6853267-1977_04_04.jpg
Digital In Arbeit

Vier Argumente ftir den neuen sozialistischen Menschen

Werbung
Werbung
Werbung

„Es kam uns und kommt uns auch heute darauf an, nicht die Macht zu ergreifen, sondern zu regieren, so zu regieren, daß sich die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung mit unseren Absichten jeweils zu identifizieren bereit ist. Wir mußten ganz einfach die Schallmauer der Vorurteile durchstoßen.” Mit diesen Worten beschrieb Bruno Kreisky am 2. Mai 1972 in einem , Brief an seine Intim-Genossen Willy Brandt und Olof Palme den langen Marsch der SPÖ durch die Institutionen bis hin zur Regierungsmacht.

Würde Kreisky in diesen Tagen einen Brief über die Reform des SP- Programms schreiben, dann würde er schreiben: „Es kommt uns bei diesem neuen Programm darauf an, es so zu schreiben, daß sich die Mehrheit unserer Parteimitglieder mit unseren Absichten als etablierte Regierungspartei weiterhin zu identifizieren bereit ist. Wir müssen ganz einfach die Schallmauer der Vorurteile durchstoßen.”

Als „Feiertagslektüre” sind die rund 160 Seiten umfassenden „Denkanstöße” von Programmdenker Egon Matz- ner kurz vor Weihnachten allen Mitgliedern des Parteivorstandes der SPÖ zugegangen. Der weitere Fahrplan: Seit vergangenen Donnerstag nehmen die Funktionäre das Matz- ner-Papier in die Mangel, im Juni wird eine Parteivorstands-Klausurtagung zusammentreten, im Herbst gibt es in Matters bürg - als Aufputz der burgenländischen Landtagswahlen - einen Programm-Parteirat und im Frühjahr 1978 soll ein ordentlicher Parteitag das neue Programm als Grundlage für die Wahlplattform der SPÖ für 1979 endgültig absegnen.

Dafür, warumBrunoKreiskyaufein neues Programm drängt, gibt es verschiedene Versionen:

Der Schritt in die Mitte? . ,

Version Nummer 1: Vom Hainfelder Programm 1889 über das Wiener Programm 1901 und das Linzer Programm 1926 bis hin zum heute gültigen Wiener Programm des Jahres 1958 tasteten sich die Sozialisten aus einer Position, die noch der „Diktatur des Proletariats” huldigte, bis knapp an die Schwelle zur politischen Mitte vor. Nun wagen die Sozialisten den Schritt hinein in die Mitte. Dafür spricht, daß Matzner gegen explodierende Bürokratien wettert, daß er kritisiert, der Staat habe bereits zu viele Aufgaben übernommen und daß er eine Neuverteilung der öffentlichen Aufgaben im Rahmen verstärkter Selbstbestimmung fordert: „Eine solche gesellschaftliche Selbstorganisation öffentlicher Aufgabenerfüllung besteht darin, daß eine größere Zahl von Individuen, Haushalten, Famüien, organisiert nach nachbarschaftlichen Kriterien (etwa auf Quartierbasis) oder nach Aufgaben (etwa Gruppen von Eltern mit behinderten Kindern), in Kooperation mit den staatlichen, kommunalen, sozialbürokratischen Stellen einen Teil der Betreuungsaufgaben übernehmen.” (Matzner in „Zukunft”, Dezember 1976)

Ein Programm als Wahlaufputz

Version Nummer 2: Die SPÖ Bruno Kreiskys braucht für den nächsten Wahlgang (1979) den gewissen intellektuellen „touch”, den sie sich vermittels eines neuaufgelegten Parteiprogramms verschaffen zu können hofft. Dafür spricht, daß zwei Insider vor einem neuen Programm warnen, die sich eigentlich auskennen müßten. Po- litologie-ProfessorNorbert Leser fragt: „Soll das neue Parteiprogramm vielleicht eine Apotheose der Ära Kreisky sein?” Leser meint, es wäre besser, darüber nachzudenken, ob die SPÖ tatsächlich schon alle alten Ziele erreicht habe. Fritz Klenner bezeichnet den Termin Frühjahr 1978 als verfrüht: „Was wäre, wenn ein Parteitag erst 1980 das Programm beschließen und dem Parteitag 1978 nur ein auf Grund der bis dahin geführten Diskussion ausgefeilter Entwurf vorgelegt würde?”

Version Nummer 3: Vom gültigen Programm 1958 ist bisher von der sozialistischen Regierung herzlich wenig realisiert worden, so daß verstärkter Druck von der linken Parteibasis befürchtet werden muß. Daher muß also geschwind der Mantel des Vergessens über das Gewesene gebreitet und einem neuen Programm gehuldigt werden. Nicht unwahrscheinlich: „Die Sozialisten wollen das Heimatgefühl der Menschen in der Demokratie durch die Selbstverwaltung im kleinen Kreis fördern, die die Grundlage jeder echten Demokratie ist”, hieß es schon 1958 beispielsweise. Matzner meint ähnliches, nur mit anderen Worten.

Der „Genosse” geniert sich

Kritik über nicht verwirklichte Grundsätze ist in SPÖ-Kreisen in ausreichender Menge zu hören: Der Gleichheitsgedanke sei zu kurz gekommen, in der SPÖ selbst hätten sich sogar „Tendenzen zur Ungleichheit” breitgemacht wie Leser der „Zukunft” anvertraut. Auf Kritik stößt auch das weitere Ausstehen eines angekündigten Berichtes über die praktische Anwendung der Bestimmungen gegen die Ämterkumulierung. Und Alt-Linker Josef Hindels, der immer noch vom integralen Sozialismus, dem Bündnis zwischen Kommunismus und Sozialismus träumt, trauert auch davongeschwommenen Grundsätzen nach: „Mitbestimmung, die sich darin erschöpft, daß Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre mehr Aufsichtsratsposten bekommen, führt dazu, daß etliche Betriebskaiser Unternehmerallüren annehmen, in Unternehmerkategorien zu denken beginnen … Wer kennt nicht den Typus des aufgestiegenen Genossen, dem so- gar die Anrede Genosse peinlich ist?”

Version Nummer 4: Bruno Kreisky hat das trojanische Pferd wiederbelebt. Ein trojanisches Pferd, das aus wahltaktischen Gründen ganz nach Liberalität, Reformgeist und Schwung riecht, das den Eindruck entstehen läßt, der modrige Geruch austromar- xistischer Vergangenheit sei nun endgültig über Bord geworfen, aus dessen Bauch aber - spätestens dann, wenn man das neue Programm gelesen hat, was allerdings nur sehr wenige tun werden - ganz die selben alten und linken Ideen in neuem sprachlichem Gewand herausschlüpfen werden. Dafür gibt es genügend Anzeichen:

Der Klassenkampf bleibt erhalten

In der angelaufenen Diskussion hat sich bereits gezeigt, daß sich an den für Sozialisten sensiblen Punkten des Programms nicht das geringste ändern wird: So wird auch die Formel von der Beseitigung der Klassen erhalten bleiben, der sozialen Marktwirtschaft werden die linken Theoretiker weiterhin das Kriterium „sozial” absprechen und stattdessen auf Kosten des freien Unternehmertums für ein Maximum an Selbstbestimmung und ein Minimum an Fremdbestimmung plädieren. Auch Matzner spricht von den destruktiven Ausformungen der sozialen Marktwirtschaft.

Umkehrung der Entlohnungspyramide

Die Richtung des Programms zeichnet auch die im SP-Zentralorgan „Arbeiter-Zeitung” erschienene Serie über die Programmdiskussion recht deutlich: An den Universitäten müsse die durch das UOG eingeleitete „Entfeu- dalisierung” weitergetrieben werden, den Ärzten müsse man das Monopol in Gesundheitsfragen entziehen, denn „die Betroffenen müssen mitbestimmen können, was an ihnen geschieht”. An der Wirtschaftspolitik wird kritisiert, sie steuere die Entwicklung zuwenig: „Zentrale Eingriffsmöglichkeiten müssen ebenso weiterentwickelt werden wie die betriebliche Mitbestimmung.” Im Bereich des zentralen Wirtschaftsdirigismus darf also noch ein Zahn zugelegt werden. Und damit die Nivellierungsfreunde nicht zu kurz kommen, noch eine Forderung, die man sich so richtig auf der Zunge zergehen lassen muß:,, Umkehrung der Entlohnungspyramide: Abstumpfende, entfremdende Arbeit sollte hoch entlohnt werden, nicht jene, die ohnehin mit Privilegien verbunden und deshalb angesehen ist.” Genug Zuk- kerbrot für linksaußen…

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung