6823642-1973_51_15.jpg
Digital In Arbeit

Vita

Werbung
Werbung
Werbung

Mein Voter heißt mit Vornamen Martin, meine Mutter hieß Anna, meine Geschwister heißen Felix, Josef, Theresia, Anna und Rosa. Allerheiligen! Mich selbst haben meine Eltern nach dem Schutzpatron der Jugend und der Reinheit auf den Namen Alois getauft. Je älter ich werde, um so unpassender kommt mir mein eigener Name vor. Um so nachlässiger wird aber offenbar auch der Heilige, was den Schutz meiner Reinheit anbelangt. Bei H. Eisenreich habe ich einmal eine schöne Geschichte gelesen, in der von einem spanischen Jungen die Rede war, den seine Eltern in bester Absicht und Meinung Jesus taufen ließen. Der Bub entpuppte sich aber als richtiger Teufel. Der Mensch denkt und Gott lenkt.

Als ich vor drei Jahren meine steile wissenschaftliche Karriere ein wenig bremste, um mit der „Überwindung der Blitzangst“ als Dichter hervorzutreten, da war mir von vornherein klar, daß ich es mit meinem biederen oberösterreichischen Namen im großdeutschen Literaturbetrieb nicht leicht haben würde. Die meisten schreibenden Konkurrenten haben sehr schnatze Namen. Nicht selten starben nach bekannten Vorbildern und Mustern ihre Tauf- mit ihren Familiennamen. Andere Autoren haben gleich mehrere und phantastisch oder mondän und international klingende Vornamen, nicht selten orthographisch exotisiert oder vielsagend abgekürzt.

In einigen Fällen habe ich den Eindruck, daß sie sich wie die bayrischen Schlagersänger Roy Black und Rex Gildo ihre Namen entweder selbst gemacht oder von einer Agentur haben machen lassen. Ein Schriftsteller mit einem Allerwelts-namen toie dem meinigen ist vielleicht wirklich einem Schneider in einem unmodernen abgetragenen Anzug zu vergleichen, und nicht eben eine Reklame für seine Kunst. Als mir meine Eltern Alois bestimmten, mochten sie denken, das sei ein guter und unauffälliger Rufname für einen Müller, der ich ja wohl nach dem väterlichen Beispiel einmal hätte werden sollen. Daß ihnen ein Poet in die Wiege gelegt war, lag gänzlich außerhalb ihrer Befürchtungen. Ich habe trotzdem kein Pseudonym angenommen, nicht einmal das i in Alois gegen ein „fremdes i“, wie meine Mutter das Ypsilon nannte, vertauscht. Nein, denn ich will, wenn es sein muß, mein ganzes Leben gegen das Schicksal meines Namens anschreiben. Nomen non est omen, id est demonstrandum, das will ich beweisen, Heiliger Aloisius von Gonzaga steh mir bei!

Am 5. Dezember 1938 kam ich in Pichl, Oberösterreich, zur Welt. Als Kind war ich ungewöhnlich schmächtig und zierlich. Damals konnte man noch annehmen, daß ich vielleicht meinem Namen einmal durch einen frühen Tod Ehre machen würde. Inzwischen habe ich meinen Patron bereits ums Doppelte an Lebensjahren übertroffen, und ein Ende ist noch nicht abzusehen. Wie so vieles hat sich mittlerweile auch die Feingliedrigkeit gegeben. Nur eine gewisse Wehleidigkeit und Empfindlichkeit, die ich aber als Schriftsteller jetzt Sensibilität nennen darf, hat sich gehalten. Damit ist zugleich auch die Frage des Verlags nach dem ihm offenbar unverständlichen Grund meiner plötzlichen Schriftsteller ei, den diese Biographie klären soll, soweit beantwortet. JEs handelt sich dabei um ein Problem der Medizin, und gehört somit nicht hierher. Was das Somatische betrifft, so bringe ich heute immerhin über 75 Kilogramm an die Schreibmaschine, was natürlich erst in der Relation zu meiner Körpergröße von 1,68 m seinen wahren Stellenwert kundgribt. Ich kompensiere Höhenwachstum durch Breite und Fülle und diese und andere physische und psychische Unzulänglichkeiten wiederum durch Literatur.

Ich springe und greife ein wichtiges Ereignis aus meinem Leben heraus: Als Dreizehnjähriger wurde ich unter derart denkwürdigen und spektakulären Umständen in einem geistlichen Internat relegiert, daß ich für die Rausschmisse, mit denen sich Kollegen manchmal gern ein wenig wichtig machen und plustern,^ beim besten Willen oft nur ein mildes Lächeln aufbringen kann. Über das Thema Freiheit und Renitenz würde ich gern einmal mit den Herren Friedrich von Schiller und

Georg Büchner sprechen. Nach der Matura studierte ich in Wien Germanistik und Geschichte und schrieb eine Dissertation über meine Heimatmundart. Aus einer gewissen Genügsamkeit heraus, wie sie Landkindern eigentümlich ist, studierte ich nur sehr kurz, aber fleißig die obligatorischen acht Semester. Das muß für dich reichen, sagte ich zu mir. Die im Elternhaus eingeübten Tugenden haben sich bei mir alle sehr eigenartig ausgewirkt. So glaube ich heute, daß ich die meisten meiner Kommilitonen nur aus lauter Zuvorkommenheit überflügelte. Brav, sagte mein Vater, als ich plötzlich fertig war. Ist dir deine Verfehlung im Knabenseminar zuletzt doch noch eine gute Lehre gewesen.

In Wien gab es für mich die besten Zensuren und auch sonst nicht wenig Lob, nur keine Verwendung und keine Stelle. Das wollte mir anfangs nicht in den Kopf. Sehr spät und nur allmählich lernte ich begreifen, daß sich der Staat vor allem der Schwächeren annehmen muß. Ich hatte mich durch ein gutes Examen gewissermaßen ja selbst entschädigt und schadlos gehalten. Die Alma Mater Rudolphina konnte schließlich nur einige wenige auf Dauer an ihre Brust nehmen. Ohne Murren ging ich darum 1962 nach Deutschland, und zwar ins Saarland, ins „kleinste, ärmste und frömmste Bundesland der Bundesrepublik“, wie es „in einem bekannten Hamburger Nachrichtenmagazin“ immer wieder genannt wird. Klein ja, arm vielleicht, wenn man es mit Nordrhein-Westfalen vergleicht, aber fromm? G. G., Günter Grass, Berlin, schreibt, daß er an der Saar zu seinem Erstaunen erfahren hat, daß man hierzulande eine bestimmte delikate Krankheit „den französischen Edelschnupfen“ nennt.

Im Saarland, wo ich seit elf Jahren lebe und Biet trinke, ist der Name Alois, mindestens unter den Männern der älteren Generation, recht häufig.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung