7170086-1982_42_06.jpg
Digital In Arbeit

Volk vom Kreuz"

19451960198020002020

Vom 22. Oktober bis 2. November unternimmt Erzbischof Kardinal König an der Spitze des Kuratoriums der Stiftung „Pro Oriente" eine Reise nach Ägypten und Israel. Bei dieser ökumenischen Pilgerreise wird er in Kairo auch mit Vertretern der koptischen Kirche zusammentreffen: für uns ein Anlaß, die Lage dieser religiösen Minderheit zu untersuchen.

19451960198020002020

Vom 22. Oktober bis 2. November unternimmt Erzbischof Kardinal König an der Spitze des Kuratoriums der Stiftung „Pro Oriente" eine Reise nach Ägypten und Israel. Bei dieser ökumenischen Pilgerreise wird er in Kairo auch mit Vertretern der koptischen Kirche zusammentreffen: für uns ein Anlaß, die Lage dieser religiösen Minderheit zu untersuchen.

Werbung
Werbung
Werbung

Die in den letzten Jahren ständig zunehmende Re-Islamisie-rung in vielen Staaten des Nahen Ostens, die zugleich auch eine Abwendung vom Abendland darstellt, hat neben dem Iran vor allem in Ägypten ihre Auswirkungen gezeigt. Gerade die Kopten wurden in Mitleidenschaft gezogen, und die schon bald nach dem Machtantritt Präsident Sadats im Herbst 1972 sporadisch begonnenen Ubergriffe auf religiöse Einrichtungen, vor allem Kirchen, systematisch fortgesetzt.

So sind 1980 gerade zur österlichen Zeit Anfang April in Alexandria, Minia und Assiut weitere Gotteshäuser sowie Privatwohnungen (dabei zwei Tote und wenigstens 35 Verletzte) von islamischen Fundamentalisten zerstört worden, ohne daß die Polizei einschritt oder wenigstens nachträglich gegen die Täter vorgegangen worden wäre. Daraufhin zogen sich Papst-Patriarch Sche-nuda III. und die restlichen koptischen Bischöfe zu einem hungerstreikartigen Fasten in verschiedene Klöster zurück.

Ihr Protest galt nicht nur diesen letzten Ausschreitungen der Muslim-Brüder und der Geheimorganisation „Dschihad — Heiliger Krieg": Da gab es auch sonst belastende Fragen, wie etwa die Nachwirkungen des Versuchs von oben, das islamische Eherecht auch für die Kopten verbindlich zu machen; oder die schon seit längerem beschlagnahmten koptischen Stiftungen. Vor allem aber allerhand Zurücksetzungen:

Den Kopten wurde die Erlaubnis zum Bau neuer Kirchen verweigert, mehrere Geistliche waren angegriffen oder gar getötet worden. Junge Koptinnen wurden verschleppt, vergewaltigt und gewaltsam zum Islam bekehrt, ohne daß staatliche Organe etwas zu ihrem Schutz unternommen hätten.

Die Liebfrauen-Kirche in Kairo war mit ihren Kunstschätzen schon im März 1980 eingeäschert worden. Und der islamische Journalist Muhammad Schaker hatte in zwei Auflagen ein 632 Seiten starkes Pamphlet vorgelegt, in dem er gegen die führende Rolle der Kopten im modernen ägyptischen Journalismus polemisierte.

Der Regierung war dieser deutliche Protest ein Dorn im Auge. Sadat empfing zehn innerkirchliche Gegner des Papst-Patriarchen, darunter den im Lande weithin bekannten Mönch Mat-ta al-Miskin — Matthäus den Armen. Daraufhin beschäftigte sich der Staatschef in einer vierstündigen Rede am 14. Mai, in der er Ägypten zum islamischen Staat ausrief und das koranische Recht für allgemein verbindlich erklärte, zweieinhalb Stunden mit den Kopten.

Der damalige Staatschef mahnte den abwesenden Patriarchen zur Vorsicht, forderte die Kopten geradezu auf, sich einen neuen Papst und regierungsgenehmere Bischöfe zu wählen und behauptete ferner, im Besitz eines Planes zu sein, nach dem die Umwandlung Ägyptens in einen Bundesstaat mit Assiut als Hauptstadt einer autonomen koptischen Region ins Auge gefaßt worden sei

Unmittelbar darauf, am 22. Mai, fand eine Abstimmung der nicht ganz zwei Fünftel stimmberechtigten Ägypter statt, durch die mit den landesüblichen 98,96 Prozent von Ja-Stimmen das islamische religiöse Gesetz als Grundlage des Staates angenommen wurde. Aufgrund der darauf hinlaufenden Entwicklung hatte es schon 1977 eine schwerwiegende Auseinandersetzung zwischen Kirche und Staat gegeben.

Nachdem Schenuda III. am 14. September 1980 aus dem Kloster von Amba Bischoi nach Kairo zurückgekehrt war, schien sich die Lage etwas aufzuhellen. Aber die Unruhe ging vor dem Hintergrund der wachsenden Re-Isla-misierung und durch das Betreiben der Muslim-Brüder weiter; die Amerika-Kopten stellten einschlägiges Beweismaterial zusammen.

Am 17. Juni 1981 kam es dann im Kairoer Elendsviertel Zauwija al-Hamra zu den schwersten Zusammenstößen zwischen Angehörigen beider Religionen, des Kopten- und Arabertums, seit 1972. Sie haben nach amtlichen Angaben zehn Tote und 54 Verletzte gefordert. Und alle ägyptischen Christen fühlten sich veranlaßt, während des folgenden Wochenendes in ihren Wohnungen zu bleiben.

Der Innenminister kündigte darauf gegen die Kopten allein künftig scharfe, selbst militärische Maßnahmen an. 113 Personen wurden festgenommen und 37 Feuerwaffen sichergestellt. Parallel dazu wurde bestätigt, daß jeder Rücktritt vom Islam zum Koptentum ab sofort nach dem Recht des Korans wieder mit dem Tod bestraft würde.

Das Koptenmassaker von Zauwija al-Hamra hatte dann allerdings noch ein parlamentarisches Nachspiel. Dabei versuchte der stellvertretende Ministerpräsident, die Vorfälle anfänglich als „lokal" zu bagatellisieren, welche die innere Sicherheit nicht beeinflussen könnten. Der Polizeichef hingegen äußerte, daß „gegen die koptischen Gesetzesbrecher ab sofort mit Gewalt vorgegangen werde."

Darauf bedauerte die Wochenzeitung der Kopten in einem Leitartikel, daß keine Polizei an den . Tatort zu ihrem Schutze entsandt wurde und daß bei all den Ubergriffen und Anschlägen der letzten Jahre nicht einmal Untersuchungen eingeleitet worden waren. Eine Versöhnungskundgebung von Kopten und toleranten Muslimen wurde am 2. August im Stadtteil Schubra Ziel eines Bombenattentats, von dem 59 Menschen, darunter 14 Muslime betroffen wurden; drei Personen starben.

Dieser Anschlag auf die „nationale Sicherheit" und ein Protestmarsch von Tausenden islamischen Extremisten zur koptischen Markus-Kathedrale am 4. September 1981, der diesmal von der Polizei aufgehalten wurde, zeigte die Radikalisierung der Situation.

So sah sich Sadat nach der vorhergehenden Festnahme von 553 oppositionellen Politikern und Publizisten am 5. September recht widerwillig genötigt, auch eine große Anzahl islamischer Fundamentalisten und Moscheeprediger verhaften zu lassen. In erster Linie ging er in seinem letzten Amts- und Lebensmonat jedoch gegen die Kopten vor:

Papst-Patriarch Schenuda III. wurde die Kirchenleitung entzogen und er selbst unter militärischer Bewachung im Wadi Na-trun in der Libyschen Wüste zwangsinterniert. Acht Bischöfe, sechzehn Priester und an die 1500 koptische Laien wanderten überhaupt ins Gefängnis. Das Wochenblatt der Kopten „Watani", zu Deutsch „Mein Vaterland", und die Kirchenzeitung „Al-Ka-raza" wurden verboten, und die Einfuhr christlicher Literatur aus dem Ausland unterliegt seitdem einer strengen Zensur.

Die koptische Gemeinschaft steht indessen unter der Leitung von fünf kompromißbereiten Bischöfen. Als ihr Sprecher trat anfänglich Bischof Samuel auf, der als Leiter der kirchlichen Verbindungen zur Diaspora und Ökumene sehr bekannt geworden und 1971 der zunächst aussichtsreichste Kandidat für den Patriarchenstuhl gewesen war.

Die koptische Gemeinschaft hielt natürlich an dem gebannten Papst-Patriarchen fest; betrachtete sich auch weiter als „gens al-Firaun", als Volk der Pharaonen und das „wahre Ägypten".

Nachdem Sadat seine Maßnahmen am 10. September wieder durch eine Volksabstimmung mit einer Zustimmung von diesmal sogar 99,45 Prozent hatte bestätigen lassen, sah sich die koptische Laienvertretung, der Magless al-Milli, am 22. September zur folgenden Erklärung genötigt: Die Kopten sind voll und ganz ein Teü der ägyptischen Nation und verteidigen deren Unabhängigkeit; die koptische Kirche ist auf Grund der Heiligen Schrift zum Gehorsam gegenüber dem Staat verpflichtet; der Magless al-Milli versteht die Notwendigkeit der von Präsident Sadat getroffenen Maßnahmen und tut alles für die sogenannte „nationale Einheit".

Hingegen wurde daran festgehalten, daß die kirchliche Autorität von Papst Schenuda durch die staatliche Absetzung unberührt bleibt. Die fünf Bischöfe sollen lediglich die Kirche verwalten, sich aber aller päpstlichen Funktionen enthalten. Und alle Kopten im In-und Ausland wurden zu treuem Festhalten an ihrem Glauben aufgerufen.

Einen Monat nach der Absetzung und Verbannung des koptischen Papstes fiel Präsident Sadat während einer Militärparade in Kairo am 6. Oktober 1981 einem Mordanschlag zum Opfer. Dabei fand auch Bischof Samuel den Tod, der führende Mann in der vom Staat bestellten fünfköpfigen Kirchenleitung. Seine Rolle ist inzwischen durch den Metropoliten von Beni Suef in Mittelägypten, Athanasios, übernommen worden: Eine konziliante, tolerante und sozial fortschrittliche, aber im Vergleich zu Papst Schenuda viel zu schwache Persönlichkeit.

So hat auch Sadats Nachfolger in der Führung Ägyptens die koptenfeindlichen Maßnahmen seines Vorgängers nicht widerrufen, sondern nur abgeschwächt. Ein kleiner Teü der koptischen Bischöfe, Priester und Laien wurde zwischen Januar und Mai 1982 aus der Haft entlassen, die übrigen in ein Konzentrationslager in der Wüste verschleppt. Auch Papst Schenuda III. wartet bisher vergeblich auf seine Freilassung und Rehabilitierung.

Hingegen sind die von Sadat eingekerkerten Linksextremisten und Muslimbrüder einschließlich ihres Führers Omar al-Tilmissani sowie des „Chomeinis von Ägypten", des blinden Scheich Kischk, alle längst schon wieder auf freiem Fuß.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung