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Vieles vergessen, wenig dazugelernt

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Für ihn hat Hitler heute noch 1938 Österreich „befreit“: Reinhard Spitzy, der „Salonnazi“ erinnert sich ein zweites Mal. Vieles hat er dabei „vergessen“, wenig hat er dazugelernt.

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Für ihn hat Hitler heute noch 1938 Österreich „befreit“: Reinhard Spitzy, der „Salonnazi“ erinnert sich ein zweites Mal. Vieles hat er dabei „vergessen“, wenig hat er dazugelernt.

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Reinhard Spitzy ist FURCHE-Lesern kein Unbekannter mehr. In der Nummer 50/1987 haben wir ausführlich seine unter dem Titel „So haben wir das Reich verspielt“ erschienenen „Bekenntnisse eines Ehemaligen“ vorgestellt. In diesen Erinnerungen sind wir dem Sproß einer honetten konservativen Wiener Ärztefamilie begegnet, der als Angehöriger der Jeunesse doröe der frühen dreißiger Jahre zu etwas wie einem „Salonnazi“ wurde.

Aber dabei blieb es nicht. Ideologische Verblendung und die Neigung zu Geheimbündelei verstrickten ihn in den Juli-Putsch 1934. Die dabei geleisteten guten Dienste machten Berlin auf den jungen engagierten Nationalsozialisten, Jahrgang 1912, aus Österreich aufmerksam und führten schließlich zu seiner Verwendung als Sekretär Joachim von Ribbentrops während dessen Wirkens als Botschafter in England. In dieser Zeit wurde sich Spitzy bald der Hohlheit, ja Gefährlichkeit des künftigen Außenministers des Dritten Reiches bewußt, dessen totale Fehleinschätzung der Haltung Englands Hitler zu seinem Krieg noch ermunterte.

Trotz der Ablehnung des mit der Entfesselung des Zweiten Weltkrieges beschrittenen Weges, die ihn auch seinem Idol Adolf Hitler entfremdete, blieb Spitzy jedoch bei der Stange. Ein Engagement in den „ Geheimen Diensten“, zunächst bei Wilhelm Canaris, wodurch er in den Dunstkreis der Vorbereitungen des 20' Juli gerät, und zuletzt für den hohen SS-Brigadeführer Walter Schellenberg, wird dem Kampf für „das Reich“ an der Front vorgezogen.

Als nach dem mißglückten 20. Juli die Gestapo auch unter NS-Gefolgsleuten im Ausland anzuklopfen beginnt, wurde der alte Rat, daß der beste Teil der Tapferkeit Vorsicht heißt, beherzigt. Der in

Madrid wirkende Spitzy nimmt noch im Sommer 1944 Urlaub von Führer und Reich.

Hier setzt der vorliegende zweite Band der Erinnerungen dieses „Ehemaligen“ ein. Im idyllischen Santillana del Mar an der Küste der Biskaya verbringt der Autor mit der Hilfe hochmögender Freunde beschauliche Monate als kunstsinniger Restaurator im Kreis seiner wachsenden Familie, während die von seinem Jugendidol entfesselte Kriegsfurie noch durch Europa tobt und Standgerichte gegen einfache Landser wüten, die nichts anderes taten als Reinhard Spitzy: nämlich auf eigenen Entschluß den Krieg für sich zu beenden.

Hier gewinnt der Autor auch die später sehr nützliche Sympathie einiger geistlicher Herren. Bald ist die Rache der Gestapo nicht mehr zu fürchten, dafür interessieren sich die Alliierten für Spitzy, der in Spanien als Nummer 23 auf ihrer Fahndungsliste steht. Die schönen Tage von Santillana gehen im Frühjahr 1946 zu Ende. In solchen Situationen beweist sich oft die Kirche als sehr hilfsbereit auch gegen jene, die ihr in früheren Jahren sehr fern gestanden sind. Ein Deal mit der spanischen Armee, der er als ehemaliger Repräsentant der Skoda Werke eine Kiste von Plänen für die Herstellung von Ersatzteilen für ein Flaggengeschütz zuspielt, öffnet den Weg übers Meer nach Argentinien...

Hier darf die Frage erlaubt sein, was hatte Spitzy - wir können uns nur an seinen Bericht halten - so zu fürchten, daß er die Mühsal eines Lebens im Untergrund und die auch nicht so angenehmen Jahre als Pflanzer im argentinischen Flußdelta einem Sich-Stellen gegenüber der neuen europäischen Wirklichkeit vorzog?

In Nürnberg hätte er vielleicht eine Zeugenrolle zu spielen gehabt, das neue'Österreich hätte später den heimkehrenden verlorenen Sohn sicher keine Ehrenpforte errichtet und zu seinen Ehren auch kein Mastkalb geschlachtet. Es gab aber auch andere schwer, ja schwerst „Ehemalige“, die entsprechend der Integrationspolitik der beiden großen Parteien nach 1949 bald sich ihrer bürgerlichen Rechte wieder erfreuen konnten. Gab es noch anderes und andere, vor denen sich Spitzy mit Recht fürchten mußte? Darüber schweigt sich der Autor aus.

So bleibt der Bericht über die abenteuerliche Etappe im Leben eines heute betagten Zeitgenossen, eine nicht uninteressante Vermittlung der Geographie und der Lebensumstände eines Pflanzerlebens in der Flußlandschaft Argentiniens und - leider - zuletzt die bedauerliche Erkenntnis, daß der Autor vieles vergessen und wenig dazugelernt hat. Wie sonst könnte Spitzy noch im Jahr 1989 schreiben, der Hitler der Wolfsschanze sei nicht mehr derselbe gewesen wie jener, „der 1938 Österreich befreite (!) (Seite 18).

Ein zeitgeschichtlich interessantes, gut geschriebenes Erinnerungsbuch. Seine Lektüre läßt jedoch einen bitteren Nachgeschmack zurück.

SO ENTKAMEN WIR DEN ALLIIERTEN. Von Reinhard Spitzy. Verlag Langen Müller, München 1989. 294 Seiten, öS 343,20.

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