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Vierzig Quadratmeter Österreich

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Kahle Wände, ein Zimmer, ein Vorraum, der zugleich Küche und Bad ist. Kein Strom, kein Gas, kein Ofen, der Wasserhahn tropft. Eisige Kälte herrscht in diesen vierzig Quadratmetern Österreich.

Vorübergehend, hofft Familie K. aus Polen, die eben eingezogen ist. Das Geschirr und die Wäsche sind zum Teil noch in Schachteln verstaut, die Reisepässe der K.'s liegen bei der Fremdenpolizei zur Verlängerung ihrer Arbeitsvisa. Ohne Pässe können sie aber weder Strom noch Gas anschließen lassen.

Die Stimme des Familienvaters bebt, wenn er redet, gefriert sein Atem. Dabei leben diese polnischen „Wirtschaftsflüchtlinge“ derzeit in weit besseren Verhältnissen als vor einiger Zeit.

In Wien angekommen wurde ihnen von einem Landsmann eine desolate Wohnung, Wasser und WC am Gang, um fünftausend Schilling monatlich vermietet. Dieser hatte für sich eine komfortablere, gleichzeitig auch billigere Unterkunft gefunden.

Die eigene Naivität und die unmittelbare Not der Flüchtlinge nach der Ankunft hat die Polen viel Geld gekostet. Die Verhältnisse wurden untragbar für eine Familie, die ursprünglich nach Österreich gekommen war, um mit Schwarzarbeit möglichst rasch möglichst viel Geld zu verdienen, sich aber nie hatte vorstellen können, ihre Wohnverhältnisse diesem Vorsatz unterzuordnen.

„Die Schwarzarbeit ist sicher ein Risiko“, sagt die engagierte polnische Sozialarbeiterin. „Skrupellose Menschen versuchen, die Polen auszunützen. Mich enttäuscht nur, daß nicht einmal Landsleute untereinander zusammenhalten.“ Andere wieder werden, erzählt sie, von rücksichtslosen einheimischen Geschäftemachern aufs Kreuz gelegt.

Frau W. aus Krakau zum Beispiel ist mit spärlichen Deutschkenntnissen einem trickreichen Immobilienmakler aufgesessen. Verlockend las sich die Zeitungsannonce: „Hauptmietwohnung zu vergeben, 35 Quadratmeter, 1.200

Schilling monatlich.“

Gutgläubig unterschrieb die ahnungslose und sprachunkundige Frau einen Vertrag, in dem sie sich verpflichtete, jede ihr fortan angebotene Wohnung anzunehmen. So wurde aus dem Lockangebot einer Hauptmietwohnung ein Einzelraum mit Kochnische in der Größe von fünfzehn Quadratmetern zum Preis von 1.600 Schilling. Dort hat sie dann eine Zeitlang gelebt, mit Mann und zwei Kindern. Die Wohnung war unterkühlt und feucht, an den Wänden wuchs der Schimmelpilz.

„Derartige Zeitungsinserate sind nicht selten nur Werbung, um gutgläubige Menschen anzulocken“, bestätigt auch die Sozialarbeiterin. Viele Polen, sagt sie, kommen mit dem Traum von einer freien und besseren westlichen Welt, sie glauben, hier ein Schlaraffenland vorzufinden, lassen ein Land nahe dem wirtschaftlichen Zusammenbruch zurück.

Auch Akademiker sind unter ihnen, sie hoffen auf Arbeit, bessere Wohnverhältnisse als in Polen. Hier arbeiten sie dann am Bau, in den Fabriken, als Putzfrauen.

Unangemeldet natürlich. Auch Arbeiter und Bauern kommen - als Schwarzarbeiter - und suchen billigste Wohnmöglichkeiten, um so wenig wie möglich vom hier Erworbenen auszugeben. Die polnischen Flüchtlinge akzeptieren für sich diese gesundheitsgefährdenden Wohnverhältnisse, auch wenn kein skrupelloser Makler, kein ausbeu terischer Untervermieter dahinter steht.

Vor den Arbeitsämtern bieten sie sich an, fröstelnd, auf gute Entlohnung hoffend. Krystof ist einer von ihnen, er hat einmal in einer Fabrik gearbeitet, schwarz. Er lernte den Wiener Dialekt und bei Verletzungen durch Betriebsunfälle nicht zum Arzt zu gehen. Kleine Wunden versorgten ihm die Kollegen, größere hatte er nicht.

Gemeinsam mit anderen benutzte er den Keller der Fabrik als Wohnung. „Ein Dreckloch, Gift für die Lungen“, erzählt er heute. Die Arbeiter schliefen auf notdürftig eingerichteten Pritschen. Wasser holten sie in Kübeln.

Heute hat Krystof regulär Arbeit und lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in einer Zwei-Zimmer-

Wohnung. Oft nächtigen auch Verwandte und Bekannte bei ihnen, dann sind Wohn- und Schlafzimmer voller Matratzen, zehn Menschen liegen in einem Raum, die Luft ist zum Schneiden. Manche Nachbarn schimpfen dann: „Tschusch, schleich Dich heim.“ Es gibt auch andere, die nett sind und auf deren Nachbarschaftshilfe man bauen kann.

Am Sonntag geht Krystof zur polnischen Kirche in Wien-Landstraße. Nach der Messe steht er noch lange mit Freunden zusammen. In einem unscheinbaren Obst- und Gemüseladen wird Arbeit vermittelt. Er hofft, wieder Arbeit am Bau zu finden.

Die Illusion von einer neuen, besseren Welt im Westen, von einer Welt des Luxus und der Offenheit ist längst zerbrochen. Und die Enttäuschung, daß es ihnen materiell hier gar nicht so viel besser geht als im Osten, wandelt sich in Resignation.

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