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Viele neue Aufgaben und immer zu wenig Geld

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Wer besucht schon - von beruflichen Erwägungen abgesehen - freiwillig Kurse, Seminare oder andere Bildungsveranstaltungen? Die Freiwilligkeit, ein markantes Merkmal der Erwachsenenbildung, ist gleichzeitig eines ihrer größten Probleme. Wie kann der einzelne Staatsbürger zur Weiterbildung motiviert werden, wo es kaum möglich ist, seine Wünsche und Bedürfnisse festzustellen, fragt Heinz Lowak von der Abteilung für Erwachsenenbildung im Unterrichtsministerium. Und wenn die Medien über Erwachsenenbildung nicht informieren, ergänzt Dr. Gemot Stimmer, Generalsekretär des Verbandes österreichischer Bildungswerke. Dazu kommen die finanziellen Schwierigkeiten, die Verpolitisierung des Bildungsbereiches und der Mangel an klarer Sachorientierung.

Es sollte nicht die „materielle” Ausrichtung, sondern die allgemeine Erwachsenenbildung im Vordergrund stehen, meint Dr. Herbert Salzbrunn vom Wirtschafts-Förderungs-Institut (WIFI) und derzeitiger Sprecher der „Konferenz der Erwachsenenbildung Österreichs” (KEBÖ). Allgemeine Bildung und Berufsbildung lassen sich heute allerdings nicht mehr so leicht voneinander abgrenzen. Das Erlernen von Femdsp rachen etwa kann schon längst nicht mehr als reine Berufsbildung angesehen werden.

Zusammenschluß der Großen

Es ist auch für den Interessierten nicht ganz einfach, sich bei der Vielfalt des Angebotes zurechtzufinden. Zur Abstimmung ihrer Veranstaltungen und zur Vermeidung von Überschneidungen haben sich sieben große Erwachsenenbildungseinrichtungen 1972 auf freiwilliger Basis zur KEBÖ zusammengeschlossen. Dazu gehören einmal die vorwiegend auf Berufsbildung ausgerichteten Berufsförderungsinstitute des ÖGB und der Arbeiterkammern (BFI), die Ländlichen Fortbildungsinstitute (LFI) und die Wirtschaftsforderungsinstitute der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft (WIFI), dann der „Verband österreichischer Volkshochschulen”, wo neben den Sprachkursen (mit Zertifikaten) die Vertiefung eines breiten Wissens- und Informationsangebotes im Vordergrund steht. Der „Ring österreichischer Bildungswerke”, bestehend aus dem „Verband österreichischer Bildungswerke”, der „Arbeitsgemeinschaft Katholischer Bildungswerke Österreichs” und der „Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Bildungswerke”, tritt vor allem im ländlichen Raum auf und stellt religiöse, sittliche und kulturelle Fragen in den Mittelpunkt seiner Bildungsveranstaltungen.

Zum „Verband österreichischer Volksbüchereien” haben sich rund 2400 - darunter fast die Hälfte konfessionelle - Büchereien zusammengeschlossen. Senatsrat Dr. Rudolf Müller, Geschäftsführender Obmann des Verbandes, ist nach dreißigjähriger Erfahrung überzeugt, daß sich Leser einfinden, wenn nur das entsprechende Angebot da ist. Die .Arbeitsgemeinschaft der Bildungsheime Österreichs” verbindet ihre kurz- und mittelfristigen Seminare aus allen Bildungsbereichen mit gemeinsamem Wohnen.

Schon ein kurzer Überblick über die zahlreichen Einrichtungen der Erwachsenenbildung - es gibt noch andere außerhalb der KEBÖ - zeigt ein spezifisches Problem auf: Die Veranstaltungen der Volkshochschulen konzentrieren sieh in erster Linie auf den städtischen Bereich. Damit ist die Vermittlung von allgemeiner Bildung im ländlichen Raum speziell die Aufgabe der Bildungsheime und Bildungswerke.

Die gerechte Verteilung der Budgetmittel sollte laut Erwachsenenbildungsförderungsgesetz’ dadurch gesichert sein, daß die Erstellung des Jahresplanes im Einvernehmen mit den gesamtösterreichischen Einrichtungen erfolgt und Bauvorhaben nur dann gefördert werden, wenn „gesamtösterreichische und regionale Erfordernisse” vorliegen. Die Praxis sieht - denkt man etwa an das „Institut für politische Bildung” in Mattersburg - etwas anders aus. Dieses Projekt und die geplante ORF-Akademie, die keineswegs im Einvernehmen mit den Verbänden errichtet werden, gehen mit einem Betrag von rund zehn Millionen Schilling zu Lasten der Verbände. Einigermaßen günstig ist die Situation der berufsbildenden Verbände BFI, LFI und WIFI, die seit mehreren Jahren vom Sozialministerium mit jeweils rund acht Millionen Schilling gefordert werden.

Die Volkshochschulen erhalten aus dem Budget rund vierzig Prozent. Generalsekretär Prof. Arnold meint jedoch, daß nicht die Volkshochschulen zu viel, sondern alle Verbände insgesamt viel zu wenig gefördert werden. Den Büchereien wurden im Vorjahr für ganz Österreich rund 1,7 Millionen Schilling zugeteilt. Bund und Länder geben rund 15 Prozent an Subventionen, 85 Prozent werden von den Gemeinden zur Verfügung gestellt.

Nicht viel besser ist die Situation des „Ringes”. Er bekommt aus den Bundesmitteln rund 5,5 Millionen Schilling. Den 21 Bildungsheimen, die aufgrund ihres Heimbetriebes besonders hohe Kosten haben, stehen rund drei Millionen Schilling im Jahr zur Verfügung. Die Budgetmittelerhöhungen seit 1971 wurden zu einem großen Teil für zentrale Projekte und für die Erhöhung des Personal- und Sachauf- wandes der bundesstaatlichen Förderungsstellen verwendet (rund 20,5 Millionen von 70,5 Millionen des gesamten Budgets), wodurch die Basis der Verbände langsam, aber sicher „ausgehungert” wird, erklärt Dr. Stimmer. Nach Abzug der Projektforderung für die einzelnen Verbände verblieben diesen 1976 für ganz Österreich rund 24 Millionen. Zum Vergleich: Das gesetzlich verankerte Budget für die Politischen Akademien der Parteien ist nur um weniges niedriger als das für die gesamte Erwachsenenbildung Österreichs.

Senatsrat Müller bezweifelt, daß in der Erwachsenenbildung Chancengleichheit gegeben ist; da die Budgetmittel so gering sind, daß nur reiche Gemeinden ihre Erwachsenenbildungseinrichtungen gut ausstatten und gestalten können. Ein eigenes Erwachsenenbildungsgesetz, das die Büchereien miteinschließt, hält das Ministerium zwar für notwendig, in der Praxis würde das jedoch eine Verfassungsänderung bedeuten.

Die Ausbildung von Erwachsenenbildnern ist wohl auch ein finanzielles Problem, in erster Linie aber eine sachliche Frage. Im Gesetz heißt es, daß eine Förderung nur dann erfolgt, wenn die Gewähr für die Erreichung des angestrebten Erfolges gegeben ist, indem fachlich geeignete Mitarbeiter eingesetzt werden. Im „Bundesinstitut für Erwachsenenbildung St Wolfgang” in Strobl wurde 1975 ein Grundlehrgang eingerichtet, bis dahin hat es nur Lehrbriefe, Seminare und Tagungen zur Ausbildung gegeben. Die Erwachsenenbildung erfordert jedoch eine ganz spezifische Lehr-Qualität, die sicher nicht nebenbei erworben werden kann. Ab Herbst 1977 werden Themen der Erwachsenenbildung als alternative Pflichtveranstaltung auf den Pädagogischen Akademien eingeführt, aber auch diese Ausbildung kann bestenfalls eine Grundlage bilden. Dabei ist der Bedarf an qualifizierten Referenten und Mitarbeitern sehr hoch. Wäre nicht die Heranziehung eines angeblichen oder tatsächlichen Lehrerüberschusses für die Erwachsenenbildung ein Ausweg aus dem Dilemma?

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