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Viele Häuptlinge, zu wenig Indianer

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Daß es bei der Volkspartei nicht klappt, liegt für Andreas Khol nicht an Programmen, sondern an Programmanwendern. Außerdem werden intern falsche Themen diskutiert.

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Daß es bei der Volkspartei nicht klappt, liegt für Andreas Khol nicht an Programmen, sondern an Programmanwendern. Außerdem werden intern falsche Themen diskutiert.

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Reinhold Knoll unterstellt der Volkspartei in der FURCHE 50/ 1987 eine falsche Therapie mit dem Nihilismus und meint, daß der Ratzinger-Denkanstoß für die Politik ernsthaft diskutiert werden müsse. Da hat er recht -was Joseph Ratzinger betrifft.

Was Reinhold Knoll hier für die Volkspartei abzuleiten glaubt, und welche Gedanken er mit welchen Personen verbindet, ist ganz einfach falsch.

Als erstes führt Knoll die Mitteleuropaidee an und meint, die Volkspartei habe Österreich eine unselige Mitteleuropaidee aufgegeben, „die wegen der realpolitischen Umstände nur auf dem Weg einer Ostblockisierung“ erreicht werden könne, während die eindeutige Orientierung nach Westeuropa unterblieb. Die Volkspartei hat durch ihre parteioffiziellen Sprecher 1985 einen Europaantrag im österreichischen Parlament eingebracht, der einen Dreisprung nach Europa vorsieht: der letzte Sprung, zur Jahrtausendwende, wurde als die EG-Mitgliedschaft definiert. Was 1985 von der Volkspartei in der Opposition durch ihren Antrag im Parlament am 16. Dezember dargestellt wurde, ist inzwischen offizielle Regierungspolitik geworden.

Daß man aber gerade mir Schizophrenie im Zusammenhang mit Mitteleuropa vorwirft, ist ein Treppenwitz: Im „österreichischen Jahrbuch für Politik 1986“ habe ich mich vehement gegen den Mitteleuropa-Vorstoß Erhard Buseks ausgesprochen.

Auch im weiteren, im zweiten Vorwurf von Reinhold Knoll kann ich keinen Realitätsbezug, sondern nur Aufnahmeverweigerung erkennen: So wirft mir Knoll vor, ich verträte im Gegensatz zu Kardinal Ratzinger, die ÖVP könne nur durch eine weitere Ent-klammerung von Rationalität und Spiritualität erfolgreich sein. Gerade mir wirft er vor, im therapeutischen Nihilismus, der Politik nur in Inszenierungen und bunten Färbelungen, mich von der weltanschaulichen Basis der Volkspartei, nämlich dem Christentum, zu entfernen.

Unter dem Titel „Vorbote des Kurswechsels? Das Zukunftsmarufest der österreichischen Volkspartei“ analysierte ich bereits 1985 im „Jahrbuch für Politik“ die ideologische Entwicklung der Volkspartei seit 1970 und faßte wie folgt zusammen: „Das Zukunftsmanifest enthält eine ganze Reihe von christdemokratischen Wertvorstellungen und verändert daher den Charakter der Volkspartei als christlich-demokratische Partei nicht. Das ganze Zukunftsmanifest atmet christdemokratischen Geist, ist am christlich-demokratischen Menschenbild orientiert. Auch der Aufbau dieses Manifests ist naturrechtlich-christlichem Denken nachempfunden: der Mensch als Maß aller Politik wird in den Vordergrund gestellt. Die Vision der sozial gerechten Gesellschaft, der partnerschaftlichen Gesellschaft wird betont, das Heil aber nicht mehr im Staat allein gesehen. In starker Betonung der Grundwerte des menschlichen Lebens wird die Abtreibung abgelehnt, wird in der Bildungspolitik auf die Tugenden abgestellt, auf die Werte, ohne welche eine staatliche Gesellschaft nicht aufgebaut werden könne.“

Mir nun auch vorzuwerfen, ich orientierte die Volkspartei in einem ideologischen Bemühen am Wählerstromdenken, ist ganz einfach nicht aufrechtzuerhalten. Auch meine Ausführungen im gesellschaftspolitischen Forum der Volkspartei am 23. November 1987 in Wien gingen gerade auf das Gegenteil hin. Meine Thesen:

„Die ÖVP steckt in einer Krise. Manche glauben, es sei eine Krise der Programmatik (wir hätten keine Grundwerte). Manche stellen die Frage, ob wir uns den richtigen Wählern zuwenden (Stammwähler oder Randschichten). Mit den Programmen in der ÖVP ist es eher wie in der berühmten indianischen Armee: ,Zu viele Häuptlinge — zu wenig Indianer', das heißt, wir haben in der Volkspartei eher zu viel an Programmen, aber zu wenig Programmanwender: das Salzburger Programm (1972) mit seinen zentralen Grundwerten und das Zukunftsmanifest des Jahres 1985 mit seiner neo-konservativen Akzentsetzung zum Salzburger Programm.

Auf der Grundlage dieser Programme haben wir zahlreiche Aktionsprogramme für die Wahlen entworfen, Hunderte von gedruckten Seiten: die vier Pläne zur Lebensqualität, das Modell Österreich, die Pläne .Neue Wege für Österreich*, den Mock-Plan zur Wirtschaft... Also an Werten und Programmen mangelt es nicht, wohl aber an den Programmanwendern beziehungsweise der programmbewußten Politik. Vor allem versagen wir augenblicklich dabei, deutlich zu machen, daß unsere Werte und Programme in der Regierungsübereinkunft umgesetzt wurden, daß wir mit vollen Segeln dabei sind, diese Programme zu verwirklichen. Natürlich müssen dabei auch Kompromisse gemacht werden, denn wir sind ja in einer Koalition.

Die Fortschritte können sich sehen lassen und wären eigentlich Anlaß zur Befriedigung: die neue

Ordnung der Verstaatlichten, der Pensionsversicherung, der Krankenhausfinanzierung, die beginnende Steuerreform, die Gesundung des Staatshaushaltes, die Verländerung der Wohnbauförderung, die Privatisierung von verstaatlichten Betrieben. All dies wäre vor drei Jahren kaum denkbar gewesen, gehörte zu den Visionen. Heute ist es Realität.

Ein Grund unserer Krise ist, daß wir als Volkspartei die falschen Themen diskutieren: Personen- und Machtfragen; und nicht klarmachen, daß wir unsere Werte, die darauf beruhenden Programme und Vorschläge, zielstrebig durchsetzen. Wir können auch unsere Werte nicht glaubwürdig vertreten, wenn wir sie nicht selbst anwenden, also in der eigenen Partei, in der täglichen Parteiarbeit.

Es ist daher die Hauptaufgabe unserer Partei, glaubwürdig Programme zu vertreten. Es ist die zweite Hauptaufgabe der Partei, den geordneten Pluralismus in ihrem Inneren wieder herzustellen: die Vielfalt der Meinungen, die hundert Blumen, die blühen sollen, in der Diskussion — dann die Entscheidung, die respektiert und durchgeführt wird. Dies war immer die Stärke einer offenen Volkspartei.“

Dem brauche ich nichts hinzuzufügen. Ratzinger ist - zumindest bei mir - schon internalisiert worden.

Der Autor ist Abgeordneter zum Nationalrat und Direktor der Politischen Akademie der OVP.

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