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Vierzehn Poeten an einem Tisch

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Da saßen die vierzehn Poeten an einem heiteren Montag im November an einem langen Tisch: die nach Budapest gereisten Österreicher gleichsam auf österreichischem Boden, nämlich zwischen den vier Wänden der eigenen Botschaft, und die Ungarn, wenngleich in Budapest, doch exterritorial. Ein Diplomat leitete die Diskussion, Artur Kremsner, Gründer des ersten und vorläufig nur de jure existierenden österreichischen Kulturinstitutes in der ungarischen Hauptstadt. Ein neues Gebäude am Fuß des Burgberges wird demnächst - so sagt man und: wollen wir hoffen! - errichtet.

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Da saßen die vierzehn Poeten an einem heiteren Montag im November an einem langen Tisch: die nach Budapest gereisten Österreicher gleichsam auf österreichischem Boden, nämlich zwischen den vier Wänden der eigenen Botschaft, und die Ungarn, wenngleich in Budapest, doch exterritorial. Ein Diplomat leitete die Diskussion, Artur Kremsner, Gründer des ersten und vorläufig nur de jure existierenden österreichischen Kulturinstitutes in der ungarischen Hauptstadt. Ein neues Gebäude am Fuß des Burgberges wird demnächst - so sagt man und: wollen wir hoffen! - errichtet.

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Anlaß zu einem ersten Literatursymposium dieser Art war das Erscheinen der Zeitschrift „Pannonia” auch in Ungarn. (Abends gab es zur. Feier dieses Ereignisses dann auch noch einen Empfang.) Es wurde nicht viel um den appetitlich heißen Brei herumgeredet. Man war sozusagen unter sich. Phrasen brauchte niemand, auch flüchtete niemand in den Überschwang hohler Parolen. Schriftsteller sind - da sie mit Sprache umgehen und also genau sein müssen - fanatische Realisten. Das heißt, sie sind sachlich. Das Ergebnis der Debatten entsprach der gelösten, fürwahr freundschaftlichen Atmosphäre.

Waren die Literaturen beider Länder richtig vertreten? Die ganze Vielfalt war repräsentiert. Bleiben wir alphabetisch. Gäbor Görgey, der Lyriker, Urgroßenkel des legendären Generals, hatte kurz vorher einige Monate in Graz verbracht: ein intellektueller Poet und glänzender Übersetzer. Gäbor Hajnal, ebenfalls Lyriker, gehört zur älteren Generation. Er hat mehrere Sammlungen österreichischer Dichtungen veröffentlicht. Gyula Hernädi ist ein Schriftsteller abenteuerlich intellektueller Spiele, etwa in der Art des Aldous Huxley. Sein Stück „Königliche Jagd” wird auch in Wien sicherlich auf die Bühne kommen. Dezsö Keresztury, Germanist, Lyriker, Herder-Preisträger, einst Unterrichtsminister, nüchterner Prophet der Verständigung, führte das Wort, und das war richtig so. Läszlö Passuth, dessen umfangreiche historische Romane oft ins Deutsche übersetzt wurden, war ebenso anwesend wie Magda Szabö und ihr gelehrter, fürwahr feinsinniger Mann, der Essayist Tibor Szobotka. Daß die subtilen Romane der Szabö im Insel-Verlag in hohen Auflagen erscheinen, ist allgemein bekannt.

Aber auch die Österreicher ließen die Vielfalt unseres Schrifttums erkennen. Namen stehen für Menschen, zugleich auch für verschiedene literarische Richtungen. Ich glaube, die Österreicher sind in ihrer Heimat bekannt genug, die Namensliste genügt: Hermann Gail, Alfred Gesswein, Alexander Giese, Hugo Huppert, Franz Probst, Ernst Schönwiese, Peter Daniel Wolfkind. (Und ich war auch dabei.)

Lebhaft und manchmal labyrinthisch waren die Diskussionen. Es ging zum Beispiel um die Frage, ob denn eine eigene österreichische Literatur überhaupt existiert, oder ob sie einfach Teil der deutschen Literatur ist. Sind die Autoren, die das Vorhandensein einer eigenen österreichischen Literatur verneinen, schlicht und einfach großdeutsch gesinnt? Vielleicht Deutschnationale? (In dieser Hinsicht waren die Ungarn recht hellhörig.) Aber anderseits: Wird denn die österreichische Literatur in ihrer ganzen Vielfalt ins Ungarische übersetzt? Kennt man zum Beispiel Doderer? Und was wird der neuen großen Musil-Übersetzung folgen?

Gegen vier Uhr am Nachmittag wurden dann die Resultate zusammengefaßt, und man war nun wieder sachlich und realistisch. Eine Studie soll die Aufnahme österreichischer Literatur in Ungarn und die Rezeption ungarischer Literatur in Österreich darstellen. Damit wäre der Ausgangspunkt geklärt. Alle zwei Jahre soll eine gemeinsame Anthologie österreichischer und ungarischer Autoren erscheinen, und zwar auf Deutsch in Wien und auf Ungarisch in Budapest. Dreimonatige Aufenthalte im Nachbarland mit Hilfe „pannonischer Stipendien” sollen jedes Jahr einen

Schriftsteller in die Lage versetzen, die Literaturszene auf der anderen Seite der Grenze kennenzulernen und nach der Heimkehr entsprechend weiterzuwirken. Die wichtigsten Übersetzer sollen einander zum Erfahrungsaustausch treffen. Man will Wege suchen, um die Massenmedien in der gewünschten Richtung zu mobilisieren.

Im kommenden Jahr wird das Gespräch in Wien fortgesetzt, und zwar im Collegium Hungaricum; als eine Veranstaltung der Ungarn also. Damit stellen sich die staatlichen Institute in den Dienst der natürlichsten Sache dieser Welt: sie verzichten auf protokollarische Äußerlichkeiten und bringen nicht die Verwalter, sondern die Produzenten der Kultur an einen Tisch. So, nur so kann Geistvolles gedeihen: in der Spontaneität des Gespräches, in der Vitalität der Auseinandersetzung, in der Inspiration des Augenblickes. Das Schöpferische lebt aus der Improvisation. Was da in Budapest vor sich ging, war ein Beispiel dafür. Und also löste sich die Runde dann auf, aber doch nicht gänzlich. Im kleinen Kreis, unter vier oder sechs Augen, wurden gemeinsame Pläne entworfen. Und der Kirschenschnaps duftete mit voller, fruchtiger, die Dinge klar verdichtender Kraft

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