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Volkskirche und Intensivgemeinden

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Paul M. Zulehner faßt im folgenden Beitrag sein vor kurzem in Wien gehaltenes, vielfach mißverstandenes Referat über das Problem der „Fernstehenden“ zusammen.

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Paul M. Zulehner faßt im folgenden Beitrag sein vor kurzem in Wien gehaltenes, vielfach mißverstandenes Referat über das Problem der „Fernstehenden“ zusammen.

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Von „Abschreiben“ kann keilte Rede sein, wenn man nicht vor- dergründig-kirchensoziologisch denkt (was zeitweilig nicht scha det). Dem allgemeinen Heilswillen Gottes, der auch alle Wiener umfaßt, ist das Wort „abschrei-

ben“ unangemessen. Nun könnte einer sagen: Gemeint ist ja nicht, daß Gott Menschen abschreibt, sondern die Kirche, die Pastoral.

Gemessen am Heilswillen Gottes gibt es auch keine „Fernstehenden“. Gott ist allen Menschen nahe, zumindest als das geheime Sehnen nach ganzem, heilem, gutem und wahrem Leben, das nicht mehr „scheitert“, also nach „ewigem Leben“,

Wenn man nach dem Verhältnis von Gottes Heilswillen und der Arbeit der Kirche fragt, kann Kirche verstanden werden als Gottes „charmante“ (vgl. „charis“ = Gnade) Art, sich als Heil aller Wiener in Erinnerung zu halten und dieses auch voranzubringen. Kirche ist demnach nicht Gott selbst, sie ist nicht das Heil. Das bleibt Gott, der sich selbst dem Menschen schenkt. Kirche ist daher nicht Verteilung Gottes, sondern Erfahrungsraum („Sakrament“) dieser Selbstmitteilung Gottes.

Biblisch stehen dafür viele Bilder und Begriffe zur Verfügung, um zu verdeutlichen, was diese Selbstgabe Gottes an den Menschen herbeiführt: Heil, -Reich Gottes, Übergang von Tod zu Leben, also Auferstehung zu ewigem Leben, das sich als Ahnung schon in diesen Lebzeiten spurenhaft ankündigt.

Nun ist diese „Pastoral Gottes“ durch die Kirche im Lauf der Geschichte unterschiedlich verstanden worden. Von nachhaltiger Bedeutung wurde zweifelsfrei Augustinus, der im Grund nur für wenige Menschen die Chance sah, daß sie — trotz des allgemeinen Heilswillens Gottes — auch faktisch gerettet werden. Der biblische Heilsuniversalismus schrumpfte vor allem in seinen Kampfschriften zu einem „Heils- partikularismüs“: gerettet werden (durch Taufe und Kirchenzugehörigkeit) nur wenige; die anderen gehören zur „massa damna- ta“, zur großen Zahl der Verdammten.

Aufgabe der Kirche mußte es daher sein, der großen Masse möglichst viele für das Heil abzugewinnen. In Österreich (wie in allen übrigen europäischen Staaten, die das Christentum als Grundlage der Staatsverfassung angenommen haben) wurde, zumal in den nachreformatorischen Zeiten, eine wenig zimperliche Pastoral der „Verordnung des Katholizismus“ betrieben, deren Ergebnis eine lückenlose Identi-

tat zwischen Bürger und Kirchenmitglied war. Man kann dafür die historischen Begriffe „Volks- und Staatskirche“ einsetzen.

Ohne sagen zu wollen, daß es Volks-, oder besser Großkirche nur dort gibt, wo nicht zuletzt der Staat mit allen gesellschaftlichen Einrichtungen (wie Schule, Strafrecht …) „Seelsorge“ betreibt, kann doch nicht geleugnet werden, daß der Erfolg der Kirche in dieser Zeit sich nicht allein der Faszination des Evangeliums und der Reich-Gottes-Predigt verdankt.

Dieser „obrigkeitliche Katholizismus“ wurde in Österreich mit der sozialen Verbriefung dpr Religionsfreiheit (1867) überwunden; dennoch blieben seine Auswirkungen über diese Zeit hinaus bestehen, nicht zuletzt deshalb, weil eben in der langen Zeit der „Verordnung“ auch eine kostbare, sozio-kulturell begründete Teilnahme am kirchlichen Leben entstanden ist.

Dennoch weist die Entwicklung der letzten Jahre darauf hin, daß unter freiheitlich-pluralistischen Verhältnissen, in denen es zusätzlich eine Stimmung in Richtung oberflächlich-konsumistisches Bewußtsein auch bei den Österreichern gibt, diese ererbten so- ziokulturellen Selbstverständlichkeiten rasch in Auflösung begriffen sind.

Damit nähern wir uns auch in Wien wieder Verhältnissen, welche die Väter des II. Vatikanischen Konzils weltweit vor Augen hatten, nämlich der Tatsache, daß die wahren Christen (unbeschadet nachhinkender, aber deshalb nicht schlechter großkirchlicher Traditionen) immer weniger sind, also eine Minderheit bilden.

Von da aus ist verständlich, daß sowohl auf dem Konzil als auch vermutlich langfristig in der Wiener Großstadtpastoral die alte biblische Auffassung von der Kirche als Licht der Welt und Salz der Erde wieder neu ins Bewußtsein treten kann. Es stellt sich jedoch heute die Frage, wie die Kirche in dieser neuartigen historischen Situation ihre ererbte Aufgabe erfüllen kann.

Dies geschieht dadurch, daß die Kirche jene Gemeinschaft ist, an deren Leben, Feiern und Handeln jeder sehen kann, was Gott mit allen vorhat. Offen bleibt aber, wie in einer zunehmend säkularisti- schen Freiheits- und Konsumgesellschaft die Kirche diesen ihren Auftrag erfüllt und wie „erfolg reich“ sie dabei ist, daß die auf jeden Fall im Leben eines jeden Wieners stattfindende Heils- und Unheilsgeschichte auch kirchlich wird.

Für die Arbeit der Kirche in der (Wiener) Großstadt kann gelten:

• Die Kirche bleibt auch heute für alle Menschen zuständig. Der Heilspartikularismus darf nicht auf Grund von Resignation oder Bequemlichkeit, aber auch nicht deshalb, weil die Kirche faktisch eine Minderheit bleiben wird, durch die Hintertür in die Theologie wiedereingeführt werden. Daher hat die Kirche ihre Arbeit vor allen Wienern zu machen, und zwar so, daß sie von allen gehört werden kann (und dies spricht eben gegen die sektoide Kuschelgemeinde, aber unverzichtbar für erfahrbare Gemeinde). Dies spricht für die Arbeit der Kirche auch in den Medien, in der Gemeindekatechese, im Pfarrbe- suchsdienst usw.).

• Die Arbeit der Kirche wird viel zeit- und personenintensiver sein. Dabei wird es vor allem darauf ankommen, praktikable Formen eines Katechumenats für (erwachsene) Neuheiden (getaufte und ungetaufte) zu entwickeln.

• Kirchengemeinden in der Großstadt, in Wien, werden nie Gemeinden der Hundertprozentigen sein. Möglich werden sein: Annäherung und Entfernung, Nähe und Distanz; gestufte Beteiligung wird der Normalfall sein. Es ist denkbar, daß Wiener Christen sich in mehreren Gemeinden zu Hause wissen: warum eigentlich nicht? Vielleicht entsteht erst so wirklich eine katholische und ökumenische Stadtkirche.

• Für jene, die die Arbeit machen, kommt es nicht darauf an, ob sie in dem statistischen Sinn erfolgreich waren, daß Menschen wieder (mehr) am Leben der Kirche teilnehmen, sosehr sich Christen freuen werden, daß Gott ihnen wieder den einen oder anderen Neuen hinzugefügt hat. Erst aus dieser gläubigen Gelassenheit, die weiß, daß nur Gott selbst im Herzen der Menschen Heil schafft, das er selbst ist, und daß auch die Gnade der Kirchlichkeit von ihm kommt, wird man auch der Versuchung widerstehen, unter dem Einsatz gekonnter Methoden der Persönlichkeitsveränderung eine Kirchlichkeit hervorzubringen, die nicht durch Gottes Gnade vorauseilend eröffnet ist.

Der Autor ist Professor für Pastoraltheologie in Passau.

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