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Viele Bauern leben in Armut

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Seit 1960 haben wir in Österreich ein Landwirtschaftsgesetz. Dieses Gesetz sieht Maßnahmen zur Sicherung der Ernährung sowie zur Erhaltung eines wirtschaftlich gesunden Bauernstandes vor. Mit einem Selbstversorgungsgrad von 84 Prozent im Wirtschaftsjahr 1976/77 haben die österreichischen Bauern die Ernährung in einem sehr hohen Ausmaß gesichert. Dafür gebührt den Bauern ein entsprechendes Einkommen, das aus den Zielen des Landwirtschaftsgesetzes abzuleiten ist:

• Erhaltung eines wirtschaftlich gesunden und leistungsfähigen Bauernstandes

• Der Landwirtschaft und den in ihr

beschäftigten Personen ist die Teilnahme an der fortschreitenden Entwicklung der österreichischen Volkswirtschaft zu sichern

Zur Feststellung der wirtschaftlichen Lage der Land- und Forstwirtschaft wird alljährlich der sogenannte „Grüne Bericht“ vom Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft erstellt. Danach sind für 1977 die einkommenspolitischen Zielsetzungen für die österreichischen Bauern eindeutig und klar verfehlt worden.

Die Wertschöpfung der Land- und Forstwirtschaft verringerte sich gegenüber 1976 real um 3 Prozent. Der langfristige Trend des Absinkens des Beitrages zum Bruttonationalpro-dukt setzte sich weiter fort und ging von 5,4 Prozent (1976) auf 4,9 Prozent (1977) zurück. Der Beitrag der Land-und Forstwirtschaft zum Volkseinkommen zeigt einen ähnlichen Verlauf. Zu niedrige agrarische Erzeugerpreise haben diese Entwicklung entscheidend mitbestimmt.

Das agrarische Außenhandelsbilanzdefizit erreichte die Rekordmarke von 14 Milliarden Schilling und verringerte dadurch die Einkommensmöglichkeiten für die Bauern und die vor- und nachgelagerten Wirtschaftsbereiche. Der Preisindex der Betriebseinnahmen stieg um 0,2 Prozent, der Preisindex der Gesamtausgaben aber um 6,9 Prozent. Die Verzinsung des Aktivkapitals war mit 1,2 Prozent 1976 bereits sehr niedrig. 1977 ging sie auf 0,3 Prozent zurück und verlor damit drei Viertel des Vorjahreswertes.

Österreich ist nach dem „Grünen Bericht“ in acht Hauptproduktionsgebiete eingeteilt. Der Rohertrag deckte nur noch in drei Produktionsgebieten - hier wieder nur in den größten Betrieben - die Produktionskosten. Der Großteil der Betriebe kommt nur deswegen wirtschaftlich über die Runden, weil durch Konsumverzicht von den niedrigen landwirtschaftlichen Einkommen wieder 25 Prozent und mehr in den Betrieb investiert werden.

Durchschnittseinkommen betrug 5836 Schilling

. Das durchschnittliche landwirtschaftliche Einkommen einer Familienarbeitskraft betrug 1977 5836 Schilling brutto je Monat. Die zwei-prozentige nominelle Steigerung gegenüber 1976 wird durch die Inflationsrate in einen realen Einkommensverlust von etwa 3,5 Prozent verwandelt'

Viele Bauern gehen auch einem Zu- oder Nebenerwerb nach oder beziehen Einnahmen aus dem Fremdenverkehr. Für die Bergbauern gibt es in bestimmten Regionen Bergbau-ernzuschüsse bzw. Bewirtschaftungsprämien. Dieses gesamte Erwerbseinkommen inklusive öffentlicher Zuschüsse betrug 1977 6626 Schilling brutto je Monat. Ein realer Einkommensverlust von etwa 2,5 Prozent ist wieder die Folge der Inflationsrate.

Das österreichische Institut für Wirtschaftsforschung hat nachge-

wiesen, daß die Gehälter und Löhne der unselbständig Erwerbstätigen um acht Prozent gestiegen sind. Der Bericht über die soziale Lage 1976/77 des Sozialministeriums weist eine Steigerung der Nettomasseneinkommen um 9 Prozent auf. In beiden Fällen resultieren reale Einkommensverbesserungen bei den unselbständig Erwerbstätigen, während die österreichischen Bauern reale Einkommensverluste getroffen haben.

Das gesamte Erwerbseinkommen inklusive öffentlicher Zuschüsse einer bäuerlichen Familienarbeitskraft betrug 1977 6626 Schüling je Monat, das Einkommen eines Industriebeschäftigten 12.099 Schilling je Monat. Damit erreichte der Einkommensabstand der Bauern 1977 die bisherige Höchstmarke von 5473 Schilling je Monat, während der Rückstand im Jahre 1970 noch 2243 Schilling jeMo-nat betragen hat.

Die Gesellschaft für Konsum-, Markt- und Absatzforschung sowie das Meinungsforschungsinstitut Dr. Fessel kamen 1976 zu erschreckenden Ergebnissen. So wurden bei-spielsweise in sechs Berufsgruppen 26 Haushaltsbesatzdaten für typische Güter eines gehobenen Lebensstandards erhoben. Unter diesen 26 Merkmalen waren beispielsweise Fragen nach der Ausstattung mit einem Photoapparat, Fernsehapparat, Sparbuch, Diaprojektor, fließendes Warmwasser, Staubsauger, Kühlschrank usw. Bei 50 Prozent, also 13 der 26 untersuchten Merkmale, hatten die selbständigen Landwirte die geringste Ausstattung aufzuweisen.

Gleichzeitig damit wurde auch die Einkommensstruktur der österreichischen Haushalte erhoben. Bei einem Haushaltsnettoeinkommen von unter 3000 Schilling je Monat waren die selbständigen Bauern mit einem 20prozentigen Anteil am stärksten vertreten.

13 Prozent der Bauern unter der Armutsgrenze

Nach dem „Grünen Bericht“ haben 1977 im Durchschnitt 13 Prozent der bäuerlichen Betriebe ein Einkommen erwirtschaftet, das unter der sogenannten „Armutsgrenze“ nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz liegt.

Im Budget müssen die einzelnen Ansätze auf die tatsächlichen Erfordernisse der Land- und Forstwirtschaft abgestimmt werden. Mit den derzeit im Bundesfinanzgesetz vorgesehenen Mitteln kann eine wirksame Förderung nach den einkommenspolitischen Zielen des Landwirtschaftsgesetzes nicht mehr durchgeführt werden.

Die Agrar- und Ernährungswirtschaftsordnung würde als umfassende Dauerregelung wichtige Impulse für die Einkommensverbesserung der bäuerlichen Bevölkerung setzen. Besonders im Bereich der Agrarpreispolitik würde ein Richtpreissystem eine neue sachliche Basis bieten.

Das agrarische Außenhandelsbilanzdefizit muß mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zügig abgebaut werden, damit die Einkommensmöglichkeiten für die Land-und Forstwirtschaft erweitert werden. Fünf Milliarden Schilling importierte Agrarprodukte entsprechen nach Untersuchungen des österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung 30.000 bäuerlichen Arbeitsplätzen. Die Arbeitsplatzsicherung muß, wenn sie erfolgreich sein soll, auch die Land- und Forstwirtschaft miteinbeziehen.

(Leiter des Instituts für Agrarpolitik in der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern)

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