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Vier Sachzwänge

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Diesen Donnerstag wird - zunächst auf drei Monate - der neue ORF-Generalintendant gewählt. Wer immer es sein wird: Er steht harten „Sachzwängen“ gegenüber. Welchen? Wir haben dazu den Kaufmännischen Direktor des ORF aus der Bacher-Zeit, Kommerzialrat Helmut Lenhardt, um eine Stellungnahme gebeten. Der Autor ist jetzt geschäftsführender Gesellschafter der „Kabelsignal“, die eine Einführung des, Kabelfernsehens in mehreren Bundesländern vorbereitet.

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Diesen Donnerstag wird - zunächst auf drei Monate - der neue ORF-Generalintendant gewählt. Wer immer es sein wird: Er steht harten „Sachzwängen“ gegenüber. Welchen? Wir haben dazu den Kaufmännischen Direktor des ORF aus der Bacher-Zeit, Kommerzialrat Helmut Lenhardt, um eine Stellungnahme gebeten. Der Autor ist jetzt geschäftsführender Gesellschafter der „Kabelsignal“, die eine Einführung des, Kabelfernsehens in mehreren Bundesländern vorbereitet.

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Alle oder fast alle Kandidaten für den Gl-Posten haben beim Hearing des ORF-Kuratoriums am 18. September auf die sich verändernde „Umwelt“ des ORF hingewiesen. Im österreichischen Zentralraum gibt es bis heute ein einziges Fernsehangebot, nämlich die beiden inländischen Programme. Bereits drei Tage nach der Generalintendantenwahl wird jedoch der Wiener Bürgermeister „auf den Knopf drücken“ und für Wien - zunächst ohne nennenswerte Verbreitung - das ARD- und das ZDF-Programm aus der Bundesrepublik Deutschland einschalten.

Kurz danach wird Landeshauptmann Andreas Maurer im niederösterreichischen Maria-Enzersdorf die Auslandsprogramme sichtbar machen. Dann beginnt die Verkabelung in Ostösterreich und damit die Konkurrenz für den ORF in Teilen des Landes, wo bisher Unzufriedene nur die Wahl hatten, das TV-Gerät abzustellen.

Wenn man weiß, daß in bereits mehrfach versorgten Gebieten des Landes Salzburg (wo deutsche TV-Sender einstrahlen) bis zu 40% der konsumierten Zuschauzeit auf die deutschen Programme entfallen, dann kann der Generalintendant der Jahre 1978 bis 1982 an der für den ORF entstehenden Konkurrenz nicht vorübergehen. Allein die beiden Großinvestoren auf dem Kabelsektor wollen bis zum Ende dieser Periode 400.000 bis 500.000 Haushalte, die außerhalb der „natürlichen“ Empfangszone hegen, an das Kabelnetz angeschlossen haben.

1982 könnte aber auch das Jahr sein, in dem einer der geplanten Fernsehdi-rektsatelliten mit einem Einstrahlbereich nach Österreich über dem Äquator stationiert wird. Dies wird den Ausbau der Kabelnetze sozusagen automatisch beschleunigen, weil die Empfangsspiegel überwiegend an den Kopfstationen der Kabelsysteme montiert werden.

Die Schlußfolgerung lautet, daß der ORF unverzüglich ein mittelfristiges neues Programmkonzept wird entwickeln müssen, das ein attraktives, konkurrenzfähiges und eigenständiges inländisches Fernsehangebot vorbereitet. Da die Entwicklung und Realisierung von neuen Programmen, wenn man von Schnellschüssen absieht, mindest zwei, eher drei Jahre dauern, kann sich der Generalintendant dem Sachzwang „Anpassung an kommende Konkurrenzsituationen“ nicht entziehen.

In unmittelbarem Zusammenhang damit steht das Problem der personellen Zusammensetzung der Führungsgarnitur. Man muß nicht alles (jedoch einiges) glauben, was in den letzten Jahren über Zerwürfnisse zwischen dem Generalintendanten, den Programmintendanten und Direktoren kolportiert wurde.

Tatsache ist, daß es nach dem Rundfunkgesetz 1974 im ORF neben dem Generalintendanten drei weisungsfrei gestellte Programmintendanten gibt.

Wenn es dem Generalintendanten nicht gelingt, ein neues Fernsehprogramm-Konzept in vollem Einvernehmen mit den beiden Fernsehintendanten zu erarbeiten, wird er Schiffbruch erleiden und eine gegenüber der Auslandskonkurrenz widerstandsfähige, überlebenstüchtige Unternehmenskonzeption nicht durchsetzen können.

Den technischen und kaufmännischen Bereich kann er im Bedarfsfall durch Weisung dirigieren, den Programmintendanten kann er, ganz simpel gesagt, nur gut zureden.

Ob die sachliche Notwendigkeit, in der Führungsetage des Unternehmens ein Team aufzubauen, von allen Seiten eingesehen wird, muß man bezweifeln. Das Kuratorium kann die personellen Vorschläge des Generalintendanten gutheißen oder ablehnen. Vermutlich gibt es bei manchen, die auf die Bestellungen einwirken, eher das Bestreben, eine Führungsgarnitur zu installieren, wo einer den anderen kontrolliert, beaufsichtigt, beargwöhnt, als ein Team, wie es in den Jahren 1967 bis 1974 unter Gerd Bacher gearbeitet hat.

Damals hat man für das Team Schimpfwörter von „Clan“ bis „Clique“ geprägt - und die Zeiten haben sich nicht geändert. Den Sachzwang „Teambildung“ müßte also nicht nur der Generalintendant, sondern auch das Kuratorium einsehen.

Die dritte Aufgabe, die der Generalintendant lösen muß, ist die Wiederherstellung oder Neugestaltung vernünftiger Beziehungen im kombinierten Programm- und Produktionsbereich des Unternehmens. Hier geht es sowohl um Ordnungsmaßnahmen wie um eine Sanierung des Arbeitsklimas.

Einer der GI-Bewerber hat im Kuratorium dem Vernehmen nach vorgeschlagen, den Produktionsbetrieb Fernsehen aus der Technischen Direktion herauszulösen und dem Generalintendanten zu unterstehen. Das Problem hegt darin, daß dem Produktionsbetrieb mehrere voneinander unabhängige „Besteller“ oder Anforderer gegenübertreten: der FS-l-Intendant und der FS-2-Intendant an der Spitze, die - miteinander konkurrierenden Chefs der Aktualitätenprogramme darunter.

Die Reibereien sind, wie man täglich von den Betroffenen hören kann, unerträglich geworden, die Reibungsverluste sind beträchtlich. Ob man gleich eine quasi neue Direktion durch Transferierung einiger hundert Mitarbeiter in die Generalintendanz schaffen sollte, oder ob es nicht andere Lösungsmöglichkeiten gäbe - koordinierende Eingriffe des Generalintendanten, Personenwechsel an kritischen Nahtstellen - bleibe dahingestellt.

Jedenfalls hat der Generalintendant hier eine brennheiße Aufgabe vor sich, deren Lösung er sich nicht entziehen kann. Über kurz oder lang werden es sonst qualifizierte und auch im Ausland gesuchte Autoren und Regisseure ablehnen, für den ORF zu arbeiten -

und dies zu einer Zeit, da es zu einer Regeneration und Umorientierung der Programme einer Konzentration aller erstklassigen und irgendwie verfügbaren Kräfte bedürfte. Bei den hausinternen Mitarbeitern würde sich das schon ringsum festzustehende Gefühl der Wurstigkeit und Verdrossenheit weiter vertiefen.

Der vierte „Sachzwang“ für den Generalintendanten ist allgemeinerer Art, aber für den Erfolg des Unternehmens von enormer Bedeutung. Es ist notwendig, den ORF aus der Krisenzone des täglichen politischen Hickhacks herauszuführen.

Er wird sich nie der Kritik politischer oder wirtschaftlicher Interessenten, die sich benachteiligt fühlen, entziehen können. Es wird anderseits nie möglich sein, ein hinsichtlich der Objektivität, der Ausgewogenheit, der kulturellen und der Informationsqualität „fehlerfreies“ Gesamtprogramm herzustellen. •

Der Generalintendant muß imstande sein, souverän und gelassen zu reagieren und auch den Intendanten, dem Redakteursrat usw. ein solches Verhalten einzuimpfen. Dazu gehörtes nicht nur, unberechtigte Kritik zurückzuweisen, sondern auch berechtigte Kritik anzuerkennen und unvermeidliche Fehler auszubügeln. Dies setZtSelbstsicherheit, den Verzicht auf unnötige Kraftakte, aber auch politische Standfestigkeit voraus.

Im Hearing vom 18. September wurde dem Verfasser die Frage gesteht, was er als Generalintendant an „Spektakulärem“ bieten würde. Nach einigem Uberlegen lautet die Antwort: „Nichts!“ Der Generalintendant steht vor genügend Aufgaben, die er nach innen und außen zu erfüllen hat. Das tägliche „Spektakel“ sollen gute Programme sein, alles andere - das sollte man dem Generalintendanten für die neue Funktionsperiode ins Stammbuch schreiben - ist ungesund. •

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