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Volksfront, Modell Chile 1971

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Anfang dieses Monats haben sie in Amerika wieder einmal einen Politiker umgebracht. Im geläufigen Jargon der Krimis und Westerner beschrieben, hieß es: er wurde in einem Hinterhalt mit einigen Salven aus automatischen Gewehren „durchsiebt“. Die Nachtrauer war bescheiden, denn der Mann war keine strahlende Persönlichkeit wie der jungenhafte US-Präsi- dent John F. Kennedy eine gewesen ist, bis man unlängst so rein „zufällig“ seine Pläne gegen die kommunistische Ausbreitung in Südostasien fand und publik machte; kein Star des Guerillakampfes, wie der legendäre Ernesto Guevara, genannt „Che“; ja nicht einmal ein in Verzweiflung geratener katholischer Geistlicher, der seine Soutane an den Nagel hängt, um mit dem Gewehr bei der Verwirklichung der sozialistischen Revolution mitzumachen, wie Camilo Torres.

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Anfang dieses Monats haben sie in Amerika wieder einmal einen Politiker umgebracht. Im geläufigen Jargon der Krimis und Westerner beschrieben, hieß es: er wurde in einem Hinterhalt mit einigen Salven aus automatischen Gewehren „durchsiebt“. Die Nachtrauer war bescheiden, denn der Mann war keine strahlende Persönlichkeit wie der jungenhafte US-Präsi- dent John F. Kennedy eine gewesen ist, bis man unlängst so rein „zufällig“ seine Pläne gegen die kommunistische Ausbreitung in Südostasien fand und publik machte; kein Star des Guerillakampfes, wie der legendäre Ernesto Guevara, genannt „Che“; ja nicht einmal ein in Verzweiflung geratener katholischer Geistlicher, der seine Soutane an den Nagel hängt, um mit dem Gewehr bei der Verwirklichung der sozialistischen Revolution mitzumachen, wie Camilo Torres.

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Nichts von alldem hatte der Ermordete an aidi. Er war ein Minister; noch weniger: ein abgetakelter Minister; noch mieser: ein Parteipolitiker; und ganz schlecht: ein christlicher Demokrat in Latein- amerlka. Also kein Exponent jenes modernen revolutionären Polit- Qhristentums, das jetat in aller Welt und ohne Vorbehalt die Bewunderung aller progressiven Katholiken genießt; und auch kein Nachtwächter jenes heruntergekommenen lateinamerikanischen Kapitalismus, kein Flurhüter der dortigen Caudillos, jener Großgrundbesitzer, die sich dann und wann einen Militaristen beibiegen, um zu putschen und für eine Weile Diktator zu sein.

Wer war der Ermordete?

Der Ermordete hieß Edmundo Perez Ziujovic. Seine Vorfahren sind vielleicht Bauern und Knechte im alten Österreich gewesen; die dann nach Südamerika auswanderten, um Land zu bekommen; um ein- wenig freier und besser ziu leben als Urtier ihren alten Herren in Bosnien oder Kroatien. Zujovic gehörte der PDC an, der Christlich-Demokratischen Partei Chiles. In der Regierung des Präsidenten Eduardo Frei, die 1970 von der Volksfront aus der Stellung geschossen wurde, war er Innenminister. Die PDC war unter Frei mehr als eine Partei, die Programme für eine Sozial- und Wirtschaftsreform formuliert; sie wuchs zu einer Bewegung, die den Caudillos und den Superreichen in dem Augenblick unausstehlich wurde, als sie anting, den Bauern Land und den Proletariern — in diesem Fall wirklich die für den Nachwuchs Daseienden — jenes Dasein zu verschaffen, das der Reichtum des Indiustriesystems verspricht.

Die CaudiUos waren eine solche Behandlung nicht gewohnt. Sie leisteten Widerstand. Zujovic setzte die staatliche Exekutive ein, um der staatlichen Gesetzgebung Geltung zu verschaffen. Da ging ein Aufschrei der CaudiUos und ihrer Verbündeten durch das Land: Das sind ja bolschewiikische Methoden. Dazu brauchen wir keine christUche Demokraten. Das können Kommunisten besser. Die PDC geriet in ein Kreuzfeuer von rechts und links; sie bekam einen schlechten Ruf und Zujovic nach seiner Ermordung einen schlechten Nachruf.

Vor allem konnten es die soignier- ten Liberalen, für die es links keinen Gegner gibt, dem „Christdemokraten“ nicht vergessen, daß er nicht nur von einer Ordnung des gesellschaftlichen Lebens der Gegenwart im Sinne der christlichen Gebote redete, sondern damit Emst machte. So wie Johannes XXIII. in „Mater et Magistrą“ es verstand und Paul VI. in „Populorum Progressio“.

„System der Gewalt“

Wer aber waren „sie“, sie, die Zujovic ermordeten? So wie am Vorabend des spanischen Bürgerkrieges, als Angehörige des Volksfrontregimes den hervorragendsten Sprecher unter den christlichen Politikern Calvo Sotelo ermordeten, durfte es auch im Falle des christlichen Demokraten Zujovic nicht sein, daß die Schüsse von links kamen. Von links, wo y* Untergrund der Dynamo des dhiterftschen Volsfrontregiimes arbeitet: Die Revolutionäre der MIR. Einige davon, die wegen nichtpolitischer Verbrechen verurteilt worden waren, hat der Justizminister des jetzigen VoOkafrontregiimes unter Bruch der Verfassung begnadigt.

An einem Volksfrontregime darf kein Blut kleben. Denn: links kann es keinen Terror geben, und die progressive Presse breitet selbst üiber arge Exzesse der Linken noch einen Schimmer verstehender Menschlichkeit, der ein Tabu erzeugt. Wer also steht jetzt bei dieser Publizistik in dem Verdacht, diesen chilenischen „Christdemokraten“ umgebracht zu haben?

Einerseits heißt es, dieser „Christdemokrat“ wurde selbst das Opfer jenes „Systems der Gewalt“, das er als Innenminister eintfülhrte, als er „nicht zögerte, bei Hoflbesetzungen, die im Zuge der Landreform bereits unter Präsident Frei (auch ein .Christdemokrat“) begonnen hatten, Polizeieinheiten einzusetzen“. Anderseits wird der Geheimdienst der USA, genannt CIA, das heißt: Central Intelligence Agency, beschuldigt, Zujovic ermordet zu haben. Letzteres paßt gerade jetzt gut ins Bild: Neben dem Massenmord in Vietnam der individuelle Terror der USA als Mittel zur Provokation des Terrors gegen die revolutionäre Linke.

Seit dem Berliner Reichstagsbrand von 1933 reflektiert die radikale Linke gerne auf diese Version, um den Verdacht der Gewaltanwendung von sich abzuwenden und die feindseligen „anderen“ damit zu belasten. Stünde das Ganze nicht in einem tragischen Zusammenhang, dann müßte man an dieser Stelle auf die Agitation der österreichischen Mini — Neuen Linken eingehen, die eine Brandstiftung, die zufällig zur selben Zeit wie ihre Demonstration gegen das Bundesheer geschah, allen Ernstes mit dem Berliner Reichstagsbrand von 1933 vergleicht.

Modell Chile 1970

Wie sieht die Volksfront, Modell Chile 1970, aus? Bin Priester der Erzdiözese Wien, der jetzt, nachdem „andere“ katholische Geistliche Chile verlassen haben, in Santiago de Chile wirkt, nennt die Volksfront ein „Symbol einer neuen Hoffnung“. Exponent dieser Volksfront ist der am 4. September 1970 zum Präsidenten gewählte Sozialist Salvador Allende. Allende, Mitbegründer der Sozialistischen Partei Chiles, ist 63 Jahre alt, von Beruf Arzt. 1937 wurde er Abgeordneter, 1945 Senator. Viermal (1952, 1953 1964, 1970) kandidierte er für den Präsidentenposten. Die Volksfront (Unidad Popular) brachte ihn ans Ziel.

Die Volksfront besteht aus fünf Parteien: Die Kommunisten, moskauhörig, überzeugt von der Richtigkeit der Intervention in der CSSR im Jahre 1968; die Sozialisten unter Allende; die Radikalen, Substrat der traditionellen Macht der Freimaurer; die API, die den Radikalen nahestand, und die MAPU, die Partei der Spalter in der Christlich-Demokratischen Partei, die jetzt lieber mit den Kommunisten in der Volksfront Zusammengehen. Die MAPU lieferte der Volksfront nicht nur den Agrarminister, sondern ein in bezug auf das Ausland nicht unerwünschtes Image. Kader dieser „christlichen Marxisten“ sind katholische Intellektuelle und Jugendliche aus katholischen Verbänden, eine Kombination, die nicht nur für Chile charakteristisch ist. Was. bedeutet sie für die Katholiken Chiles?

Vor mir liegt ein Bericht des oben erwähnten Geistlichen aus Österreich: Danach unterstützt ein großer Teil der engagierten Christen „kritisch“ das Experiment Allendes. Das gilt vor allem von Gruppen der Katholischen Aktion, Universitätskreisen und fast dem ganzen jüngeren Klerus. Die „Iglesia Joven“, die „Junge Kirche“, wird vielfach als Wegbereiter der Revolution angesehen. Eine von Jesuiten gemachte Monatszeitschrift („Mensaje“ = Botschaft) unterstützt die „neuen Erfahrungen“ und steht „marxistischem Gedankengut mit Offenheit gegenüber“. In den .Parteien der Volksfront sind viele Geistliche tätig. Am Tage des Amtsantrittes des Volksfrontregimes wurde — auch auf

Wunsch Allendes — ein Dankgottesdienst in der Kathedrale gefeiert.

Und der katholische Geistliche aus Österreich schließt: Die Hürden, die Allende schon genommen hat, geben große Hoffnung. Manche werden fragen: Gerechtigkeit um den Preis des Kommunismus? Aber, und das ist die Ultima ratio des katholischen Geistlichen aus Österreich: Wenn Gerechtigkeit wahre Gerechtigkeit ist, dann ist es völlig gleichgültig, unter welchem Namen sie historische Wirklichkeit wird.

Zwischen Volksfront und Faschismus

35 Jahre nach dem Ausbruch des tödlichen Konflikts zwischen Volksfront und Faschismus In Spanien erfolgt nicht nur eine Reproduktion des Experiments der Volksfront. In Sizilien geschieht das Comeback des Faschismus. Inmitten des Pseudo feudalismus der Plantagenbesitzer und des Systems der Maffia schließen sich die Reihen der Neofaschisti- schan Partei. Es überholt nicht nur eine Neue Linke auf der äußersten Linken, es setzt auch auf der äußersten Rechten eine Neue Rechte zum Überholmanöver an. Es scheint, als würden die Toten des großen europäischen Bürgerkrieges recht bekommen, als würde über ihre Gräber jenes fatale „Und ihr habt doch gesiegt“ hinwegtönen.

In einer 1968 geschriebenen ,,non — novel novel“ erteilte John K. Galbraith eine Lektion, die zu viele nicht verstanden. Zeit der Handlung: Ende der fünfziger Jahre. Ort: Ein Universitätsinstitut für Politologie in den USA. Personen: Ein Lehrer und eine Hörerschaft, die schon aius dem Establishment ausgezagen ist.

Ein Schüler: „Glauben Sie, Sir, daß die Neue Linke vielleicht erreichen wird, was die Alte Linke nicht geschafft hat?“

Der Lehrer: „In letzter Konsequenz glaube ich, daß wir mit dem Endsieg der geistigen Freiheit rechnen dürfen. Ich will Ihnen erklären, warum…“

Nach Galbraith ist der Lehrer einer jener Erstarrten, die es nicht fertigbrachten, die Neue Linke, ihre neue Politik, die Maoistische Bewegung, die Studentenfoünde und andere linksradikale Formationen ernst zu nehmen. Noch bevor der Lehrer seine Autobiographie zum Beweis anbieten konnte, hörten, so schildert es Galbraith, die Studenten schon nicht mehr zu… Geschichte wiederholt sich nicht.

Es wiederholt sich auch nicht in diesem Sommer 1971, was vor 35 Jahren, im Sommer 1936, in Madrid geschah: Der Konflikt zwischen Volksfront und Faschismus. Versucht wird aber die Verlängerung dieses Konflikts: Über Millionen von Gräbern halbverscharrter Opfer des europäischen Bürgerkrieges gellen in der „freien Welt des Westens“ noch einmal die Parolen der Großväter. Sie möchten Enkel auf Schlachtfelder ihrer eigenen Niederlagen führen, und sie verfeuern ideologische Munition aus alten Feuerstellungen. Einige Enkel kind angetreten: Sie möchten die Revolution zu Ende führen; ‘oäer’ltntüfmer der Väter berichtigen; oder Niederlagen in Ordnung bringen.

Indessen läßt sich Geschichte weder wiederholen noch unverändert erhalten (Bemedetto Croce). In dieser Hinsicht sollten sich vor allem die „Christdemokraten“ nach ihrer jüngsten Schlappe in Italien dessen bewußt werden, was eine Zeitung aufzeigt, die nur mit mäßiger Sympathie die Aktivitäten dieser Richtung kommentiert: Die Demo- cristiani hätten sich gegenüber den Neofaschisten dort behauptet, wo ihre Partei imstande ist, in den eigenen Reihen die Linke unter Kontrolle zu behalten, im übrigen aber einen „gemäßigt konservativen“ Stil gefunden hat. Wenn hier unter „konservativ“ Distanzierung von Revolution und Reaktion gemeint ist, dann hat besagte Zeitung wahrscheinlich den Ausweg aus der jetzigen Malaise der „Christdemokraten“ gefunden.

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