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Vierzig Tage

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Beim Nachzählen der 40 Tage währenden Fastenzeit hat schon mancher seine herbe Enttäuschung erlebt: Sie dauert nämlich eine gute Woche länger. Die Erklärung ist einfach, doch wenig bekannt. Denn in den Zeiten der strengen Fastenbräuche fastete man an den Wochentagen, also von Montag bis Samstag. Der Sonntag galt auch in der vorösterlichen Bußzeit als Feiertag, als Erinnerungstag an die Auferstehung. An diesem Tag wurde nicht gefastet. So kam man auf 40 echte Fasttage vor Ostern.

Diese Reminiszenz zeigt nicht nur penible Bußgesinnung, sondern auch ganz gute Psychologie im Umgang mit Verzicht und Bedürfnissen. Denn es war ganz einfach leichter, sechs Tage zu fasten und dann einen Tag wieder voll zu genießen. So stärkte man seine Motivation und hielt leichter durch.

Die 40 Tage der Fastenzeit erinnern an die Vorbereitungszeit, die Jesus vor seinem öffentlichen Wirken fa-stendin der Wüste verbrachte. Aber auch die 40 Tage des Mose auf Berg Sinai oder des Propheten Elija unterwegs zum Berg Horeb, ja sogar die 40 Jahre der Wüstenwanderung des Volkes Israel auf dem Weg ins gelobte Land gehören zu den Vorbildern der österlichen Bußzeit. Diesen biblischen Vorbildern ist mehreres gemeinsam: Sie sind Weg zu einem Ziel oder Vorbereitungszeit, sie sind entweder von unfreiwilligen Entbehrungen oder von freiwilligem Fasten gekennzeichnet, sie dienen der Besinnung auf ein gemeinsames Ziel oder einen Lebenssinn. Die Wüste steht auch als Symbol für den Ort der Einsamkeit, an dem der Mensch zu sich selbst und zu Gott finden kann.

Die vorösterliche Fastenzeit hat deshalb auch eine mehrfache Bedeutung: Sie will zum höchsten Fest der Christen hinführen und vorbereiten, zur mehrtägigen Feier von Tod und Auferstehung Jesu. Sie will aber auch „Wüste” sein, den Menschen zu sich selbst führen, ihn anleiten, die Grundfragen seines Lebens nach dem Woher und Wohin zu stellen. Sie will ihn zu einer Revision des Lebens anregen, zu einer Sichtung von Gut und Böse, von Erfolg und Mißerfolg, zu einer Bilanz von geglücktem und mißglücktem Leben. Umkehr und Bewältigung der Schuld ist eine der Botschaften dieser Zeit.

Von alledem ist vielen Zeitgenossen nur mehr das Fasten in Erinnerung — und das zumeist ohne wirkliches Verständnis, bestenfalls als Schlankheits- oder Gesundheitsfasten rationalisiert. Das Verständnis für das innere Wesen des Fastens ist einer übergewichtigen und infarktbedrohten Generation abhanden gekommen.

15. Teil einer Serie über Zeichen und Symbole im Jahreskreis der Kirche.

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