der Außenpolitik. Gewiß ist der Rang der internationalen Beziehungen von kleinen Staaten nicht derselbe wie der der Großmächte, denn immer noch bestimmen militärisches und ökonomisches Potential das Gewicht, über das ein Staat in der Weltpolitik verfügt. Es wäre aber verfehlt, daraus den Schluß zu ziehen, daß den kleinen Staaten deshalb überhaupt kein Einfluß in der Weltpolitik zustünde, so daß die Außenpolitik solcher Länder auch des notwendigen Interesses ihrer Staatsbürger entbehren müßte.

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Ein wenig erfreuliches österreichisches Phänomen ist die weit verbreitete Interesselosigkeit der österreichischen Öffentlichkeit an der Außenpolitik. Gewiß ist der Rang der internationalen Beziehungen von kleinen Staaten nicht derselbe wie der der Großmächte, denn immer noch bestimmen militärisches und ökonomisches Potential das Gewicht, über das ein Staat in der Weltpolitik verfügt. Es wäre aber verfehlt, daraus den Schluß zu ziehen, daß den kleinen Staaten deshalb überhaupt kein Einfluß in der Weltpolitik zustünde, so daß die Außenpolitik solcher Länder auch des notwendigen Interesses ihrer Staatsbürger entbehren müßte.

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Wenn wir die internationalen Funktionen in der Weltpolitik sehr global charakterisieren sollten, müßten wir zu folgender Einteilung gelangen: da sind einmal die drei Großmächte dieser Erde, USA, UdSSR und China, die jede für sich eine eigenständige Außenpolitik verfolgen. Die Vereinigten Staaten von Amerika, die nach Ende des Zweiten Weltkrieges unbestritten die einzige beherrschende Großmacht gewesen sind, müssen sich nun diese Funktion mit den beiden anderen Großmächten teilen und zwar bezüglich der UdSSR, seit die Sowjetunion über die Atomwaffe verfügt, die die Vereinigten Staaten zu Kriegsende bekanntlich allein besessen hatten und mit China, seit dieses Reich' mit 900 Millionen Menschen sich vor drei Jahren einen Platz auf der Bühne der großen internationalen Politik schuf. Die Konsequenzen dieser „Machtteilung“ — wenn wir es so nennen wollen — konnten wir in der kommunistischen Etablierung in Kuba und in dem weitgehenden Rückzug der USA aus Südostasien sehen, während die amerikanische machtpolitische Prädominanz in Westeuropa unverändert blieb und zwischen Suezkanal und Jordanfluß offensichtlich sogar zugenommen hat. Korrespondierend mit dieser Entwicklung verstärkt sich der sowjetische Einfluß im zentralafrikanischen und südostasiatischen Raum, in welchen Gebieten auch die chinesische Präsenz deutlich zugenommen hat.

Man kann diese Entwicklung nicht charakterisieren ohne auch daran zu erinnern, daß seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein bis dahin unter die Großmächte zu rechnendes Land völlig aus dieser Reihe ausgeschieden ist: Großbritannien.

Neben den drei Großmächten entwickelten sich in den letzten 30 Jahren aber andere Gemeinschaften auf stärkerer oder loserer Basis. Da ist zunächst einmal die sowjetische Hegemonie über jene europäischen Länder zu nennen, die gemeinhin die Oststaaten genannt werden und sich im „Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe“ (COMECON) unter sowjetischer Führung organisierten. Diese sich nur nach außen hin als bloß wirtschaftliche Gemeinschaft darstellende Konstruktion basiert bekanntlich in Wirklichkeit auf einer starken, in der kommunistischen Ideologie begründeten politischen Gemeinschaft, deren Integrität nicht zuletzt durch den Vertrag von Helsinki vom Westen anerkannt wurde. Außerdem werden die COMECON-Staaten durch bilaterale, militärische Hilfsverträge eng an die Sowjetunion gebunden. Der Warschauer Pakt bildet die völkerrechtliche Grundlage hiefür. Ihm steht die NATO gegenüber, in der sich die westeuropäischen Länder mit Ausnahme der Neutralen -ü der besondere Status von Frankreich kann hier außer Betracht bleiben — zu einem militärischen Bündnis zusammengeschlossen haben. Die gegenwärtig laufenden und bisher ergebnislosen Bemühungen um eine gegenseitige Verminderung dessen, was man die militärische Präsenz in Europa nennt, würden an dieser Konstruktion, auch wenn sie Erfolg haben sollten, nichts ändern. Abrüstungsverträge haben bisher bekanntlich noch nie einen Krieg verhindert, sie haben sich stets als vergeudeter Zeitaufwand herausgestellt. Es wäre auch völlig irrig, anzunehmen, daß die Sowjetunion unter den gegenwärtigen Verhältnissen eine Schwächung ihrer militärischen Potenz in Europa hinzunehmen bereit wäre. Diktaturen sind nun einmal auf dem Sektor der militärischen Macht auch dann nicht konzessionsbereit, wenn ihre allgemeine Politik auf eine friedliche Entwicklung ausgerichtet ist. Das sollte man im Weißen Haus berücksichtigen. Der Umstand, daß außer den Neutralen drei europäische Staaten, nämlich Spanien, Jugoslawien und Finnland, keiner der beiden militärischen Gemeinschaften angehören, ändert nichts an den gegebenen Positionen. Von Spanien hört man in letzter Zeit, daß angeblich Gespräche über eine Beteiligung dieses neuen Königreiches an der NATO laufen sollen, Jugoslawiens Stellung als eigenständiges kommunistisches Land liegt im Zwielicht, das sich wahrscheinlich in der Zeit nach Tito so oder so klären wird, und Finnland hat bekanntlich einen Beistandsvertrag mit der Sowjetunion, ein Faktum, das die von der finnischen Regierung mühsam betriebene Neutralitätspolitik in einem besonderen Licht erscheinen läßt.

In dieses buntfarbige Bild mit seinen verwirrenden Aspekten gehören auch die drei Neutrajen in Europa: Österreich, Schweden und die Schweiz, die einzigen Staaten dieser Welt, deren völkerrechtlicher Neutralitätsstatus allgemein anerkannt wird. Aber auch hier ist das Bild nicht in allen Farbnuancen das gleiche. Die eidgenössische Neutralität, die historisch älteste, ist — wenn man es so bezeichnen will — eine Neutralität der Absenz. Die Schweiz gehört aus Neutralitätsgründen nicht den Vereinten Nationen an, weil es nach eidgenössischer Auffassung für einen neutralen Staat nicht möglich ist, einer internationalen Gemeinschaft mit supranationalem Charakter anzugehören. Die Zugehörigkeit zu den Vereinten Nationen verlangt gewisse Souveränitätsverzichte, die nach klassischer Völkerrechtslehre für einen neutralen Staat nicht erlaubt sind. Österreich hat sich bekanntlich dieser Auffassung nicht angeschlossen und schon bei den Verhandlungen um den Staatsvertrag seine von den Vertragspartnern anerkannte Absicht kundgetan, trotz des Neutralitätsstatus vollberechtigtes Mitglied der Vereinten Nationen zu werden. Den gleichen Standpunkt nimmt Schweden ein, das sich aber in seiner Neutralitätspolitik von den beiden anderen Neutralen insofern wesentlich unterscheidet, als sich Regierung und Parlament von Schweden nicht scheuen, eindeutige Stellungnahmen zu außen- und innerpolitischen Entwicklungen anderer Länder oftmals recht massiv zu beziehen. Dieses verwirrende Bild, das uns die Weltpolitik von heute bietet, ist eigentlich Anlaß genug, daß man sich auch in neutralen Ländern mit der Außenpolitik ununterbrochen beschäftigen sollte. Die Beobachtung der politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in der ganzen Welt und die ständige Prüfung der eigenen Position sind auch für einen Neutralen eine seiner Existenzgrundlagen. Wenn daher eingangs die bedauerliche Feststellung gemacht wurde, daß das Interesse an diesen Dingen gerade in unserem Lande in der Öffentlichkeit mehr als zu wünschen übrig läßt, so ist dies ein Faktum, das dringend einer Änderung bedarf. Bedauerlicherweise vernachlässigt man dieses Postulat unserer österreichischen Existenzpolitik aber weitgehend. Höchst selten befaßt sich das Parlament mit außenpolitischen Fragen und noch seltener kann man ein notwendiges Echo in der österreichischen Öffentlichkeit feststellen. Es steht hier in erster Linie gar nicht zur Diskussion, ob eine außenpolitische Aktivität der Bundesregierung im Einzelfall zu begrüßen oder abzulehnen ist, sondern es ist zu bedauern, daß ganz offensichtlich weder die Regierungspartei noch die Opposition der Außenpolitik das notwendige Ausmaß an Interesse und Publizität entgegenbringen. Für ein Land wie Österreich mit seiner mehr als bescheidenen internationalen Kapazität und in seiner geographischen Situation sollte die Außenpolitik ein Gegenstand allgemeinen ständigen Interesses sein, gleichgültig, ob man unter den Parteien einen außenpolitischen Konsens oder eine Konfrontation zwischen Regierungspartei und Opposition für sinnvoll hält. Bei uns aber liegen die Dinge so, daß 'die außenpolitischen Aktivitäten im wesentlichen allein von der Bundesregierung gesetzt werden, ohne daß die Regierungspartei diese besonders öffentlichkeitswirksam unterstützen oder die Opposition ein eigenes außenpolitisches Konzept entwickeln würde. Wie aber soll unter solchen Umständen das nötige Interesse einer breiten Öffentlichkeit an der österreichischen Außenpolitik überhaupt geweckt werdep?

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