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Vindobonas Mauern

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Tagein tagaus bleiben vor dem .J. Rand einer immer mehr sich in Rieb tung Platzmitte erstreckenden Grube östlich vom Michaelertor der Wiener Hofburg vorübergehende Passanten stehen. Neugierig blikken sie auf verschieden hohe Ziegelmauern, die aus dunklem Erdreich ragen. E;in Archäologenteam unter der Leitung von Ortolf Harl hat sie freigelegt und wird sie nach eingehenden Vermessungen und kompletter Dokumentation wieder zuschütten. Im Herbst müssen die Untersuchungen abgeschlossen sein.

Mit ersten Suchschnitten begann Stadtarchäologe Harl bereits .im Sommer l989, um im April 19!'.)0 die

eigentliche Spatenforschung aufzunehmen. Möglich geworden war die wissenschaftliche Arbeit einerseits durch die Umgestaltung des Michaelerplatzes in eine Fußgängerzone, andererseits durch finanzielle Unterstützung von Banken und Firmen. Das Ziel gilt der Aufdeckung der rund zweitausend Jahre zählenden Geschichte von Wien, ablesbar von oben nach unten an Fundamenten aus dem 18., 17., 1 6. Jahrhundert, aus dem Mittelalt€ r und aus der Römerzeit.

Die oberste Schicht vor dem Neuen Michaelertrakt - samt Fußgängerdurchgang zum Inneren Burghof - stammt vom alten Hofburgtheater. Die junge Kaiserin Maria Theresia hat es 1742 im ehemaligen Ballspielhaus des Hofes als Spielstätte für Opern und Komödien errichten, später aufstocken und gegen den damals die Bezeichnung Platz nicht verdienenden Michaelerplatz zu verlängern lassen. 1888 wurde das 1 776 unter Kaiser Josef II. zum k. k. Nationaltheater erhobene 24 Meter lange, zehn Meter schmale und nicht mehr als zwölf Meter hohe Haus abgebrochen. Die technisch????n Ejn????ich-:­ tungen, die mehr als engen :\{upstlergarderoben, vor allem aber die dürftigen Besucherzugänge des mit drei Logenrängen und einer Galerie ausgestatteten Theaters entsprachen nicht den seit dem Ringtheaterbrand verschärften Sicherheitsvorschriften.

Wie unzulänglich und gefährlich die .Bühneneinrichtung war, bezeugt ein bei den Ausgrabungen zutage gekommener, in einem Stein verankerter Metallhaken vom Eisernen Vorhang. Wie klein bis zu Kaiser Franz Josephs Stadterweiterungsprojekt der Michaelerplatz tatsächlich war, geht aus den einplanierten Grundmauern ehemaliger Privathäuser am Eingang zur Schauflergasse hervor. Erst 1 888 waren nämlich auch diese, über einer mittelalterlichen Bausubstanz errichteten Gebäude abgerissen worden, um die seit Jahrhunderten existierende Straßenkreuzung zu vergrößern.

Über das Aussehen der Habsburger Residenz während der Renaissance verrieten die archäologischen Untersuchungen ebenfalls einige neue Details. Daß sich vor dem alten Kern der Hofburg, dem von Friedrich III. und seinem Sohn Maximilian I. umgebauten Schweizertrakt, entlang der Reitschulgasse bis zum heutigen Josefsplatz im 16. Jahrhundert ein großer Garten mit Parketten und einem Pavillon erstreckt hatte, war bekannt. Vor allem aus dem Fund einer 2,40 Meter starken Stützmauer und der Darstellung auf Daniel Suttingers Stich vom Michaelerplatz des Jahres 1683 zieht nun Stadtarchäologe Harl den Schluß, der Garten habe sich auf dem Niveau des Obergeschosses der Burg befunden und sei über das Obergeschoß betretbar gewesen.

Aus dem Mittelalter gibt es an der Hofburgseite keine Funde. Das bedeutet, daß um 1 200, als die babenbergische Stadtmauer errichtet wurde (und die alte Pfalz „Am Hof" noch stand), das Areal unverbaut geblieben ist. Für Harl ist dies ein Grund zur Annahme, nicht erst

König Ottokar II. Premysl hätte die Idee gehabt, dort eine neue Residenz aufzuschlagen.

Vor der Michaelerkirche stießen die Archäologen auf die Schotterung einer ost-westwärts verlaufenden Straße. Sie dürfte um die Mitte des 1 2 . Jahrhunderts angelegt worden sein und kreuzte sich am Michaelerplatz mit der von den Römern . erbauten Fernstraße, die vom rückwärtigen römischen Lagertor (am Eingang Tuchlauben) über Baden (das römische Aquae) und Sopron (Scarbantia) auf den Balkan führte. Da sich das Wien vor 1200 noch innerhalb der römischen Lagermauern befand, muß die Verteilerrolle des Michaelerplatzes bereits einem Stadtplanungskonzept entsprochen haben: nämlich dem, den sprunghaft angestiegenen Fernverkehr aus dem Stadtkern der jungen Metropole der eben zum Herzogtum gewordenen Babenberger-Mark zu verlagern.

Zu guter Letzt entdeckten die Wissenschaftler Teile von zwei Häusern unter der modernen Fahrbahn an der Stelle des ehemaligen Burgtheaters. Diese bestanden aus gut gemauerten Fußböden und soliden Mauem und waren insgesamt fünfmal umgestaltet worden. Unter dem Schutt verborgen lagen sogar noch eine Eingangstür mit Schwelle und mit Malereien geschmückte Bruchstücke von Zimmerwänden. Die Häuser gehörten zum Lagerdorf von Vindobona und scheinen, weil die für die Spätantike charakteristischen Keramiken fehlen, vor 400 n. Chr. verlassen worden zu sein - auf jeden Fall lange vor dem Auszug der letzten Romanen nach dem Süden.

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