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Viele gute Papstworte

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Wo steht die katholische Kirche in Deutschland zu Beginn des Jahres 1993? Wie sieht sie der Papst? Beobachtungen nach dem Ad-limina-Besuch der deutschen Bischöfe in Rom.

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Wo steht die katholische Kirche in Deutschland zu Beginn des Jahres 1993? Wie sieht sie der Papst? Beobachtungen nach dem Ad-limina-Besuch der deutschen Bischöfe in Rom.

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Es wird immer wieder in Deutschland darüber geklagt, daß der Funkverkehr zwischen Rom und den deutschen Katholiken gestört sei. Die Sexualmoral wird da besonders häufig als Grund genannt, aber auch so manche Bischofsernennungen schienen noch vor wenigen Jahren zumindest zeitweilige Funkstörungen erkennen zu lassen. Und heute genießt dieser Papst - wie in anderen Ländern Europas ebenfalls - längst nicht mehr jene ungeteilte Zustimmung, die ihm einst bei seinem ersten Papstbesuch 1980 zuteil wurde.

Das könnte sich jetzt eigentlich wieder ändern, denn Johannes Paul IL, der in Deutschland immer wieder die Zielscheibe für Kirchenkritik ist, fand während des Ad-limina-Besu-ches ausgesprochen freundliche Worte über die Kirche in Deutschland. Ungefragt erzählten die aus dem Norden angereisten Bischöfe bereits während ihres Romaufenthaltes von einer beeindruckenden Atmosphäre des „wirklichen Dialogs”.

Und es fiel auf, daß der Papst über die Situation der Kirche in Deutschlandoffensichtlich bestens informiert war. Kein einziges Mal sprach er in seinen vier großen Reden über Fragen der Sexualmoral. Dafür umso mehr über die Weitergabe des Glaubens, über Neuevangelisierung Europas, über Jugend und Kirche, über den Religionsunterricht, über Ökumene, über Lebensschutz der Ungeborenen, über Asylfragen und über die Hospizbewegung. Die deutschen Bischöfe erlebten einen Papst, der Bescheid wußte und sich in einer lebensnahen Sprache ausdrückte. Vielleicht hängt das auch mit dem vergangenen Jahr, das diesem Papst schwere Operationen abverlangte, zusammen. In der unmittelbaren Begegnung ist ein alt gewordener Petrusnachfolger zu erleben, dessen Ausstrahlung eher noch zugenommen hat, der noch konzentrierter und entschlossener wirkt als zuvor.

Lob für Religionslehrer

Zufrieden zeigten sich alle Bischöfe, nachdem sie aus Rom zurückgekommen waren. Der Papst hatte sie ermutigt und vieles gesagt, ohne den Zeigefinger zu erheben. „Euer pastoraler Dienst”, so schrieb er zum Beispiel seinen Gästen ins Hirtenbuch, „wird sich besonders mit Ehe und Familie befassen müssen”. Dazu gehöre eine „solide Vorbereitung der Jugendlichen auf Ehe und Familie”, und es sei „von entscheidender Wichtigkeit, daß sie von kundigen Erwachsenen zur Zeit ihrer Ausbildung begleitet werden, die ihnen auf Fragen klare und überzeugende Antworten geben können”. Eltern müßten wieder daran erinnert werden, daß „es eine von Gott ihnen auferlegte Verpflichtung ist, die christliche Wertordnung durch ihr Wort und ihr Leben ihren Kindern zu vermitteln”. Die Familie sei und bleibe der Ort der ersten religiös-sittlichen Erziehung.

Viel Lob vom Summus Pontifex bekamen die Religionslehrer in Deutschland. Dem Religionsunterricht komme eine „herausragende Bedeutung” zu, weil er für viele junge Menschen „heute der einzige Ort ist, wo sie der Botschaft des Glaubens begegnen und am Leben der Kirche über eine verhältnismäßig lange Zeitspanne hin regelmäßig teilhaben können”. Freilich, so der Papst, haben es die Religionslehrer immer schwerer. Der „Verlust an Transzendenz, ein gewandeltes Wertebewußtsein sowie die wachsende Indifferenz gegenüber Glaube und Kirche” seien nur „einige Phänomene, die das Umfeld der Schule und die Arbeitswelt der Religionslehrer nachdrücklich bestimmen”. So werde der Religionsunterricht „gewissermaßen zum vorgeschobenen Außenposten einer pluralistischen Gesellschaft”, diagnostizierte Johannes Paul IL, der gerade deshalb nichts von einem konfessions-übergreifenden Religionsunterricht hält, gewiß nicht nur für Deutschland.

Offensichtlich hatte der Papst auch in diesem Fall die Jugend in Deutschland im Blick, und mit ihr manche Entwicklungen, die auch vielen Deutschen Sorgen bereiten. Denn der Religionsunterricht, so Johannes Paul IL, leiste einen „entscheidenden Beitrag zu einer umfassenden Erziehung der Jugend. Er beharrt dort auf unverzichtbaren Werten, wo sich die menschliche Ratio sonst überschätzt oder wie ein übersteigerter Individualismus und eine konsumorientierte Lebensweise die Oberhand gewinnen können”. Und schließlich ermögliche es der Religionsunterricht, „durch das von ihm vermittelte Gottes- und Menschenbild, die neuaufkommenden Ersatzgötter und Ersatzreligionen, vom Okkultismus bis hin zum menschenverachtenden Nationalismus und Rassismus, klar zu erkennen und sich davon zu distanzieren”.

Schutz des Lebens

Daß der Papst offenbar auch weiß, wie zum Beispiel viele Jugendliche in Deutschland denken, was sie bewegt und wonach sie sich sehnen, wird dem Nuntius in Deutschland, Erzbischof Lajos Kada, als Verdienst angerechnet. Ihm ist es ein Anliegen, das deutsch-römische Verhältnis zu entkrampfen. Ein Bemühen, dessen erste Ergebnisse der Ad-limina-Besuch mit seiner guten und, so nannte es ein Bischof noch während seines Rom-Aufenthaltes, „fairen Atmosphäre” zeigte. Der Papst sprach im Blick auf die Jugend von der „Partialisierung der verschiedenen Lebensbereiche”, der junge Menschen „heute eine tiefe Sehnsucht nach Ganzheit” entgegensetzten. Darauf müßte die Pastoral antworten, sie müsse das Gefühl vermitteln, „in der Gemeinschaft beheimatet zu sein”.

Ausdrücklich lobte Johannes Paul II. - wohlwissend, daß in diesen Wochen das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe über die Neuregelung des Abtreibungsparagraphen berät - alle „Aktionen für das Leben, bei denen Katholiken, Christen anderer Konfessionen und Menschen guten Willens, die sich nicht zu einer religiösen Gemeinschaft bekennen, gemeinsam ihre Überzeugung vom unverletzlichen Wert des menschlichen Lebens vom Augenblick der Empfängnis an bis zum natürlichen Tod zum Ausdruck gebracht haben”. Der Schutz des Leben sei kein speziell kirchliches Anliegen, sondern eine Forderung der Humanität und der Menschenwürde. Hilfe für „in Bedrängnis geratene Frauen, auch dann, wenn sie sich gegen das beginnende Leben entschieden haben”, sei unerläßlich. Die Kirche handle „im Sinne der Frauen, wenn sie hilft, Abtreibungen zu verhindern”.

Als eine besondere Herausforderung für die Christen in Europa sieht der Papst die Frage, wie künftig mit Sterbenden umgegangen wird und ob es der Kirche gelingen wird, eine gute Kultur der Sterbebegleitung zu entwickeln: „Mein Dank und unser aller Ermutigung gilt jenen Christen, die den alten und zugleich hochaktuellen Gedanken der Hospizbewegung wiederbeleben. Wichtiger als der Bau oder Erwerb eines weiteren Krankenhauses in katholischer Trägerschaft, in dem gute Ärzte mit modernsten Geräten operieren können, und wichtiger als etwa die erneute Renovierung eines Tagungshauses wird künftig die Förderung von Institutionen sein, die sich für die katholische Sterbebegleitung einsetzen.” Deutschland brauche Hospize als „Inseln der Humanität”.

Vor allem der Kölner Kardinal Joachim Meisner wird solche Worte gerne gehört haben. Er empfiehlt der

Kirche in Deutschland nämlich eine -man möchte es so formulieren - Ent-schlackungs- und Entrümpelungskur. In Rom sprach er davon, daß „die extensive Präsenz der Kirche” größer sei als „ihre intensive Präsenz”. Die „Glaubensdichte entspricht nicht mehr der gesellschaftlich weit verästelten Tätigkeit, und diese Diskrepanz zwischen innen und außen” zehre an den Kräften. Daher müsse die ausufernde Verästelung zurechtgeschnitten werden, denn „der Leib Christi braucht ein passendes Kleid. Ein zu großer Anzug” gebe die Kirche dem Spott der heidnischen Umwelt preis und vermindere ihre Glaubwürdigkeit.

Phase der Besinnung

Vor allem die vierte Ansprache des Papstes mit ihren klaren Aussagen zur Hospizbewegung und der Mahnung, sich wieder auf das unterscheidend Christliche und Wesentliche zu konzentrieren, wirkt wie eine Bestätigung solcher Gedanken. So deutet manches daraufhin, daß sich die Kirche in Deutschland in einer Phase der Besinnung befindet. Es gibt zwar immer noch leidenschaftliche Debatten über den Zölibat und das Frauen-priestertum, es gibt auch zahlreiche, teils berechtigte Klagen über mangelnde Dialogbereitschaft zwischen Amtsträgem und Laien. Doch die päpstliche Botschaft, die die Bischöfe aus Rom mitbrachten, war eindeutig: Laßt euch nicht „einspannen in ein ständiges selbstmitleidvolles Klagen, das heute leider einen Teil der Kirche in Deutschland kennzeichnet.”

Von der neuen deutschen Weinerlichkeit, die so viele Kräfte absorbiert, die für die Lösung der Probleme und für die Wiederentdeckung des Wesentlichen gebraucht werden, scheint Johannes Paul II. nichts zu halten. Mehr noch: Er traut den Katholiken in Deutschland offensichtlich viel zu.

Martin Lohmann ist Ressortleiter „Christ und Welt” des „Rheinischen Merkur” in Bonn.

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