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Volksfest mit Tiefgang

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Am vergangenen Freitag, dem 26. Juni, wurde in Graz mit dem „Tag der Steiermark” ein Zeichen gesetzt; ein Punkt, verstanden nicht als End-, sondern als Höhepunkt eines „DIALOG”-Prozesses, der vor drei Jahren seitens der Diözese Graz-Seckau initiiert und von der evangelischen Kirche entscheidend mitgetragen wurde.

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Am vergangenen Freitag, dem 26. Juni, wurde in Graz mit dem „Tag der Steiermark” ein Zeichen gesetzt; ein Punkt, verstanden nicht als End-, sondern als Höhepunkt eines „DIALOG”-Prozesses, der vor drei Jahren seitens der Diözese Graz-Seckau initiiert und von der evangelischen Kirche entscheidend mitgetragen wurde.

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Der Himmel grollte, hing dräuend schwarz über der Stadt, während die Ehrengäste in ihren Grußworten zur Schlußfeier von Frieden und Toleranz, Solidarität und Hoffnung sprachen und ein „Manifest des Lebens” verlesen wurde. Andererseits, um bei der Symbolik zu bleiben: wider allen Anschein hielt das Wetter durch, die etwa eineinhalbstündige eindrucksvolle Liturgie konnte ungestört über die Bühne gehen. Etwa 20.000 Menschen hatten sich nach einem dichten Tag auf dem Grazer Hauptplatz unter dem „Lebenswasser-Kreuz” Josef Finks zusammengefunden.

Ein Volksfest mit Tiefgang war dieser „Tag der Steiermark” wohl: zwischen Wursteln und Bier, Most und Verhackert, Kaffee und Kuchen wurde Spiritualität im weitesten Sinne spürbar - eine Geistigkeit, die sich in Offenheit und Neugier für die an diesem Tag gestellten Fragen erwies. Mit „biblischen Impulsen” konnte man um neun Uhr in das DIALOG-Fest einsteigen. So sprach der Grazer Bischof Johann Weber in der evangelischen Heilandskirche, der Superintendent der evangelischen Kirche A.B., Ernst-Christian Gerhold, predigte im Dom.

Der Rest des Vormittags war für sogenannte „Dialogpunkte” vorgesehen: In diversen Sälen prominenter Gebäude und auf den Plätzen der Innenstadt gab es die Möglichkeit zu themenspezifischen Gesprächen, zu denen verschiedene kirchliche (evangelische wie katholische) Institutionen und Gruppierungen aller Schattierungen, ökumenische Kreise, aber auch politische Parteien und deren Unterorganisationen jeweils die Einladungen ausgesprochen hatten.

Bei den vorprogrammierten „highlights” konnte man, am Rande eines überfüllten Saales eingezwängt stehend, mit Mühe gerade ein paar Stich-und Schlagworte erlauschen: etwa als der Wiener Pastoraltheologe Paul Michael Zulehner seine Visionen eines mündigen Gottesvolkes entfaltete oder Bischof Erwin Kräutler und Caritaspräsident Helmut Schüller für ein Überdenken unseres westlichen Lebensstils zugunsten einer gerechteren Aufteilung von Lebenschancen plädierten. '

Lust am Christ-Sein

Wer Zulehner kennt und um seine auch rhetorische Brillanz weiß, kann annehmen, daß viele ermutigt weggegangen sind. Man hört ihm zu und denkt sich: so müßte es gehen. Es geht natürlich nicht so einfach wie Zulehner das bisweilen suggeriert, aber er vermittelt Lust am Subjekt-Sein und am Christ-Sein. Kräutler hob dankend hervor, daß seine Arbeit in Brasilien ohne den Rückhalt in seiner Heimat nicht möglich wäre und bat um weitere Unterstützung. Partnerdiözesen aus dem Norden müßten konkrete Solidarität mit ihren Brüdern und Schwestern im Süden praktizieren.

Die Authentizität und Glaubwürdigkeit solcher und anderer Persönlichkeiten in einem im besten Sinne bodenständigen Rahmen „hautnah” erleben zu können, verlieh diesem Tag wohl ein Gutteil seines Charismas.

Unzählige andere Stationen waren zwar nicht ganz so stark frequentiert, boten dafür aber mehr Möglichkeit zu dem, was der ganze Tag sein wollte: ein Gespräch. So diskutierten beispielsweise Studenten der Katholischen Hochschuljugend eifrig mit Passanten über „Gott und die Welt”, hatten sich (fast ausschließlich) Frauen in einem familiären Kreis bei Frauenministerin Johanna Dohnal eingefunden, um ihre Sorgen und Erfahrungen zu artikulieren, oder stand Paul M. Zulehner später noch an anderem Ort zu den Ergebnissen einer Jugendstudie über „Was ist mir heilig?” im regen Austausch mit Religionslehrem, Eltern und Schülern.

Mindestens ebensosehr aber ereignete sich DIALOG zwischen den Stationen, beim Pendeln von Ort zu Ort, bei Brathendl und „Mischung”. In der Mittagszeit vor allem boten steirische Pfarren - zum Teil auf Spendenbasis - kleine Imbisse und Getränke an und luden so zu einer „gastfreundlichen Begegnung”, die insbesondere angesichts der vielen Gäste aus den südöstlichen und östlichen Nachbarländern an Symbolkraft gewann.

Show der Ehrlichkeit

Ab circa 12.15 Uhr wies eine nicht abreißende Menschenschlange den Weg zu jenem Ereignis, das vermutlich für nicht wenige den heimlichen Höhepunkt des Tages markierte: Eugen Drewermann war angesagt. Enthusiastische Begrüßungsworte, eine dramaturgische Darbietung, nochmals Begrüßungsworte - und dann nur mehr Drewermann: er allein vor einer riesigen Menschenmenge auf der Kasemattenbühne auf dem Schloßberg, ohne Pult, ohne Manuskript, bestechend in der Rhetorik, ein Sprachverführer mit sanfter Stimme, die sich nur manchmal, wenn er seiner Erregung über kirchliche Mißstände Ausdruck verleiht, hebt, danach immer (bewußt gesetzte) Pause und - jawohl, Applaus.

Es ist eine Mischung aus Show und Ehrlichkeit, besser noch: eine Show der Ehrlichkeit. Freilich eine, der man sich nicht ganz entziehen kann, umso mehr als seine Kritik über weite Strek-ken gewiß allzu plakativ formuliert, aber im Kern berechtigt ist. Er mag der zeitgeistigste unter den kirchlichen Kirchenkritikern sein - aber er versteht es zweifellos, präzis und unmißverständlich seine Finger auf die klaffenden Wunden unserer Zeit zu legen. Man kann ihn durchaus als (stark monologisierenden) Theologen kritisieren - die Diskussion über die Themen, die er aufgegriffen und zu den seinen gemacht hat, ist alles andere als ausgestanden und wird im Geiste dieses Tages der Steiermark zu führen sein.

Wer Drewermann bis zum Schluß erleben wollte, hatte notgedrungen einen Teil des nachmittäglichen Kulturprogramms, das nach den biblischen Impulsen, den Dialogpunkten und der Gastfreundschaft den vierten Grundpfeiler des Tages bildete, versäumt. Vielfalt und Grenzenlosigkeit standen auch hier im Vordergrund: Blasmusikkapellen, Chöre aus der Steiermark und den Nachbarländern, afrikanische Tänze, Folkloregruppen, eine Behindertenband und viele andere gaben der Stadt in diesen Stunden ihr Gepräge.

So wie der „Tag der Steiermark” insgesamt all das vergegenwärtigen sollte, was in den letzten drei Jahren in unzähligen Gesprächen, Arbeitskreisen et cetera zaghaft tastend erarbeitet wurde, so verdichtete sich in der ökumenischen Schlußfeier nochmals die Atmosphäre dieses Tages. In ihren Grußworten strichen Bundespräsident, Landeshauptmann und Bürgermeister, der Präsident der Grazer Israelitischen Kultusgemeinde sowie ein Vertreter der Islamischen Gemeinde Graz die Bedeutung dieses Ereignisses, dessen Lebendigkeit und Zei-chenhaftigkeit heraus, aber auch die darüber hinausgehende Herausforderung und Verantwortung für eine lebenswerte Zukunft.

Symbol der Hoffnung

Eine Zwischenstation sollte dieser Tag sein, ein Ausgangspunkt für die weitere Suche nach Wegen des Zu-sämmen-Lebens auf allen Ebenen in Kirche und Gesellschaft. Landeshauptmann Josef Krainer rief dem anwesenden Bischof Kräutler zu: „Herr Bischof, Sie sind für uns ein personalisiertes Symbol der Hoffnung. .. Wir brauchen solche Symbole dringender denn je.” Solange solche Hoffnung praktiziert wird, provoziert und herausfordert, ist noch nicht aller Tage der Steiermark Abend.

Der Autor ist leitender Redakteur der Zeitschrift „Denken + Glauben” der Katholischen Hochschulgemeinde Graz.

Bischof Kuntner am Telefon

(ski)- Unter dem Motto „Church meets industry” besuchte der Wiener Weihbischof Florian Kuntner vorige Woche einen Vormittag den Siemens-Standort in Wien-Erdberg. Kuntner, gerade mit der Visitation der Pfarre Erdberg befaßt, erhielt von Generaldirektor Walter Wolfsberger und leitenden Herren des Betriebes Informationen über das 17.000-Mitarbeiter-Unternehmen. Seit 1879 ist Siemens in Österreich (der erste Versuch von 1858 wurde nach sieben Jahren abgebrochen) ständig präsent.

Bischof Kuntner schnitt im Gespräch mit den Siemens-Verantwortlichen vor allem die Sicherheit der Arbeitsplätze und den Umweltschutz an und hörte erfreut, daß Siemens (Jahresumsatz rund 30 Milliarden Schilling) zu Österreichs führenden Unternehmen punkto Sozialleistungen und Müllvermeidung und -tren-nung gehört. Wie die Siemens-Manager meinte Kuntner, man müßte im Umweltschutz neben Einsparungen und Recycling auch neue technische Lösungen ins Auge fassen und solche nicht von vornherein ablehnen.

Der herzliche Empfang, der dem Bischof dann bei einem Rundgang durch einzelne Abteilungen zuteil wurde, ließ Kuntner, der mit Bezug auf St. Pölten vor einer Kirchenspaltung gewarnt hatte, wohl vergessen, daß ihm am Abend zuvor ORF-Moderator ElmarOberhauser einen Tiefschlag versetzt hatte. Oberhauser hatte am „Runden Tisch” bemängelt, daß Kuntner (der erst spätabends vom Besuch einer Pfadfindergruppe heimgekommen war) einen ORF-Anruf nicht sofort mit einem Rückruf beantwortet hatte. Hätten sowohl der Bischof als auch der ORF-Mann bereits die neuen - Kuntner vorgeführten - Siemens-Display-Telefone besessen, hätte Kuntner die Nachricht „Komme erst nach 22 Uhr heim” hinterlassen und HerrOberhauser diese auch lesen (und beherzigen) können...

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