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Visionen aus Drohobycz

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Nachdem in den letzten zwanzig Jahren in der Bundesrepublik ein Teil des literarischen Werkes des polnischen Autors Bruno Schulz erschienen ist, hat es der Suhrkamp-Verlag nun in dankenswerter Weise unternommen, die wesentlichsten Erzählungen nebst zwei Essays des Dichters in vorzüglicher deutscher Ubersetzung wieder herauszugeben. Von einer Wieder-

entdeckung kann schon deswegen gesprochen werden, da manches bereits vergriffen war und Bruno Schulz zumindest hierzulande noch keineswegs, so gewürdigt scheint, wie es ihm wohl anstünde.

Der in der galizischen Kleinstadt Drohobycz am Rande der Karpaten geborene Autor (1892-1942) stand zeitlebens im Spannungsfeld dreier Kulturkreise, nämlich des polnischen, des jüdischen und nicht zuletzt des deutschen. Dies mag vielleicht auch zur bemerkenswerten Originalität seines Schaffens beigetragen haben. Als Sohn eines kleinen jüdischen Seidenhändlers bewegte er sich stets in der ziemlich abgeschlossenen Welt seiner Familie und seiner Stadt, die er kaum verlassen hat. Der übermächtige

Vater ließ ihn Sigmund Freud und C. G. Jung ebenso lesen wie Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche. Seine literarischen Zeitgenossen, denen er mit Sicherheit wichtige Anregungen verdankt hat, waren Witold Gom-browicz, Thomas Mann, Gustav Meyrink, Franz Kafka und Alfred Kubin. Besonders die beiden letzteren dürften ihn mit den Romanen „Das Schloß“ beziehungsweise „Die andere Seite“ nachhaltig beeinflußt haben.

Schulz konnte sein relativ schmales Werk - es sind im ganzen etwas über dreißig Erzählungen, zudem Aufsätze, Briefe und Graphiken - im Polen der frühen dreißiger Jahre veröffentlichen. In der Nachkriegsära des Stalinismus wurden seine Dichtungen naturgemäß unterdrückt. Erst in den letzten Jahren erschien Bruno Schulz wieder als Fixstern am literarischen Himmel Mitteleuropas — wohl zu Recht, wenn man die siebzehn Erzählungen des nun vorliegenden Bandes liest.

Dieser offenbar ziemlich schüchterne und gehemmte Demiurg eines sonderbaren, dichterisch nachgezeichneten Zwischenreiches unserer Existenz, der mehr schlecht als recht als Kunsterzieher in seiner Heimatstadt lebte, entpuppt sich als genialischer Visionär seiner Zeit und unserer Gegenwart. Die apokalyptischen Erscheinungen dieses Jahrhunderts, die, innerste Verlorenheit der Menschen, die Vernutzung der Welt und die Bedrohung des Menschentums durch absolut auftretende Ideologien finden bei ihm ihre Deutung, aber auch ihre Uberwindung: nämlich dergestalt, daß der Autor diesen unheilvollen Dezennien mit der Kraft seiner Träume und Visionen, mit der Uberwindung der Zeit also, begegnet.

Surreal-phantastische Neuschöpfungen des Bildes der Kindheit, verfremdete k. u. k. Stadtwelten und Familienreminiszenzen ergeben die Motive für das polyphone Gespinst eines Themas: des Mythos unseres Daseins, ja des Seins selbst. „Poesie - das sind Kurzschlüsse des Sinns zwischen den Worten, jähe Regenerationen der ursprünglichen Mythen.“ Und: „Die Wirklichkeit ist Schatten des Wortes. Die Philoso-,phie ist eigentlich Philologie: tiefe schöpferische Wortforschung.“ Soweit der Denker Bruno Schulz im aufschlußreichen Essay „Das Mythisieren der Wirklichkeit“.

Seine eher kurzen Erzählungen, eigentlich mehr gelassene Beschreibungen einer Traumwelt, bewältigt der Dichter mittels einer äußerst bildreichen, ja barok-ken Sprache, die auf den Leser sowohl bedrohend als auch befreiend wirkt. Es gibt, was diese Sprachlichkeit betrifft, wohl kaum Vergleiche mit anderen Autoren, von der Thematik her gesehen am ehesten natürlich mit Kafka und Kubin. Manchmal erinnert sein Schreiben aber an das Spätwerk des Norddeutschen Hans Henny Jahnn, vor allem an den grandiosen Roman „Nacht aus Blei“ (1956). Dieser weist deutliche Parallelen mit der im vorliegenden Band enthaltenen, vielleicht gelungensten Geschichte „Das Sanatorium zur Todesanzeige“ auf. Schulz hat seine Werke übrigens mit kongenialen, sehr suggestiven Zeichnungen illustriert.

Die bewußte Ambivalenz zwischen reiner Deskription und expressiven, assoziativen Bildmustern, die weit in die Tiefenschichten der menschlichen Psyche reichen, macht die Faszination dieses Leseerlebnisses aus, dem man ‘sich schwerlich entziehen kann.

Bruno Schulz starb den zweiten, schon erwähnten Tod — nämlich den des Vergessens - in der stalinistischen Nachkriegszeit. Seinen physischen Tod erlitt er im November 1942 als einer der ungezählten Verfolgten unseres Jahrhunderts. Durch die deutsche Okkupation Polens war Schulz als Jude in ständiger Lebensgefahr. Und für inständige Träume, befreiende Visionen und Zweifel an der Wirklichkeit hatte das seinem Wesen nach menschenverderbende NS-Regime ohnehin nichts übrig. Der Dichter wurde im Droho-byczer Ghetto auf offener Straße von einem Gestapo-Mann erschossen. Die näheren Umstände des Mordes sind unbekannt, das Grab unauffindbar. Uns bleibt die Trauer darüber und die Hoffnung, daß diese bedeutende europäische Dichtung angenommen und weiterhin gepflegt wird.

DIE MANNEQUINS UND ANDERE ERZAHLUNGEN. Von Bruno Schulz. Polnische Bibliothek im Verlag Suhrkamp, Frankfurt 1988. 331 Seiten, Ln., öS 249,60.

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