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Vieles ist aufgebrochen

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Etwas Stolz schwang mit, als der steirische Bischof Johann Weber anläßlich des alljährlichen Journalistenempfanges zum Mediensonntag ein noch druckfrisches, ungebundenes Exemplar des 120 Seiten starken Programmheftes zum Steirischen Katholikentag präsentierte und meinte: „Da werden sich die Wiener aber schon anstrengen müssen..

Er meinte den gesamtösterreichischen Katholikentag 1983 in Wien. Weber kann Steirisch: die selbstbewußten Töne nordwärts über den Semmering gelingen ihm gleich gut wie den steirischen Politikern.

Zunächst aber werden sich einmal die Steirer anstrengen müssen, das vor vier Jahren formulierte * Motto „Ein Fest der Brüderlichkeit“ durchhalten zu können. Nicht alles, was auf dem Papier steht, ist in der Praxis geprobt worden. Kritiker meinen, unter dem Signet der verschlungenen Herzen sei allzu viel Papier bedruckt worden. So schwelt seit Jahren ein Konflikt zwischen Bischof und SOG (Solidaritätsgemeinschaft engagierter Christen): die Forumsveranstaltung der SOG zum Thema „Leiden an der Kirche“ sollte auf des Bischofs Wunsch den Titel „Leiden mit der Kirche" erhalten; schließlich fand sie unter den zahlreichen Foren überhaupt nicht Platz. Man diskutiert nun die Thematik in der evangelischen Heilandskirche.

Dennoch ist viel geschehen. In tausenden Gesprächen und Veranstaltungen auf Pfarr- und Dekanatsebenen wurde die Brüderlichkeit als der andere Name für Christentum und als die (bis zur Französischen Revolution) vergessene christliche Parole schlechthin wiederentdeckt. Die steirischen Christen, in vielen Gruppen ohnehin Utopier, experimentierfreudig und konsequent, geschult an der Unbekümmertheit des „steirischen herbstes“, des einzigen Avantgarde-Festivals von Bedeutung, und an der alljährlichen „Steirischen Akademie“, integriert in die vielen und schlagkräftigen Bürgerinitiativ-Grup- pen, fanden sehr bald Gefallen am brisanten Katholikentags-Motto.

Und es war keineswegs bloße Innerlichkeit, bloß schwärmerische Gesinnung, was da unter dem Thema mit dem notwendigen Untertitel „Die Umkehr der Herzen“ aufbrach, sondern (und wenn nur das bewußt geworden wäre, würde es jetzt schon die zahllosen Überlegungen zum Katholikentag rechtfertigen) es wurde die politische und gesellschaftliche Brisanz des Themas entdeckt - Brüderlichkeit als das einzig brauchbare Gesetz des Überlebens der Christen und der Welt.

Ich weiß nicht, ob der steirische Bischof von Anfang an wußte, wieviel Charismatisches in seiner Diözese aufbrechen würde. Vielleicht hat er sogar den Hl. Geist ein wenig unterschätzt. Die steirischen Christen, zumindest viele von ihnen, nehmen einander nunmehr beim Wort, beim Wort Brüderlichkeit. Ein noch nicht abschätzbarer dynamischer Prozeß hat begonnen und so wie ich es sehe, wird dieser Prozeß noch geschichtsmächtig sein, Unruhe stiften, Krisen mit sich bringen, weh tun, weil der Hl. Geist schon zum jetzigen Zeitpunkt proklamiert hat, daß Brüderlichkeit keine bloß religiöse Interpretation zuläßt.

Christen sind oft federführend und engagiert unter den „Grünen“ und diversen Alternativgruppen, sie marschieren mit den VEW-Arbcitern, die Pfarrer der Industriefurche an der Spitze, gegen die Regierung; im Grazer Landhaushof, im Palais Attems, in der Heilandskirche treffen Protestanten und Katholiken zu gemeinsamen Festfeiern zusammen; Bischof Weber predigt beim Toleranzjubiläum den Evangelischen - und das in der Stadt, wo ynter der Führung des „Ketzerhammers", des Bischofs Martin Brenner, die Gegenreformationszüge gegen die Evangelischen in der Steiermark und in Kärnten ihren Ausgang nahmen. Und in der „Stadt der Volkserhebung“ finden Eröffnungs- und Schlußfeier des Katholikentages vor einer Bildtafel statt, die den Gekreuzigten inmitten von Terror und Ohnmacht und inmitten von Nazischergen (!) darstellt.

Natürlich blieben viele gute Ideen für den Katholikentag bloß Papier. Generalamnestie für Gefangene fand keine statt. Die heidnischen Titel „Monsignore“ abzuschaffen, nahm kein steirischer Prälat in Angriff - es wäre auch zu schön gewesen! Der Festaltar sollte nicht von Künstlern, sondern von Vertretern des Volkes Gottes in meditativer Dienstleistung erstellt werden, es kam nicht dazu. Für manche Ideen war die Zeit anscheinend nicht reif. Noch nicht.

Aber wie der Sauerteig des Mottos bis dato wirkt, belegt vielleicht eine Auswahl von Forumsgesprächen, die den Katholikentag umringen, wenn nicht gar - in ihrer Fülle und Brisanz - umdrängen:

Über den „Sonntag - ein Fest für den Menschen" wird diskutiert werden. Und nicht Billigeres wird sich zeigen, als daß der Homo ludens und adorans allein den bloßen Homo faber transzendiert und diesem Sinn gibt.

„Ökumene in der Steiermark - Wir glauben die eine Kirche“, heißt ein anderes Forum. In der Tat sind die verschiedenen christlichen Bekenntnisse sich in den letzten Jahren trotz totgesagter Ökumene ein schönes Stück näher gekommen.

Steirische Autoren, die zu den unkonventionellsten und bedeutendsten des deutschen Sprachraumes zählen, werden ihr Werkzeug der Sprache in den Dienst der Analyse von „Brüder- lichkeit/Schwesterlichkeit“ stellen.

Arbeitgeber und Arbeitnehmer werden im Forum „Brüderlichkeit - Fremdwort in der Arbeitswelt?“ keine Flucht in die Sakristei zulassen: VEW- Arbeiter und ihre Betriebsräte hätten für ein solches Ärgernis kein Verständnis.

„Familie“, „Frauen“, „Erziehung“, „Dritte Welt“, „Alte und Neue Armut“, „Brüderlichkeit in Sterben und Tod“ - all diesen und noch anderen Themen sind Forumsgespräche gewidmet. Und man kennt die Steirer schlecht, wenn man glaubt, mit den bloß verbalen Untersuchungen wären die Themen erledigt. Diese Foren - das kann mit Sicherheit gesagt werden - initiieren Taten. Mehr als zu erwarten war, hat sich schon ereignet. Und nichts deutet darauf hin, daß mit dem Katholikentag etwas zu Ende ist.

Der Autor ist Rektor des Kulturzentrums bei den Minoriten in Graz und steirischer Künstler-Seelsorger.

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