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Viergeteiltes Land

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Für Afghanistan stehen die Friedensaussichten nicht günstig. Killerkommandos verhindern politische Lösun­gen.Die Drahtzieher sitzen im Dunstkreis des pakistani­schen Geheimdienstes.

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Für Afghanistan stehen die Friedensaussichten nicht günstig. Killerkommandos verhindern politische Lösun­gen.Die Drahtzieher sitzen im Dunstkreis des pakistani­schen Geheimdienstes.

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Am Sonntag, 28. Jänner, wurde der afghanische Politiker A. Qay-yum Kalakani in Frankfurt erwar­tet - zu Gesprächen mit Spitzenpo­litikern der SPD und anderer west­europäischer Parteien. Geplant waren ferner Besuche in Kanada und den USA. Der afghanische Widerstandskämpfer, gemeinhin unter seinem Vornamen Qayyum bekannt, war erst kurz zuvor in Pakistan eingetroffen, nachdem er auf einer ausgedehnten Reise durch die von den Mudschahedin kon­trollierten Gebiete Afghanistans Lösungsmöglichkeiten für die viel­fältigen Konflikte erörtert hatte. Qayyum wurde auf dem Weg zum Flugplatz am hellichten Tag auf offener Straße ermordet.

Qayyum machte auf seiner Reise durch Afghanistan die Erfahrung, daß die Bevölkerung recht einhel­lig beide Regierungen ablehnt, das heißt sowohl die pro-sowjetische Regierung in Kabul als auch die Übergangsregierung der Mud­schahedin in Pakistan, die eben­falls gänzlich vom Ausland abhän­gig ist - speziell von Saudi-Ara­bien. Die Mehrheit der Afghanen ersehnt eine Regierung der natio­nalen Mitte, über die wieder der alte Exilkönig thronen soll - zu­mindest als Symbolfigur.

Qayyum betonte seinerseits die Wiederherstellung der nationalen Einheit und fand damit großen Zu­spruch, denn gegenwärtig ist Af­ghanistan ein viergeteiltes Land. Zumindest indirekt untersteht ein Teil den Iranern, ein anderer den Pakistanern, wieder ein anderer den Saudis - und die Sowjets haben im­mer noch einen Teil unter der Kon­trolle ihrer Marionettenregierung.

Als Chef einer Sammlungsbewe­gung, die sich NEFA (Nationale Ein­heitsfront Afghanistans) nennt, wurde Qayyum von Islamisten und Kommunisten gleichermaßen be­kämpft. In jüngster Zeit hatte sich die Regierung in Kabul bemüht, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Regierungschef Nadschibullah könnte notfalls zurücktreten, hatte man klar zu verstehen gegeben.

Qayyum war auf derlei Anbiede­rungsversuche nicht eingegangen. Sondierungsgespräche mit Politi­kern in der westlichen Welt sollten erst einmal die Möglichkeiten einer globalen Lösung des Afghanistan­konfliktes erkunden helfen. Vor allem ging es ihm um die Schaffung der Voraussetzungen für die Ein­führung eines wirklich demokrati­schen Systems. Dem widersetzten sich jedoch die von Pakistan und dem Iran ausgehaltenen Islamisten nicht weniger als die Moskau-höri­gen Kommunisten. Letztere haben sich in jüngster Zeit sogar einsich­tiger gezeigt, um sich zumindest eine Überlebenschance zu sichern.

Während beide Supermächte dazu übergegangen sind, ernsthaft eine politische Lösung anzustreben, widersetzt sich Pakistan immer deutlicher jeder Regelung, die den Einfluß Islamabads auf die zukünf­tige Gestaltung Afghanistans min­dern könnte. Den Pakistanern scheint eher daran gelegen zu sein, die Afghanen weiter im eigenen Fett schmoren zu lassen. Die Zerset­zungserscheinungen im Nachbar­land dienen den Zwecken Islama­bads insofern, als es dadurch mög­lich wird, einen Teil Afghanistans fest in den Griff zu nehmen - und zwar durch islamistische Mudscha­hedin im Solde Pakistans. In diesem Punkt scheint die Regierung von Benazir Bhutto mit ihren Geg­nern im Militär übereinzustimmen - sehr zum Verdruß Washingtons. Die USA sind besorgt über die Wut der Afghanen, die die CIA für die Manipulationen der Pakistaner verantwortlich machen.

Qayyum wurde von vier aus ei­nem Toyota-Jeep springenden Zi­vilisten getötet, die ihn mit Kugeln zersiebten. Angesichts der von ihm geübten Geheimhaltung - er be­wegte sich in Pakistan im Unter­grund - kommt außer dem militäri­schen Geheimdienst Pakistans ISI (Interservices Intelligence) als Tä­ter kaum jemand anderer in Frage. Wie schon bei der Ermordung zahl­reicher anderer afghanischer In­tellektueller und Politiker in Paki­stan werden die Killer wohl auch diesmal aus den Reihen der afgha­nischen Islamisten kommen - und deren Anführer Hikmatyar ist be­reits seit den frühen siebziger Jah­ren ein Angestellter des ISI.

Zu denken gibt schon die Tatsa­che, daß ein prominenter Politiker wie Qayyum seitens der pakistani­schen Regierung keinerlei Anerken­nung fand, von Schutzmaßnahmen ganz zu'schweigen. Während der Dekade des Afghanistankrieges wurde Qayyum von mehreren Staatsoberhäuptern empfangen. In Argentinien und Kolumbien wurde er auf Massenveranstaltungen ge­feiert, in Italien und Skandinavien von Parlamentariern und Gewerk­schaftlern hoch geehrt. Trügen die pakistanischen Behörden keine Verantwortung für seinen Tod, dann hätten sie auf diesen Mord endlich mit Maßnah­men gegen die Islami­sten Hikmatyars ant­worten müssen, wie von Regierungskrei­sen der USA, Frank­reichs, Norwegens und mehrerer anderer Staaten seit Jahren immer wieder gefor­dert wurde.

Staatdessen ver­steckt sich die paki­stanische Regierung hinter ihren rechts-extremistischen Schützlingen aus Afghanistan, deren Propaganda Qayyum als einen „Maoisten" abzustempeln pflegte. Dahinter steckt deren Neid auf die gediege­ne islamische Bildung des ermordeten Poli­tikers, der an der Al-Azhar-Universität in Kairo studierte, über das Max-Planck-In­stitut in die Bundesrepublik Deutschland kam und an der Kie­ler Universität unterrichtet hatte. Neben den beiden afghanischen Landessprachen Dari und Paschtu sprach Qayyum perfekt Arabisch, Deutsch und Englisch.

Der 48jährige Widerstandsfüh­rer hinterläßt eine Mannschaft, deren Durchschnittsalter knapp 28 Jahre beträgt - eine Folge des Krieges und der zahlreichen Morde in Pakistan, durch die die einstige Elite Afghanistans so stark dezi­miert wurde. Es mag Jahre dauern, bis die demokratische Mitte unter den 'Afghanen wieder eine staats­männische Persönlichkeit vom Schlage Qayyums vorweisen kann. Die Friedensaussichten für die hart geprüfte Nation in Zentralasien sind in weite Ferne gerückt.

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