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Viele Sympathien für den neuen Regierungschef Ecevit

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Bulent Ecevit, neuer Regierungschef der Türkei von der republikanischen Volkspartei, hat politisch einen ausgesprochen guten Start hinter sich: Der Sieger der Parlamentswahlen von 1977 war erst zum Jahreswechsel mit der Kabinettsbildung beauftragt worden, nachdem die knappe Mehrheit der interimistischen Rechtskoalition Suleiman Demireis zerbröckelt war.

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Bulent Ecevit, neuer Regierungschef der Türkei von der republikanischen Volkspartei, hat politisch einen ausgesprochen guten Start hinter sich: Der Sieger der Parlamentswahlen von 1977 war erst zum Jahreswechsel mit der Kabinettsbildung beauftragt worden, nachdem die knappe Mehrheit der interimistischen Rechtskoalition Suleiman Demireis zerbröckelt war.

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Seitdem hat Ecevit, der die alte ke-malistische Tradition der türkischen Republikaner in sozialdemokratischem Sinne weiterführt, die Vertrauensabstimmung im Parlament von Ankara (mit 229 von 450 Stimmen), das Vertrauen von UNO-Generalsekretär Waldheim in der Zypernfrage und die Unterstützung der USA gewonnen, deren Staatssekretär Vance Ecevit trotz Überlastung mit Nahostterminen persönlich in der türkischen Hauptstadt aufsuchte.

Ecevits Rückkehr an die Macht - er war schon vor vier Jtehren Ministerpräsident in Ankara - ist durch den Austritt von mehr als einem Dutzend Abgeordneten der konservativ-islamischen „Adalet-Partisi“ (Gerechtigkeitspartei) ermöglicht worden. Diese Partei hatte bei den vergangenen Juni-Wahlen den Kürzeren gezogen, sich aber durch eine Koalition mit den rechtsradikalen Nationalisten, deren „Führer“ Necmettin Erbakan und Al-paslan Türke sind, an der Macht halten können. Die radikalen Splitterparteien der nationalen „Rettung“ und „Bewegung“ erlangten so viel stärkeren Einfluß auf die Politik von Ministerpräsident Demirel und seines bewährten Außenministers Caglayangil, als es ihrer Schwäche (24 beziehungsweise 16 Abgeordnete) entsprochen hätte. Dieser Umstand war weder den Wählern der Gerechtigkeitspartei recht, noch war es für die politische Entwicklung der Türkei gut.

Polizeistaatliche Auswüchse riefen blutigen Gegenterror von Linksextremisten hervor, Ankara zeigte den Griechen auf ZypeJii und an der Ägäis die Zähne, trug sich sogar mit expansionistischen Plänen im irakischen, syrischen und iranischen Kurdistan.

Dank Ecevit sind diese gefährlichen nationalistischen Hitzköpfe endlich aus der Regierung von Ankara verbannt. Möglicherweise auch schon bald aus dem Parlament: Demireis Vizepremier Erbakan und seiner „Nationalen Rettungs-Partei“ droht auf Antrag des General-Anwaltes der Türkischen Republik das Verbot aller politischen Aktivitäten auf Grund verfassungswidriger Umtriebe. Ecevit hegen eben politische Unmündigkeit und soziale Not des Großteils des türkischen Bevölkerung mehr am Herzen, als die fernen „Millionen Türken, Turkomanen und Turkmenen“ in anderen Ländern.

Diese Grundhaltung hat Ecevit gerade in der Zypernfrage beträchtliche Vorschußlorbeeren eingebracht, obwohl er es war, der während seiner ersten Amtszeit vor dreieinhalb Jahren den Startschuß zu der verhängnisvollen Invasion auf der Mittelmeerinsel gegeben hatte. Der jüngste Besuch des Generalsekretärs der Vereinten Nationen in der Türkei, auf Zypern und in Griechenland hat bei der neuen Führung von Ankara ausgesprochen positiven Widerhall gefunden. Die türkische Seite hofft, daß diese Wald-heim-Initiative sich als Vorläufer konstruktiver Dreier-Kontakte herausstellen wird.

Das entschlossene Handeln der Republikanischen Volkspartei und ihres energischen Innenministers Irfan Ozaydinli, um die innere Ruhe in der Türkei wiederherzustellen, ohne dabei auf die faschistoiden Methoden des alten Regimes zu verfallen, dürfte Ecevit auch die Sympathien der Amerikaner gesichert haben. Die USA brauchen einen zuverlässigen Verbündeten an Bospourus und Dardanellen, nicht eine Türkei, deren nationalistisches Geplänkel mit Zypern und Griechenland selbst einen pro-westlichen Ka-ramanlis in Athen aus der NATO und zu einem Pakt mit Bulgarien treiben. Besser noch: Washington braucht ein stabiles, doch freiheitliches System in Ankara, das de“n Prinzipien der freien Welt nicht tagtäglich zuwiderläuft und zuwiderhandelt.

So darf Ecevit auch mit mehr Unterstützung aus Washington und Westeuropa zur Behebung der Wirtschaftsprobleme rechnen, die sich in der Türkei als Erbe des Staatsbankrotteurs Demirel auftürmen. Die türkische Handelsbilanz für 1977 wird nach vorsichtigen Schätzungen ein Defizit von drei Milliarden Dollar aufweisen. Wirtschaftsexperten in Ankara befürchten in diesem Jahr den totalen Zusammenbruch der Nationalökomie. Da die Kontrollbank seit Februar 1977 Auslandszahlungen nur mehr für Erdölimporte und „essentielle Güter“ bewilligt, hat der Devisen-Schwarzhandel ein gigantisches Ausmaß angenommen.

Selbst auf dem Energiesektor ist die Situation katastrophal, Auslandskredite und Exportfinanzierungen nach der Türkei sind fast vollständig zum Stillstand gekommen, so daß selbst die bis zuletzt gesunde türkische Industrie dem Ruin entgegen geht. Ecevits wirtschaftlicher Reformplan, der vorrangig auf Devisengewinn angelegt ist, erfordert Jahre, um eine spürbare Abhilfe zu schaffen. Im Augenblick bleibt der sozialdemokratischen Regierung nichts übrig, als auch im Sozialen eisern zu sparen.

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