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VierViertel-EinGanzes

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Das klingt zuerst einmal wie eine simple mathematische Gleichung, geradezu volksschülerhaft: vier Viertel, ein Ganzes. Indessen, auf unser Heimatland angewendet, wollen wir diesen Titel nicht quantitativ, sondern qualitativ verstanden sehen: über den selbstverständlichen Sachverhalt hinaus, daß vier Viertel rechnerisch ein Ganzes ergeben, wollen wir damit die eigentliche Besonderheit des Bundeslandes Oberösterreich aufs knappste formulieren; die nämlich, daß es, dieses Bundesland, nicht durch irgendein Einzelnes und Einmaliges groß beherrscht und unverwechselbar charakterisiert wird (wie oft Tirol durch seine Berge oder Kärnten durch seine Seen oder das Burgenland durch die Pußta), sondern daß hier, in Oberösterreich, wohl alle Elemente, die in Österreich überhaupt anzutreffen sind, auf vergleichsweise engem Raum zu schöner Harmonie sich finden, so daß wir gerade dieses Bundesland wie kein zweites als ein Modellösterreich erleben dürfen.

Zu einem Modell gehört seinem Begriffe nach zweierlei: einmal, daß wirklich alles - alles Wesentliche und Konstituierende - des Originals, des im Modell Gemeinten, vorhanden, und zum ändern, daß alles dies in verkleinertem Maße, bequem überschaubar und gleichsam gemildert dargestellt sei. Die erste Bedingung trifft zweifellos zu: die Skala reicht, wie in ganz Österreich, vom unwegsamen Gletschergebirg’ (im südlichen Zipfel) bis zum raschelnden, raunenden, nebeldunsteten Auwald (von Linz donauabwärts), vom Kurort (wie Bad Ischl oder Gailspach) bis zu den Ballungen technisch schaffenden Fleißes (am Ortsrand der Landeshauptstadt etwa, aber auch manchenorts im Hausruckviertel), vom Fruchtland (um Ried) bis zur nutzlosen und dennoch unersetzlich wertvollen Romantik natürlicher und menschlicher Schöpfung (wobei im ersten Fall zum Beispiel an den geschlängelten Durchbruch der Donau bei Schlögen, im zweiten an die zahlreichen Burgruinen insbesondere des Mühlviertels erinnert sei), vom spiegelblanken See (des Salzkammerguts) bis zu den in Kaskaden zu Tal schäumenden Wüdwassem (nicht nur der Enns, sondern auch manches Bächleins), vom menschenleeren Hochwald (am Nordkamm) bis zu Volksfest und Jahrmarkt (in Wels, in Urfahr), vom massiven, ganz nach innen gekehrten Vierkanter (des nördlichen Traunviertels) bis zum schwellenden, quellenden und doch so unmerklich wie streng gebändigten Barock (vor allem der Klöster Oberösterreichs), von der vorzeitlichen oder römischen Grabungsstätte (Hallstatt, Lauriacum) bis zum öl- bohrtum (im Innviertel).

Jedoch - und nun sprechen wir von der zweiten der geforderten Bedingungen jedoch die Berge Oberösterreichs ragen nicht ganz so hoch und nicht ganz so starr und feindselig wie die höchsten Österreichs, und Steyr ist nicht so total und ausschließlich eine Industriestadt wie etwa Kapfenberg, und der Wald hier steht kaum wo noch derart geschlossen wie drüben im Niederösterreichischen, und unsre Seen sind niemals im Jahr so fast mollig warm wie die in Kärnten, und St. Florian tritt hinter Melk, Lauriacum hinter Carnuntum bescheiden zurück.

Oberösterreich ist in keiner, in gar keiner Hinsicht ein Land der Superlative, des Überdimensionierten; selbst das wahrhaft Sensationelle - zum Beispiel der seit weit über 3000 Jahren wahrscheinlich nie unterbrochene Salzbergbau von Hallstatt oder das jüngst erst festgestellte Continuum der Laurentiuskirche bei Enns durch alle näher bekannten Kulturen hindurch -, selbst das wahrhaft Sensationelle also tritt nirgends als solches hervor, sondern nimmt sein Maß an dem ach so vergänglichen Menschen: man gehe nur einmal durch einesrder kleinstädtischen Museen oder Heimathäuser (in Freistadt, in Enns, in Hallstatt etwa), wo die Dinge in den Vitrinen so liegen, als seien sie gestern noch in Gebrauch gestanden und hier nur kurz, bis zur nächsten Verwendung, aufbewahrt worden!

Die Dinge hier - und eben nicht nur die schon museumsreifen die Dinge hier im Oberösterreichischen also drängen sich nicht auf, sondern warten, ob einer komme, sie zu entdecken - wie einstmals Adalbert Stifter gekommen ist, der bislang größte Prosadichter Österreichs (und als solcher noch immer nicht überall erkannt), in welchem wir Oberösterreicher, über das Ästhetische und Ethische seiner Kunst hinaus, uns gültig und vorbildhaft repräsentiert sehen.

Uns - das heißt: nicht bloß uns Oberösterreicher und nicht bloß unser Oberösterreich, sondern beides, Land und Leute, zusammen, als ein von der Schöpfung her Ganzes.

Denn Landschaft und Charakter sind ja nur einer Idee verschiedene Realisierungen, zwei unterschiedliche Manifestationen eines einzigen ungeteilten und unteilbaren Willens, sich in diesem Partikel des Weltalls just so und nicht anders auszusprechen. Wenn wahr ist, daß jedes Volk die Regierung hat, die es verdient: um wieviel wahrer ist dann der Satz, den wir hier behaupten: daß jeden Charakter die Landschaft umgibt, die ihm gemäß ist.

Im metaphysischen, das heißt im allumfassend tatsächlichen Sinne Sizilianer in Lappland, Mexikaner in Tibet, Madagasse in Holland (oder auch nur Burgenlärider im Salzkammergut, Linzer in Wattens) zu sein, gelingt auch heroischer Kraftanstrengung nicht

Gewiß: Es kann der Mensch im fremden Lande leben und arbeiten, er kann dort Geld verdienen und ein Haus bauen, eine Fa- müie gründen und glücklich sein - Millionen haben’s bewiesen -; wer möchte etwa behaupten, die Bewohner der USA seien heimat- und vaterlandslose Gesellen, nur weil der Vater dieses einen vom Zürcher See stammt, der Großvater jenes ändern am Fuß des Kaukasus aufgewachsen ist?

Die Wirkung ist ja eine wechselseitige: Der Mensch macht das Land sich zu eigen und untertan, und das Land wieder rät ihm, veranlaßt oder zwingt ihn zu dem, was zu sein er vermag; gar mancher fand seine Heimat erst, als er die, der er ein halbes Leben lang gewohnheitsmäßig diesen Namen gegeben, verlassen hatte: als Böhme in Wien, als Hugenotte in Preußen, als Germane in Rom… Nur so - und nicht in dem eben so selbstmörderischen wie mörderischen Lokalpatriotismus, der Ortschaft gegen Ortschaft, Land gegen Land, Nation gegen Nation ausspielt -, nur so also wollen wir begreifen lernen, was Heimat ist: die Übereinstimmung von Landschaft und Charakter, wo eines im ändern sich abbüdet und erklärt, und zwar ganz unabhängig davon, ob der Mensch erst kürzlich zugewandert oder auf fünfhundert Jahre Seßhaftigkeit zurückblickt

Von unserem Lande haben wir gesagt, daß nichts Einzelnes und Einmaliges dominiere: nicht das Gebirge und nicht das Wasser, nicht die Sommerfrische und nicht die Industrie, nicht altes Kulturgut und nicht moderner Betrieb. Und genau das gleiche behaupten wir von dem Charakter des Landesvolkes: daß kein Wesenszug, den wir als einen schlechthin österreichischen erkennen, isoliert hervortritt, daß aber auch keiner fehlt Genau so, wie das Land seinen Anteil hat an mehreren geologischen Formationen und Bildungen - vom Granit über Lehm und Schotter bis zum Kalk, mit mancherlei kleinen, aber besonders wertvollen Einlagerungen -, so hat der% Mensch hier seinen Anteil an mehreren Stämmen, Rassen, Völkern und Kulturen, aus der Tiefe der Jahrtausende heraus bis zur alleijüngsten Vergangenheit, von den Illyrern bis zu den Gablonzern, wobei uns scheinen will, als sei gerade hier, in Oberösterreich, der Prozeß der Verschmelzung mit geringeren Rückständen, also wohl organischer, erfolgt als im äußersten Westen und auch als im äußersten Osten Österreichs, dieses in seinen Kemlanden unvergleichlich glücklichen Stau- und Sammelbeckens zahlloser Ströme von Blut und Geist.

Aber wer Augen hat zu sehen und Ohren zu hören, dem werden dennoch die vielen Herkünfte des heutigen Oberösterreichs merkbar werden- die Urbanität als Erbe Roms, und daneben die von unverblümtem Humor und frohem Umtrunk aufgelockerte bajuwarische Zähigkeit; aus keltischer Vorzeit die fast verspielte Freude am Schönen, und daneben die slawische Schwermut, die den Kern der Person oft sicherer schützt als jener Panzer aus härterem Seelenstoff; die barocke Lust am Formen- Überfluß in Stein und Klang und Sprache, und daneben die Inbrunst, des Glaubens an Orts- und Schutzheilige, die noch den Status von Göttern haben wie wohl zu Severins Zeiten -; und er, dieser aufmerksame Prüfer unseres Charakters, wird alsbald in dem Oberösterreicher genauso das Modell des Österreichers erblicken können, wie er in Oberösterreich das Modell von Österreich erkannt hat.

Uns braucht das nicht stolz zu machen, aber es darf uns glücklich machen: daß wir, wenn wir Oberösterreich sagen, aus tief natürlicher Ursache gar nichts anderes meinen können als immer auch: Österreich.

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