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„Volksaufsichtsrat" für die Privilegien

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„Die Hälfte der Leute, die die Zeitung gekauft haben, hat den Artikel nicht gesehen. Die Hälfte derer, die ihn gesehen haben, hat ihn nicht gelesen. Die Hälfte derer, die ihn gelesen haben, hat ihn nicht verstanden. Die Hälfte derer, die ihn verstanden haben, hat ihn nicht geglaubt. Die Hälfte derer, die ihn geglaubt haben, sind Leute ohne Bedeutung. Also..."

Im Wahlkampf 1979 sind die Parteiobmänner der beiden Großparteien, Bruno Kreisky und Josef Taus, übereingekommen, innerhalb von sechs Monaten nach dem Wahltermin brauchbare Lösungsvorschläge zum Thema „Politikerprivilegien" zu präsentieren. Alle österreichischen Zeitungen haben damals ausführlich über diesen „Rütlischwur" der beiden Spitzenkandidaten berichtet. Ich habe den Eindruck, daß es im Sinne der eingangs aufgestellten These in allen Parteien Politiker gibt, die die Interesselosigkeit, die Vergeßlichkeit und die vorgebliche Dummheit der Wähler als fixe Rechengröße ein-, setzen.

Und dieser Punkt scheint mir der verwerflichste Aspekt an all den Diskussionen über Politikerprivilegien und Abgeordnetenbezügen zu sein: Die Parteien haben ein schlechtes Gewissen, liefern einander Scheingefechte, trompeten großartige Versprechungen hinaus - und gehen dann hartnäckig und entschlossen zur Tagesordnung über. Beispiele für ein derartiges Verhalten gibt es genügend:

Die Besteuerung der Hälfte der Politikerbezüge Anfang der siebziger Jahre war eine rein kosmetische Angelegenheit, weil gleichzeitig die Bruttobezüge derart angehoben wurden, daß unter dem Strich das gleiche herauskam.

Im Sommer 1978 kam Vizekanzler Hannes Androsch arg unter Beschuß, weil seine Steuerberatungskanzlei „Consultatio" auf bemerkenswerte Weise angewachsen war und so manch schönen Auftrag von staatlicher Seite erhalten hatte. Die danach als „Ei des Kolumbus" angepriesene treuhandschaftliche Verwaltung der „Consultatio" durch „unabhängige" Fachleute war nichts anderes als eine professionelle Augenauswischerei.

Und schließlich der Kreisky-Taus-Pakt vom vergangenen Jahr: All jene, die glauben, daß es Politikerprivilegien gibt, wurden eingeladen, mit den Parteien „ein Stück des Weges" zu gehen, mit der feAen Absicht, sich nach den Wahlen von diesen Weggenossen wieder zu verabschieden.

Am meisten bedrückt mich, daß man die Wähler unentwegt für dumm verkauft. In zahllosen Reden wird immer wieder der mündige, aktiv mitentscheidende Bürger beschworen, aber ein derartiger „Privilegien-Zirkus" ist letztlich nichts anderes als eine empfängnisverhütende Maßnahme gegenüber dem „mündigen Bürger". Die künstliche Beatmung in Sonntagsreden könnte da auch unterbleiben.

Nun zur Sache selbst:

Ich möchte gar nicht sagen, daß die Minister, Abgeordneten und sonstigen Politiker „zuviel" bekommen. Die meisten von ihnen leisten einen hohen Einsatz, verzichten auf einen Großteil von Familien- und Privatleben und werden noch dazu - gerade jetzt in der Ballzeit - von dutzenden und hunderten Veranstaltern „angeschnorrt" (Ballspenden, Pokale usw.). Ein Politiker soll leistungsgerecht für seinen Einsatz entschädigt werden, nur sollte der „normale Steuerzahler" den Eindruck gewinnen können, daß sich der Politiker freiwillig den Spielregeln unterwirft, die auch für alle anderen gelten.

Außerdem ist hier anzumerken, daß gerade der Abgeordnete im immateriellen Bereich weit mehr Unterstützung erhalten sollte, als es derzeit der Fall ist. Gemeint ist damit die Unterstützung des Abgeordneten durch einen hochqualifizierten und gut ausgebauten Beraterstab. Ein Parlamentarier ist heute einem Minister mitsamt seiner Ministerialbüro-kratie gegenüber in der Regel aussichtslos unterlegen.

Auf keinen Fall lupenrein sind auch jene Elemente in den Regelungen der Politikerbezüge, wo unter verschiedenen Bezeichnungen zwei „Privilegien" gewährt werden, die aber demselben Zweck dienen: Abgeordnete zum Nationalrat bekommen zum Beispiel 10,15 bzw. 20 Prozent ihres Bezuges zusätzlich als Entfernungszulage, dürfen aber gleichzeitig die Bundesbahnen, alle Privatbahnen, Postlinien sowie Schifffahrtslinien gratis benutzen. Ebenso ist nicht ganz klar, warum beim Abgeordneten außer Dienst gleich zwei sozialrechtliche Wohltaten kumulativ zur Anwendung kommen: eine schöne Abfertigung, wie sie in der Privatwirtschaft üblich ist, und eine prächtige Pension, wie sie die Beamten zu schätzen wissen.

Wenig erfreulich ist auch die Tatsache, daß die Politiker, die zum Teil mit jenen Gewerkschaftern identisch sind, die uns seit 1970 immer wieder zum „Maßhalten" bei Lohnforderungen anhalten, meist recht großzügig sind, wenn sie sich selbst etwas genehmigen müssen. Die zum Jahreswechsel in Kraft getretene Lohnerhöhung von 4,2 Prozent für alle Bun-de.sbediensteten bringt dem Bundeskanzler und den Ministern 63.000

Sehilling brutto zusätzlich. Die Staatssekretäre (und -innen) können auch mit zusätzlichen 57.000 Schilling rechnen. Bei Abgeordneten sind es immer noch zwischen 21.000 und 31.000 Schilling zusätzlich.

Unbestritten ist, daß es noch eine Menge weiterer interessanter Fragen geben würde. Etwa die Frage der Beamtenbezüge, die in voller Höhe weitergezahlt werden, ohne daß der aus der Beamtenschaft kommende Mandatar in seinem angestammten Beruf eine Leistung erbringt, ja erbringen darf.

Den gordischen Knoten zu lösen ist sicher nicht leicht. Was aber wirklich abgeht, ist irgendeine unverdächtige Kontrollinstanz für Fragen der Politikereinkommen. Daß es das in anderen Ländern nicht gibt, sollte am Nachdenken nicht hindern. Vielleicht sollte es eine Art Aufsichtsrat der Wähler geben, die ähnlich den Geschworenen bei Prozessen oder der Hörer- und Sehervertretung beim ORF die Interessen des Volkes wahrzunehmen hätte. Ich glaube, daß eine solche „Wähler-Kontrollinstanz" durchaus mit Augenmaß und nicht unvernünftig vorgehen würde, was aber nicht ausschließt, daß dem einen oder anderen Politiker trotzdem das Hören und Sehen vergehen könnte...

Der Autor, bis Herbst 1979 FÜR-CHE-Redakteur, ist heute Verlagsangestellter in Graz und Landesobmann der Jungen ÖVP Steiermark.

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