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Vier gute Tage in Parma

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Und siehst du”, sagte vor gut dreißig Jahren der Poet, „das Schönste an meinem neuen Gedichtband ist wohl, daß man meinen Wunsch erfüllt und in der Setzerei Lettern vom Typ Bodoni genommen hat.” Der Neunzehnjährige nickte und verliebte sich auf der Stelle in die graziöse Würde und feine Ausgewogenheit einer heiter und klassisch anmutenden Schrift. Nun hatte er Gelegenheit, die Stadt zu besuchen, in der Giambattista Bodoni (1740-1813) seine Kunst der Typographie entwickelt hatte. Die Universität Parma lud zu einem Gedankenaustausch über Mitteleuropa.

Ich wollte nicht nur meinen Bodoni wiederfinden, sondern auch die Szenerie des unvergeßlichen Romans „Die Kartause von Parma” von Stendhal und außerdem das Ambiente, das dem wackeren Grafen Neipperg erlaubt hat, eine politische Wünschbarkeit mit galanten Mitteln in die Tat umzusetzen. Er war nach dem Wiener Kongreß 1812 von Metternich beauftragt worden, die Ehefrau des verbannten Napoleon von der Notwendigkeit einer Scheidung zu überzeugen. Marie-Louises Treue war für ihren Vater, den Kaiser Franz, der nun über den ungeliebten Schwiegersohn Buo-naparte zu richten hatte, irritierend. Neipperg hofierte lange, konnte den Auftrag dann doch zu einem glücklichen Ende führen. Vor seinem von Canova geschaffenen schönen, allzuschönen, von niemanden beachteten Grabmahl in der Steccata-Kirche betete ich für alle Kavaliere ein Vaterunser.

Der Augenblick, in dem ich einen Erstdruck Bodonis, in einem Buchladen in der Strada Cavour, in die Hand nahm, war beglückend und traurig zugleich. Das Büchlein war ein Kunstwerk. Die Buchstaben, das Satzbild, die Proportionen, die durchgeistigte Einfachheit der Typographie erinnerten an die Architektur Pal-ladios. Aber: Wohin ist unsere Kunst des Buchdrucks verkommen?

In der Mitte der Zitadelle, in der Fabricio del Dongo, der Held Stendhals, eine lange Zeit der stillen Selbstbesinnung erlebt hat, befindet sich ein Fußballplatz. Die begrünte Anlage rundum ist ein schlichter Park, in dem spätnachmittags junge Leute Sport treiben und alte spazieren gehen. Selbstbesinnung findet täglich statt, und die Liebespaare im Gras sehen die Welt nicht weniger verklärt, als sie Fabricio gesehen hat.

Was aber hat das alles mit dem Thema unserer Tagung, mit Mitteleuropa, zu tun? Viel. Fäden des politischen Ränkespiels, in das sich Fabricio verwickelt hat, führen nach Wien; Marie-Louise und auch Neipperg sind aus Wien nach Parma gekommen; Bodoni war unseren Typographen ein Vorbild, ist es für die besten bis heute geblieben.

Die Tagung selbst bot freilich ein facettenreicheres Bild. Sie stellte unter Beweis, daß der Begriff Mitteleuropa kein Phantom, sondern eine geistige Realität ist, daß die regionale Zusammenarbeit im Donauraum vor allem nicht als etwas Vergangenes, sondern als etwas Zukünftiges gesehen wird, und daß sich viele maßgeblichen Denker Italiens dieser sich erneuernden Einheit verbunden fühlen.

Professoren von zwölf Universitäten, Gelehrte und Schriftsteller aus acht Staaten waren in Parma versammelt. Getragen, beseelt, inspiriert wurde der Kongreß von zwei Damen: Marie Eh-rica D'Agostini von der Universität Parma werkte und wirkte in gutem Einvernehmen mit Ger-' trude Kothanek vom österreichischen Generalkonsulat in Mailand. Marino Freschi von der Universität Neapel war an der Organisation maßgeblich, klug und heiter strahlend beteiligt.

Aus Triest waren Arduino Agnelli und Claudio Magris gekommen, und beide analysierten fachkundig, liebevoll und kritisch die geistigen Abenteuer im Donauraum; Aldo Gargani aus Pisa sprach von der Phänomenologie der Wiener Lebensform im vorigen Jahrhundert; Manfrede Ta-furi aus Venedig befaßte sich mit dem Werk Otto Wagners; Roberto Rozzo aus Bologna sprach über die Kunst von Egon Schiele; Giuseppe Farese aus Bari hielt einen großartigen Vortrag über Arthur Schnitzler; Franco Bianco aus Rom referierte über das Jugendwerk des ungarischen Philosophen Lukäcs; geistreich und temperamentvoll schilderte Wanda Perretta, eine Germanistin aus Neapel, Leben und Wirkung von Bertha von Suttner.

Auch der asketische und sarkastische Österreich-Forscher William Johnston (Amherst, USA) stellte sich mit seiner Theorie der mitteleuropäischen Skurrilität der lebhaften Diskussion; Heinz Wetzel (Toronto) analysierte den Europa-Begriff Hofmannsthals; Ulrich Fülleborn (Erlangen) hielt einen fesselnden Vortrag über Grillparzers Modernität. Aus Ungarn waren die Schriftsteller Zä-dor Tordai und Sändor Telegdi gekommen, über die tschechische Literatur referierte die Pragerin Sylvia Richterovä. Wir Österreicher büdeten, wie es sich geziemt, eine — was Herkunft und Wirkungsort betrifft - äußerst differenzierte Gruppe: Ernst Federn, Wolf gang Kraus und Herbert Ze-man sind vor allem Wien verbunden, Adam Wandruszka verbindet Österreich mit dem Geist der Deutschen und der Italiener, Alfons Dalma stammt aus Kroatien, und auch Peter Kampits (Wien) gedenkt gelegentlich seiner kroatischen Ahnen, Zoran Konstanti-novic (Innsbruck) ist Serbe, Dieter Ronte (Wien) ist in Leipzig geboren, der in Wiener Neustadt geborene Joseph P. Strelka lehrt in Albany, USA; ich bin Budapester. Leute, die insgeheim oder in aller Öffentlichkeit immer noch für ein reinrassig deutsches Österreich schwärmen, sollten uns schleunigst wieder ausbürgern oder vielleicht doch einmal ihren Standort überdenken.

Die Begleitmusik? Ein überf üll-tes Auditorium im Kongreßsaal der Handelskammer; ein liebenswürdiges Sekretariat, bestehend aus Studenten, die uns nicht nur betreuten, sondern auch über die Geschicke Mitteleuropas etwas erfahren wollten; die Gastfreundschaft einer lukullisch disponierten Stadt, die den Parma-Schinken und den Parmesan hervorgebracht hat. Südtiroler Wein zeugte von der Gegenwart des Dionysos auch in den Alpentälern.

Es gibt in unseren Tagen andauernd Tagungen, Kongresse, Konferenzen, Round-Table-Gespräche, und manchmal scheint es, Europa hätte sich in eine einzige Schwatzbude verwandelt, aber andererseits: es ist besser, Argumente vorzutragen als scharf zu schießen. In Parma gab es kein Geschwätz. Man sprach zur Sache. Vielleicht gibt es einen genius loci, einen Geist von Parma, bestimmt vom 1060 errichteten Dom und vom etwas jüngeren Baptisterium des Benedetto An-telami. Die beiden strengen und durch ihre feine Gliederung beglückenden Bauwerke bilden den Mittelpunkt der Stadt. Das Gesetz der Proportionen wird von den vitalen Fresken Correggios und von den intensiven und bewegten Reliefs Antelamis aufgerissen. So entsteht eine Balance zwischen der Harmonie der Schwerkraft und dem Emporstreben der Vision.

Das Thema Mitteleuropa entsprach diesem Geist von Parma: in ihr formen sich geopolitische Fakten zu Elementen eines Traums. Die Utopie hat einen realen Kern.

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