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Digital In Arbeit

Vielfach totgesagt, doch sehr lebendig

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Viel gelobt, viel geschmäht, lebensfähig wie noch nie! Worauf könnte dieser Satz wohl passen? Auf vieles in der österreichischen Wirtschaft, wie etwa Klein- und Mittelbetriebe, auf das Handwerk und, last but not least, auf die Lehrlingsausbildung.

Das „duale System” der betrieblichen Ausbildung, beliebte Zielscheibe von linken Möchtegern-Bil- dungspolitikem und Ideologen, von renommierten internationalen Organisationen (wie der OECD) vor zwanzig Jahren offiziell zu Grabe getragen, hat nicht nur Auferstehung gefeiert, sondern erwies sich in den letzten Jahren als wichtigster Retter vor dem Gespenst der Jugendarbeitslosigkeit und als bedeutender Mittler zur Herstellung von Chancengerechtigkeit.

Stattliche 50% der österreichischen Jugendlichen finden ihren Weg ins Berufsleben über die Lehrlingsausbildung, die durch ihre Aufsaugwirkung nicht nur Jugendarbeitslosigkeit ausschließen konnte, sondern vor allem auch - imponierend gegenüber ausländischen Verhältnissen - die Zahl der in Österreich nach der Pflichtschule ohne weitere Ausbildung direkt ins Berufsleben streben den Jugendlichen schätzungsweise auf weniger als 10 Prozent hat sinken lassen.

Die Renaissance der Lehrlingsausbildung hat sich nach dem Tief Ende der sechziger Jahre am Beginn der siebziger Jahre langsam angekündigt: Sie wurde sicherlich auch durch das neue Berufsausbildungsgesetz (1969) gefördert, dessen Novelle 1978 einen weiteren Markstein bei dem Bestreben bildet, dieses System evo lutionär zu erneuern, ohne seine Basis in Frage zu stellen.

Die Absolventen der Lehrlingsausbildung haben zunächst einmal den großen Vorteil für sich zu buchen, daß sie in der Praxis „lernen gelernt” haben, daß ihnen ein „Praxisschock”, wie er sich typisch beim Übergang von der Schule oder Universität ins Berufsleben einstellt, fremd ist. Im Regelfall haben sie gelernt, in der Welt der Arbeit und des Berufes zu bestehen, kennen auch etwa das Tempo, in dem im praktischen Leben Arbeit geleistet werden muß und wissen, wie man sich in einem betrieblichen Team verhält Sie können in der Praxis (auch wenn es sich um eines der erfreulicherweise immer mehr werdenden Mädchen handelt) „ihren Mann” stellen.

Auch wenn wir den Umstand berücksichtigen, daß Berufswechsel in relativ großem Umfang stattfindet, scheint die Basis für ein Weiterlernen gegeben zu sein. In einer Zeit höchst ungewisser zukünftiger Entwicklungen im Berufsleben, in der neue technische Erfindungen (etwa Mikroprozessoren) gerade eine weitere Revolution in vielen Berufen ankündigen, scheint der Umstand, praxisorientiert gelernt zu haben und sich in der Praxis bewegen zu können wichtiger als manches Detailwissen.

Wenn wir annehmen, daß in vielen Berufen dem einzelnen auch ein totaler Berufswechsel während seines Berufslebens nicht erspart bleiben wird, scheint auch die modische Forderung nach „möglichst breiter Ausbildung” in Berufsfeldern vom Ansatz her falsch zu sein, weil sich die - manchmal erzwungene - Mobilität eben nicht innerhalb solcher Berufsfelder hält, sondern weit über das, was voraussehbar - und planbar - ist, hinausgeht.

Sicherlich hat Lehrlingsausbildung in vielen Bereichen eine Zukunft, weil sie in Berufen mit stark praxisorientierten Anforderungen, die weniger theoretisches Begleitwissen verlangen, die ideale Ausbildungsmethode für den praxisorientierten Jugendlichen darstellt, und weil sie in manchen stark technisierten und theorisierten Berufen jenes Eingangstraining ins Berufsleben bildet, auf dem ständige berufliche Weiterbildung konzentriert aufbauen kann. In Österreich mit seinem berufsbildenden höheren Schulwesen als der theoretischeren formellen Ausbildung „eine Stufe höher”, wird die Lehrlingsausbildung die unentbehrliche berufliche Basis vieler Wirtschaftsbereiche bilden.

Selbst wenn eintritt, wovon wir alle hoffen, daß diverse einschlägige Prognosen - wie schon so oft - in die Irre gehen, nämlich wenn technische Neuerungen mehr Berufe entstehen lassen, die vom einzelnen weniger Fachanforderungen verlangen und daher auch mit einer weniger qualifizierten Ausbildung zu absolvieren wären, ist eine Bildungspolitik gut beraten, die einer praxisorientierten Ausbildung, wie der Lehrlingsausbildung entsprechende Chancen gibt.

Alles in allem ist es - erhält man die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe und überfordert man sie nicht mit administrativen und juristischen Neuerungen - um die Zukunft der Lehrlingsausbildung gut bestellt. Auch dann, wenn in Kürze - bedingt durch demographische Faktoren - die Jahre des großen Andrangs vorbei sind und wir von jenem „Berg” an gut ausgebildeten jungen Fachkräften in der Wirtschaft profitieren werden, die viele Betriebe dankenswerterweise „in den Jahren des Überflusses” auf Vorrat ausgebildet haben,

(Der Autor ist Referent in der wissenschaftlichen und bildungspolitischen Abteilung der Bundeswirtschaftskammer.)

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