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Vision fürs Jahr 2000: Unser ganzes Geld für die Gesundheit

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Die finanzielle Entwicklung der sozialen Krankenversicherung sowie die Fragen der Spitalsfinanzierung sind in den letzten Wochen geradezu zu einem Hauptpunkt der innenpolitischen Auseinandersetzung geworden. Bereits zu Jahresbeginn haben die Krankenkassen mit einem Hilferuf die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf drohende Kassendefizite für 1976 in einer Größenordnung von über 1 Milliarde Schilling gelenkt. Im Sommer hat der jetzige Sozialminister Weißenberg die „Stunde Null der Krankenversicherung“ ausgerufen und eine Sanierung der Krankenkassen ohne Lösung der Krankenhausfinanzierung als unmöglich bezeichnet - eine Erkenntnis, die bereits eines der wesentlichsten Ergebnisse der Krankenversicherungs-Enquete des Sozialministeriums von 1971 war.

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Die finanzielle Entwicklung der sozialen Krankenversicherung sowie die Fragen der Spitalsfinanzierung sind in den letzten Wochen geradezu zu einem Hauptpunkt der innenpolitischen Auseinandersetzung geworden. Bereits zu Jahresbeginn haben die Krankenkassen mit einem Hilferuf die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf drohende Kassendefizite für 1976 in einer Größenordnung von über 1 Milliarde Schilling gelenkt. Im Sommer hat der jetzige Sozialminister Weißenberg die „Stunde Null der Krankenversicherung“ ausgerufen und eine Sanierung der Krankenkassen ohne Lösung der Krankenhausfinanzierung als unmöglich bezeichnet - eine Erkenntnis, die bereits eines der wesentlichsten Ergebnisse der Krankenversicherungs-Enquete des Sozialministeriums von 1971 war.

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Tatsächlich sind seither über fünf Jahre vergangen und alle großen Probleme nicht nur der sozialen Krankenversicherung, sondern des gesamten Gesundheitssektors sind im wesentlichen nach wie vor ungelöst. In der Zwischenzeit sind die Ausgaben der Krankenversicherung von 13,2 Milliarden Schilling für 1971 auf 23,4 Milliarden Schilling für 1975 gestiegen. Fast zwei Drittel davon entfallen auf die drei großen Ausgabeposten ärztliche Hilfe, Spitalspflege und Heilmittel. In den letzten Jahren ist vor allem der Anteil der Spitalspflege an den Gesamtausgaben überproportional gestiegen.

In diesem Zusammenhang kann die Krankenversicherung nicht isoliert gesehen werden, sondern muß in das gesamte Gesundheitswesen und seine Entwicklung einbezogen werden. Hier zeichnet sich heute bereits sehr deutlich ab, daß die künftigen Grenzen der medizinischen Versorgung nicht im medizinisch-technischen, sondern im ökonomischen Bereich liegen, im Bereich der Finanzierbarkeit. Lineare Trendextrapolationen lassen erkennen, daß bei gleichbleibender Entwicklung etwa um das Jahr 2000 unser gesamtes Sozialprodukt für das Gesundheitswesen aufgebraucht werden müßte.

Die Kostenexplosion im Gesundheitswesen sowie die sich immer deutlicher abzeichnenden Grenzen der Finanzierbarkeit sind aber nur der eine Anlaß für notwendige strukturelle Reformen. Der andere Grund ist die Tatsache, daß trotz eines außerordentlich hohen Aufwandes die derzeitige medizinische Versorgung in weiten Bereichen mit den Bedürfnissen der Patienten nicht mehr im Einklang steht und die Relation zwischen Aufwand und Nutzen nicht mehr stimmt.

Ein Beispiel: Noch immer müssen Jahr für Jahr Menschen sterben, weil zuwenig künstliche Nieren verfügbar sind, während gleichzeitig von der Krankenversicherung Mülionenbe-träge für Verdauungspulver, Beruhigungspillen und Hustentropfen ausgegeben werden müssen.

Uberhaupt ist es in den letzten Jahren zu Fehlentwicklungen im Gesundheitswesen gekommen, die dringend korrigiert gehören. An erster Stelle-für eine Korrektur ist hier die Zentralisierung der.Medizin im Spital zu nennen. Da das Spital mit großem Abstand die kapital- und personalko-stenintensivste, mit einem Wort die teuerste Form der medizinischen Versorgung darstellt, darf bei einer ökonomischen Betrachtungsweise die stationäre Betreuung im Spital nur dann Platz greifen, wenn eine andere Form der medizinischen Versorgung nicht zu den gleichen Behandlungsergebnissen führen würde.

Denn in einem modernen integrierten System der medizinischen Versorgung, das auch in Zukunft finanzierbar sein soll, kann das Spital nur eine subsidiäre Stellung haben. Die zentrale Figur in einem solchen System stellt der niedergelassene Arzt, insbesondere der praktische Arzt, dar. Ihm kommt die medizinische, aber auch die ökonomische Schlüsselrolle zu; er bietet vor allem im Vergleich zum Spital die wesentlich kostengünstigere medizinische Versorgung. Daher muß die Sicherstellung einer ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit niedergelassenen Ärzten Vorrang haben. An konkreten Maßnahmen hiezu wären insbesondere erforderlich: Die Erstellung von Ärztebedarfsplänen in den Ländern, die gezielte Förderung der Niederlassung von Ärzten an den festgestellten Bedarfsstandorten, die Forcierung neuer bedarfsgerechter Organisationsformen der ärztlichen Praxis (Gemeinschafts- und Gruppenpraxen), eine Änderung der Honorargestaltung, damit sich der Arzt wieder Zeit für eine intensive Befassung mit den einzelnen Patienten nehmen kann und statt der Quantität mehr die Qualität der Behandlung berücksichtigt wird.

Die finanziellen Schwierigkeiten, die in den letzten Jahren - trotz aller vorgenommenen Beitragserhöhungen - immer wieder eingetreten sind, haben bewiesen, daß allein von der Beitragsseite her eine finanzielle Sanierung der Krankenkassen nicht möglich ist. Seit vielen Jahren wird darauf hingewiesen, daß der Hebel bei den Ausgaben angesetzt werden muß. Diese Erkenntnis beginnt sich allmählich in breiteren Kreisen durchzusetzen. Tatsächlich besteht nur dann Aussicht auf eine ausgeglichene Gebarung der Krankenversicherung für längere Zeit, wenn es gelingt, die Ausgabenentwicklung halbwegs unter Kontrolle zu bringen.

Hiezu ist in Ergänzung zu strukturellen Reformen im gesamten Gesundheitswesen auch eine Umstrukturierung des Leistungskatalogs der Krankenversicherung notwendig. Eine solche Umstrukturierung wäre derart zu vollziehen, daß gewisse im Einzelfall geringfügige Leistungsausgaben, die jedoch in ihrer Gesamtheit die finanzielle Entwicklung der Krankenversicherung erheblich belasten, vom einzelnen selbst getragen werden, oder um eine gewisse Eigenleistung verringert werden.

Eine solche Eigenleistung (insbesondere bei Medikamenten und ärztlicher Hilfe) muß selbstverständlich sozial und medizinisch vertretbar und so konzipiert sein, daß Härtefälle vermieden werden. Sie ist sicherlich kein Allheilmittel, wohl aber hat die Übernahme kleiner Risken durch den einzelnen selbst eine wichtige und notwendige Funktion im Rahmen einer hochentwickelten sozialen Krankenversicherung:

•Das Kostenbewußtsein, die Eigenverantwortlichkeit, der Wille zur Selbsthüfe und das Gesundheitsbewußtsein werden gestärkt

•Es wird eine Barriere gegen überflüssige Leistungen und den Mißbrauch von Leistungen geschaffen.

•Durch den Abbau überflüssiger kleinster Leistungen werden Mittel frei für die immer kostspieliger werdenden modernen Untersuchungsund Behandlungsmethoden.

•Dadurch wird eine Uberforderung der Riskengemeinschaft vermieden und der Schutz der Krankenversicherung bleibt für den Beitragszahler erschwinglich.

•Die überfüllten Wartezimmer der Ärzte würden sich leeren und die Ärzte könnten sich verstärkt den tatsächlich beratungs- und behandlungsbedürftigen Patienten widmen sowie auf dem Gebiet der Gesundheitsvorsorge tätig werden.

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