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Vier Jahrzehnte am Steuer Europas

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Der Name Metternich ist heute nicht mehr gleichbedeutend mit „Zensur" und „Reaktion". Er kennzeichnet ebenso eine Epoche eines Vierteljahrhunderts friedlicher Entwicklung.

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Der Name Metternich ist heute nicht mehr gleichbedeutend mit „Zensur" und „Reaktion". Er kennzeichnet ebenso eine Epoche eines Vierteljahrhunderts friedlicher Entwicklung.

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Als er geboren wurde, lebte Maria Theresia noch. Als die Französische Revolution ausbrach, war er 17 Jahre alt. Bei seinem Tod stand die Franzisko-Josephini-sche Ära gerade unter einer ihrer schwersten Belastungsproben.

Clemens Lothar Wenzel Fürst Metternich, Staatskanzler zweier österreichischer Kaiser, ohne selbst Österreicher zu sein, hat die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts entscheidend geprägt. Das „Ende mit Schrecken", das seiner £ra beschieden war, hat ihm in der Geschichtsschreibung der Folgezeit einen Ruf eingetragen, der seiner Bedeutung nicht gerecht wird.

Erst ein Jahrhundert später, vor allem durch die Forschungen Heinrich von Srbiks beeinflußt, wird sein Bild zurechtgerückt — aber immer noch assoziiert man den Namen Metternich mit Zensur, mit Behördenwillkür, mit Reaktion, nicht mit einen Vierteljahrhundert Frieden, nicht mit einer der kulturell und wirtschaftlich fruchtbarsten Epochen, die Österreich je erlebt hat.

Die Zeit Maria Theresias und Josephs II. ist vor einigen Jahren in mehreren Großausstellungen der Nachwelt vor Augen geführt worden. Die Ära Franz Joseph — in ih-. rem ersten Teil — ist noch in Gra-fenegg zu sehen. Die Ära Metternich liegt dazwischen, quasi als Verbindungsglied. - So braucht sich die Ausstellung im Historischen Museum der Stadt Wien nicht nur an den 125. Todestag des Fürsten „anzuhängen".

Sie reicht von der Ernennung des 37jährigen Diplomaten zum Staatsminister — damals dem entscheidenden Mann des kaiserlichen Führungsstabes — am 8. Juli 1809, vor 175 Jahren, bis zu Sturz und Flucht in den Wirren der Revolution von 1848, mit den unerläßlichen Vor- und Nachträgen über Herkunft und Alters jähre.

Die letzten Jahre der napoleonischen Kriege, der Wiener Kongreß, Biedermeier und Vormärz, schließlich die Revolution werden in allen ihren Aspekten in 24 Kapiteln und mehr als 400 Exponaten lebendig.

Nur: Wer nicht durch Studium oder Interesse mit der Themenstellung vertraut ist, wird ohne Lektüre des Katalogs nur an Hand der Exponate die Bedeutung des Staatskanzlers für diese Zeit nicht erfassen und somit auch nicht den Titel der Ausstellung. Wie sehr Metternich jede einzelne Phase dieser Epoche durch sein Wirken beeinflußt hat, kommt wohl nicht genug zum Ausdruck.

Der reichsunmittelbare Fürst aus dem Rheinland, dem die Eroberungen Napoleons die Heimat geraubt hatten, war ebenso durch Herkunft und Erziehung wie durch den Anschauungsunterricht der Französischen Revolution und ihrer Folgen so geprägt, daß er für die neuen Ideen der Volkssouveränität nur Abscheu aufzubringen vermochte. . Das Prinzip der Legitimität, das Bündnis der Herrscher der europäischen Staaten von 1815 sollte die Gewähr geben, daß sich auch die Völker in Ruhe und natürlich weiterentwickeln konnten. Dazu mußte aber jede künstlich erzeugte Unruhe — einschließlich der Verfassungen und der Befreiungsbewegungen — unterbunden werden.

Der Katalog zitiert Henry Kissinger, der sich intensiv mit Metternich befaßt hat:

„Es war klar, daß neue Kräfte in der Welt aufgebrochen waren, die eine Teilnahme des Volks an den Regierungsgeschäften verlangten. Es schien aber genau so klar zu sein, daß diese Kräfte für ein Vierteljahrhundert allgemeiner Unordnung verantwortlich waren.

... Angesichts dieser Umstände ist es nicht so überraschend, wie unvollkommen die spätere Lösung war, sondern wie lebenskräftig ... wie .reaktionär' sie im Verhältnis zu den selbstherrlichen Lehren des 19. Jahrhunderts stand, sondern wie ausgewogen sie war ... Sie gab dieser Generation ... eine Periode der Stabilität, die es gestattete, daß diese Generation ihre Hoffnungen ohne einen großen Krieg und ohne eine permanente Revolution doch zu verwirklichen vermochte."

Diese Periode der Stabilität, in der unter Metternichs Einfluß die europäischen Mächte immer wieder bemüht waren, revolutionäre Bewegungen im Keim zu erstik-ken und die legitimen Herrschaftsstrukturen zu erhalten, gelang es, nach dem Staatsbankrott von 1811 die Währung allmählich wieder zu sanieren — unter schwersten Opfern gerade der armen Schichten.

Es entwickelten sich die Anfänge moderner Industrien. Es wurden die ersten Eisenbahnen gebaut.

In dieser Zeit lebte Goethe noch in Weimar, wirkten Raimund und Nestroy in Wien. In diesen Zeiten lebten Beethoven und Schubert; Josef Lanner beeinflußte die Wiener Volksmusik. Und während Johann Strauß Vater im Revolutionsjahr 1848 den kaiserlichen Truppen seine Märsche widmete, spielte sein Sohn für die Aufständischen.

Grillparzer und Bauernfeld rauften sich mit der Zensur herum. Rudolf von Alt und Peter Fendi hielten die beschaulichen Szenen des Biedermeier in ihren Bildern fest. Die Wiener Seidenzeug- und Samtmacher wallfahrten nach Atzgersdorf, und Clemens Maria Hofbauer, der 1779 noch den Besuch Papst Pius VI. in Wien miterlebt hatte, legte in den Salons der Romantiker die Grundlage für die religiöse Erneuerung des 19. Jahrhunderts.

In der Staatskanzlei am Ballhausplatz aber regierte Metternich, neben einem schwachen Kaiser zuerst, dann ab 1835, selbst schon 63 Jahre alt, neben einem fast debilen, regierungsunfähigen Herrscher, neben einem, für die innere Verwaltung zuständigen Zweiten, dem Grafen Kolowrat, mit dem er sich nicht verstand — Tragödie des alten Mannes, dessen Epoche schon zu lange gedauert hat.

Metternich selbst dachte noch daran, den starren Zentralismus der Monarchie durch einen gemäßigten Föderalismus mit einer starken Dynastie im Zentrum aufzulockern, um den langsam merkbar werdenden zentrifugalen Kräften entgegenzuwirken. Aber er setzte sich nicht mehr durch.

In der Revolution verjagt, 1851 heimgekehrt, konnte er noch fallweise dem jungen Kaiser Rat geben. Aber die Zeiten waren anders geworden. Gegen Metternichs Warnungen engagierte sich Österreich gegen Rußland im Krimkrieg, fing Franz Joseph den Krieg gegen Frankreich an.

Als Metternich am 11. Juni 1859 starb, war die Schlacht von Ma-genta geschlagen, die Lombardei verloren. Die Monarchie begann zu zerfallen.

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