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Viele Unbekannte in der Gleichung

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Selten bietet eine Landtagswahl so viele politische Sandkastenkombinationen an wie diesmal in Salzburg. Nach welcher strategischen Variante auch immer die Ausgangspositionen abgesteckt werden — man kommt immer wieder zum selben Ergebnis: Möglich ist alles, und sicher ist gar nichts.

Stellte sich nach dem Erdrutschsieg der Bürgerliste beim Gemeinderats-Urnengang zu Salzburg im Herbst 1982 aus Demoskopensicht zunächst nur die Frage, wie viele Abgeordnete diese neue Gruppierung in Hinkunft auch in den Chiemseehof entsenden wird (der Einzug in den Landtag schien so gut wie sicher), so ist nunmehr — wenige Tage vor dem Wahltermin — die Situation verworrener denn je.

Auslösendes Moment für diese Konfusion sind Identitätsprobleme bei der Bürgerliste, die auf der Suche nach einer breiteren politischen Basis sich mit grünen und alternativen Partnern zur GABL (Grün-Alternative-Bürgerliste) zusammengeschlossen hat, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, ob das eigentlich auch im Sinne der eigenen Wähler ist. Denn was die meisten Medien, aber auch so manche Exponenten der Bürgerliste selbst übersehen, läßt sich aus den Wählerstromanalysen des Instituts für Grundlagenforschung (IFG) sehr eindeutig herauslesen: die Mehrzahl der Bürgerlisten-Gemeinderatswähler sind keine Grünen. Zumindest nicht im politisch-militanten Sinn.

Anders als die in der politischen Selbsteinschätzung links von der SPÖ angesiedelten Alternativenfreunde hält der Durchschnitts-Bürger listen-Bürger auf exaktem Mittelkurs und hat mit gesellschaftlichen Veränderungen oder gar Umsturz nicht allzuviel zu schaffen. Ob dieses GABL-Bünd-nis letztlich weniger oder mehr bedeutet, wird der 25. März beantworten. Ein Einzug in den Landtag kann unter diesen Aspekten jedenfalls nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden.

Aber selbst wenn dieses Experiment diesmal scheitern sollte, für voreilige Schlußfolgerungen besteht keine Veranlassung. Denn so neu, wie es jetzt für auswärtige Beobachter den Anschein hat, sind die neben den etablierten Parteien angesiedelten Strömungen im Westen Österreichs nicht.

So sind, außer in Salzburg, auch in den landeshauptstädtischen Gemeinderäten von Innsbruck und Bregenz zusätzliche Gruppierungen vertreten, wobei diese Entwicklungen zu einem Zeitpunkt in Gang gekommen sind, als auch in Deutschland noch lange nicht von grünen und alternativen Bewegungen die Rede war. Eine Schrittmacherrolle kommt in dieser Hinsicht sicherlich dem Tiroler Arbeitsbund (TAB) in Innsbruck zu, der nunmehr bereits die zweite Legislaturperiode hindurch einen Stadtrat durch Wählervotum zugesprochen hat. Vor allem die ÖVP sollte nachdenklich machen, daß ein guter Teil dieser Bewegungen in ihrem Umfeld entstanden ist.

Bemerkenswert bleibt trotz allem, daß sich neue politische Strukturen abseits der traditionellen Parteien gerade in solchen Bundesländern auftun, die man gemeinhin nicht unbedingt als Hort der Progressivität bezeichnen kann. Was zunächst als Widerspruch erscheint, entpuppt sich bei näherer Analyse der Wählerstrukturen als logischer Zusammenhang. Listen dieser Art gedeihen vor allem im bürgerlich-urbanen Milieu, bei jüngeren Bevölkerungskreisen mit höherer Bildung und besserem Einkommen. Arbeiterschichten stehen dagegen derartigen Initiativen weitgehend abstinent gegenüber.

Ein Blick auf die Sozialstruktur der Landeshauptstadt Salzburg genügt, um zu erkennen, daß unter diesen Gesichtspunkten die Festspielstadt ein ideales Aufmarschfeld für neue politische Bewegungen sein muß. Bis heute gibt es kaum große Industrieunternehmen, vielmehr ist die Betriebsstruktur von Klein- und Mittelbetrieben beziehungsweise Verwaltungszentren geprägt.

Nur 32,1 Prozent der Arbeitnehmer sind im Produktionsbereich tätig (zum Vergleich in Linz 49,2 Prozent). Dementsprechend eindeutig überwiegen die Angestellten und Beamten gegenüber den Arbeitern. Zusätzlich günstig gestaltet sich für Listen abseits der etablierten Parteien die starke Zuwanderbewegung von jüngeren mobilen Bevölkerungsschichten, die in ihrer neuen Umgebung offensichtlich auch eine geringere Bindung an traditionelles Wahlverhalten haben. Von drei Bürgerlisten-Wählern kann jedenfalls nur einer Salzburg als Geburtsort angeben; die anderen sind erst später heimisch geworden.

Die Folgen solcher Strukturveränderungen sind indes nicht nur für die bürgerlichen Parteien äußerst unangenehm. Denn die neu auftretenden Gruppierungen haben auch mit dem ungeschriebenen Gesetz der siebziger Jahre aufgeräumt, daß Jungwähler (sofern sie überhaupt wählen gehen) überproportional der SPÖ ihre Stimme geben. Daß es sich bei diesen Beobachtungen nicht nur um lokale Zufälligkeiten handelt, wird auch daran deutlich, daß gerade das geänderte Wahlverhalten der jüngeren Wähler eine der entscheidenden Ursachen für den Verlust der absoluten SPÖ-Mehrheit bei den Nationalratswahlen war.

Ein latentes, oft (noch) nicht ausformuliertes Unbehagen läßt viele Menschen in diesem Land ■ (und nicht nur hier) an der Effektivität des Sozial- und Wohlfahrtsstaates und mitunter sogar generell an der Problemkompetenz der Parteien zweifeln. Vordergründig findet dieses Unbehagen in der massiven Forderung nach sparsamerem (sprich sinnvollerem) Umgang mit Steuer geldern seinen Ausdruck.

Es ist also nicht nur mangelnde Sensibilität in Umweltfragen, die die traditionellen Parteien in Bedrängnis und neuen Gruppierungen Zulauf bringt. Es ist auch der politische Stil schlechthin.

Freilich hat die immer größer werdende Flexibilität des Wahlvolkes auch für die traditionellen Parteien ihre guten Seiten. Bei den Nationalratswahlen im vergangenen Jahr hat davon in Salzburg in überdurchschnittlich hohem Ausmaß die ÖVP profitiert. Wem diesmal die Launen des „Souverän" Freude machen werden, muß sich erst herausstellen.

Der Autor leitet das unabhängige Salzburger (Meinungsforschungs-),,Institut für Grundlagenforschung", das 1982 ein halbes Jahr vor den Wahlen den Erfolg der Bürgerliste aufs Zehntelprozent genau vorhersagte.

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