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Digital In Arbeit

Viele fromme Wünsche

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Zur Einstimmung des österreichischen Katholikentages 1983 wird der Delegiertentagung (29. April bis 1. Mai) ein Arbeitspapier vorgelegt, das die Arbeit, die Mühsal langer, umsichtiger, sorgfältiger Bemühungen verdichtet.

Hoffnung ist das Panier, ist die Fahne. Hier wird nun ein großer Wunschkatalog präsentiert, ein Abc frommer Wünsche: für Kirche, Christen, Welt. Es wird kaum eines der großen Themen ausge-

klammert, wohl aber hier versammelt; die Sache der Kirche, des Friedens, der Arbeit (Arbeitslosigkeit), der ökumenischen Bildung, der Kunst und Kultur, der ethnischen Minderheiten.

Ein Satz wird auch, in Berufung auf den Apostel Paulus, den Juden gewidmet: es ist „uns eine besondere Hochschätzung des Judentums aufgetragen; diese schließt jeglichen Antisemitismus aus“. Da eine überwiegende schweigende Mehrheit von Österreichern aller Farben und politischen Bekenntnisse an einem subkutanen, unter der Haut liegenden latenten Antisemitismus leidet, ist dieser Satz hier richtig am Platz.

Was fordert nun heraus zu einigen fairen, kritischen Bemerkungen zu diesem Wunschkatalog? Es ist die schlichte Tatsache: es sind Wünsche, fromme Wünsche, die in den ganz offenen und ganz verhangenen Raum der Wirklichkeit gestellt werden. Wünsche von Erwachsenen, von Besorgten, von Ergriffenen, von Gläubigen, nicht Wünsche von Kindern. Und es sind Forderungen, die dem Christen abverlangt werden.

„Der Christ weiß, daß das von Gott nach Seinem Bild geschaffene Leben eine unverletzbare Würde und einen aller menschlichen Verfügung entzogenen, unantastbaren Wert hat. Jede Verletzung und Kränkung eines Menschen ist eine Mißachtung Gottes.“ Wer ist der Christ? Der Christ aus der Schar der einen Milliarde statistisch genannter Christen, die so leben wie die anderen Menschen auch? Keine Produktion der Superwaffen, die in jeder Minute Millionen kosten, keiner der 500.000 Wissenschafter, der Millionen Arbeiter, die täglich mit der End-Rüstung befaßt sjnd, wird durch die überwältigende Mehrheit der Christen auch nur eine Minute behindert.

Wer ist „der Christ“, der in Österreich die apokalyptische Situation existentiell, in seinem Leben realisiert, auf sie reagiert mit Gedanken, Worten und Werken? Ja, es sind einzelne und Einsame und einige Gruppen, die man bis vor kurzem maßlos beschimpft, denunziert, lächerlich gemacht hat: in diesem österreichischen Katholizismus, nach 1945, in dem sich, was übersehen wird, sehr viel von der Mentalität der Zeit vor 1914, der Bürgerkriegsatmosphäre der Ersten Republik, erhalten hat. Was an Leserzuschriften und mündlichen „Reaktionen“ täglich erkundet werden kann, wenn man so umfrägt…

„Die Christen“ werden aufgefordert zu einer „ständigen Auseinandersetzung mit den schöpferischen Kräften, mit Dichtern und Künstlern…“ Zufällig las ich (ich glaube nicht an Zufall, wohl aber an Fügung) die vorzüglich redigierten „Blätter“ der Katholischen Hochschulgemeinde Wien: eine einzige bewegte Klage über die

Tatsache, daß die sicher sehr aufwendigen künstlerischen Veranstaltungen im Raum der Gemeinde, Dichterlesungen, Theateraufführungen, Bilderausstellungen sozusagen unter Ausschluß stattfanden: die Studenten interessierten sich in keiner Weise für Kunst, Kultur, die hier ihnen dargeboten wird.

Nach wie vor herrscht weithin Berührungsangst bei „den Christen“, konkret: bei den in ihren geschlossenen Gemeinden lebenden Kirchen-Christen, gegenüber allem „Neuen“: also vor Struk-, turänderungen in Gesellschaft, Wirtschaft, Leben, Spiritualität, Glaubensstil, Lebensstil. Das Vakuum, das sich da auftut, macht nicht nur jedem politisch wachen Menschen, sondern gerade dem Ergriffenen sehr zu schaffen. Es ist ein frommer Wunsch, der in diesem Vakuum schwebt, wenn dieser Wunschkatalog Gegenteiliges versichert

„Sehnsucht nach einem umfassenden Frieden“: hier, auf dem Papier. „Der Christ wird dem Glück des anderen den Vorrang einräumen.“ Wo tut er das? „Wir sind unterwegs zu einer neuen Gemeinschaft von Frauen und Männern“, Berufung auf Jesus. In Österreich schweigen die Frauen nach wie vor: kein Phänomen hier wie die nordamerikanischen katholischen Nonnen, die als Theologinnen eine Frauentheologie ersten Ranges geschaffen haben, die, wie evangelische Theologinnen in der Bundesrepublik (man lese das „Allgemeine Deutsche Sonntagsblatt“, Hamburg), „die Weiblichkeit Gottes“, die Verklebungen und Verkleisterungen der Frau bereits sehr früh in der Kirche aufhellen.

„Unsere Jugend gibt Hoffnung, sie braucht unser Vertrauen“: Kirche in Österreich kennt nicht die schweren Auseinandersetzungen, in denen katholische Jugendverbände in der Bundesrepublik Deutschland seit Jahrzehnten mit dem Episkopat stehen. Bei uns geht das Patronisieren und Uberherrschen verdeckter zu. Ein Trost? Nein. Immer noch wird über die Jugend befunden, zu wenig junge Menschen als gleichberechtigte Partner in den notwendigen Auseinandersetzungen über gegenwärtige und zukünftige Lebensfragen angenommen.

„Wenn junge Menschen abseits stehen, liegt dies an ihnen, häufiger jedoch am Fehlen von Priestern und Laien, die sich ihrer annehmen urtd ihnen die Kirche erschließen.“ Nein, nein, nein: man lasse doch endlich dieses Patronisieren! Junge Menschen wissen oft besser, was heute zu tun, zu fragen, neu zu machen ist in Kirche und Welt!

Das Arbeitspapier sagt über Krieg und Frieden recht pauschal, was heute Allerweltsgerede ist. Es sagt nichts über die konkreten Aufgaben eines Lebens in Konflikten, eines Lebens, das Konflikte erhellt, durchschaut, analysiert, in ständiger Aufnahme der Konflikte in den Mitmenschen, der Konflikte, wie sie große weltpolitische Gegner handfest, material verkörpern.

Alle diese Wünsche wollen doch wohl als eine Einladung verstanden werden, ernst zu machen mit der Sache des jungen Mannes aus Galiläa, mit der Sache Gottes, mit der Sache des Menschen, hier, heute.

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