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Vier Jahre wurden beinahe verjuxt

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Die guten Geschichten der Großmutter begannen: Es war einmal.. .Also damals war noch Optimismus. Das war 1975. Heute stehen wir vor anderen Konstellationen. Diese Tatsache hat nicht bloß wirtschaftliche oder energiepolitische Ursachen. Uns treffen ökonomische Wachstumsprobleme. Sie lassen unsere Gesellschaftsstruktur wieder deutlicher hervortreten. Fatal ist, daß daher gesellschaftspolitische Fragen weiter unbeantwortet bleiben können.

Vor vier Jahren konnte man der Ansicht sein, nur eine papierdünne Wand trennt uns vor dem Angehen wichtiger Veränderun-

gen. Das war keine blanke Naivität. Wir hatten grundsätzliche Reformen schon hinter uns: z. B. Strafrechtsreform, HochschuU und Schulreform usw. 1975 bis 1979 stellte ich mir damals so vor, daß ein ideeller und materieller Wandel gefördert wird, dessen Intentionen die Reformen an der SPÖ fortsetzen - bei aller Reserve gegenüber der Eigendynamik des Politischen. Vor der Nase lag der „gemeinsame Weg“, wie ihn Bruno Kreisky beschrieb.

1975 war das wichtigste Ziel, mehr Gleichheit als Wertvorstellung in allen gesellschaftlichen Bereichen fühlbar zu machen. Davon war dann wenig zu spüren. Übrig blieb das genötigte Bemühen um den Privilegienabbau von' Politikern. Das Verhängnis des Vizekanzlers offenbarte mehr als nur eine individuelle Neigung zu Akkumulationen. Ganze Strukturzonen der SPÖ zeigen verhängnisvolle ökonomische Gewichtungen. Die Ungleichheiten im sozialökonomischen Bereich, in der mangelhaften beruflichen Mobilität oder in der Bildung usw. blieben erhalten; sie wurden durch die drohende Arbeitslosig-

keit noch stärker. Bis 1979 blieb hier alles beim Status quo ante. Und nach 1979 geht es so weiter?.

Nach 1975 gab es eine Reihe konkreter Themen, die weiter erörtert hätten werden sollen. Schon damals gab es den Gedankenaustausch über alternative Energiequellen; an der Enquete unseres Kreisky-Komitees nahmen zwei Nobelpreisträger teil. Es gab Begegnungen mit Gegnern und Befürwortern der Kernenergie; nach Zwentendorf gibt es diese Kontakte nicht mehr. Unter Werner Vogt diskutierten wir eine prospektive Gesundheitspolitik: Sein Modell der Altenbetreuung blieb im Versuchsstadium. Es gab eine

Diskussion über die Dienstvorschriften im Bundesheer im Anschluß an den Tod des Präsenzdieners Wandt - die Dienstvorschrift ist meines Wissens intakt.

Die Ausgangsposition der SPÖ kann heute nicht die gleiche wie 1970 oder 1975 sein. Das Fehlen des Dialogs - es sei denn, aus ihm ist das Gerede über seltsame Karrieren oder Stimmungstendenzen geworden - ist festzuhalten. Aber auch andere Talente blieben ungenützt. Die vergangenen ' vier Jahre wurden beinahe verjuxt. Das begann mit der Streiterei um Friedrich Peter und den unbegreiflichen Schutzmantelreflexen des Bundeskanzlers. Es setzte sich fort in der eher unwürdigen Volksabstimmung über die Muttersprache, gemeint waren die Slowenen-Ergebnisse erfuhr man nie. Es ging weiter in der Medienpolitik und den Purzelbäumen in ihr. Und die Aktionen vor der Volksabstimmung über Zwentendorf waren ein vorläufiger Höhepunkt. Was war in dieser Politik sozialdemokratisch? Es ist schwer, der SPÖ bis 1983 einen neuerlichen Vertrauensvorschuß zu geben.

Es fehlt an Optimismus. Er wird nicht mehr genährt durch innerparteiliche Demokratie. Er wird geschwächt durch die Genese einer autoritär agierenden Hintergrundelite der SPÖ - vor allem in Wirtschaftssachen. Aber das geht ein Nichtparteimitglied nichts an. Also ist die SPÖ wählbar? Sie wird sicher in dem Maße wählbarer, als es ihr die anderen Parteien immer mehr erleichtern. Das ist nicht sehr ermutigend. Kann man die ÖVP wählen? Diese Frage muß man sich ernst stellen.

So geht es aber nicht, daß die SPÖ das Negativspiel betreiben kann: Wer von euch will das „größere“ und wer das „kleinere“ Übel? Und das kleine ist die SPÖ selbst. Diese politische Infarktstimmung wurde nämlich dort produziert, wo sie die Wähler nie mitbestimmen konnten: in den Parteizentralen und -Sekretariaten. Nicht die Wähler können entscheiden, ob sie ein bürgerlich-finsteres oder himmelblaues Österreich wollen.

Es war die kleine Wahlrechtsreform 1971, die das Problem der Mehrheitsbildungen nicht lösen wollte. Die Wähler können „Bedrohungen“ gar nicht abwenden helfen, da die Meinungsbildungsprozesse in den Parteien schon nicht mehr funktionieren. Das schließt auch ein Favorisieren der ÖVP aus. Sie hat sich in der Bundespolitik noch immer nicht glaubwürdig gemacht. Sie scheint, mit Ausnahme von Wirtschaftsfragen, weniges liberal handhaben zu wollen. Die FPÖ war für mich nie eine Alternative.

Übrig bleibt die Angst vor dem Wahlausgang. Jeder mutmaßliche Sieger verdient nicht mehr den Sieg: Eine SPÖ-Regierung prolongiert vermutlich den politischen Immobilismus und beschleunigt die Abwanderung der Parteifunktionäre in die soziale Oberschicht, die große Koalition restauriert die vormaligen politischen Lebensverhältnisse, die kleine Koalition billigt der FPÖ eine überproportionale Bedeutung in unserem Staat zu.

Dieser Artikel aus der Feder des Initiators der .Aktion kritischer Wähler für Kreisky“ erschien in der Nummer 3/1979 von „Extrablatt“. Die einzelnen Formulierungen des Autors müssen sich nicht mit den Auffassungen der Redaktion decken.

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