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Volkstumskampf in der Sackgasse

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Das italienische Parlament stimmte kürzlich gegen die Erstarrung der Südtirolautonomie. Die Südtiroler Volkspartei schlug Alarm. Kann Österreich die Fronten bewegen?

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Das italienische Parlament stimmte kürzlich gegen die Erstarrung der Südtirolautonomie. Die Südtiroler Volkspartei schlug Alarm. Kann Österreich die Fronten bewegen?

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Der durchschnittliche österreichische Zeitungsleser muß dieser Tage fast den Eindruck gewonnen haben, die Existenz und die politische Behauptung der Südtiroler stünden plötzlich auf dem Spiel. Nach Abschluß einer Südtiroldebatte in mehreren Etappen im italienischen Parlament und mehrheitlicher Verabschiedung zweier Resolutionen (eine von der Linken, die zweite aus dem Regierungslager) hat die Südtiroler Volkspartei (SVP) Großalarm geschlagen. Im Parlament war erstmals ihr Vetorecht in Sachen Südtirol nicht berücksichtigt worden.

„Schwarzer Tag für Südtirol” hieß es im Bozner Tagblatt „Dolomiten”, dessen Miteigentümer Michl Ebner auch SVP-Parla-mentarier in Rom ist. „Ich kann das Gerede vom friedlichen Zusammenleben schon gar nicht mehr hören — die italienischen Parteien haben uns im Stich gelassen”, verstärkte Parteiobmann und Landeshauptmann Silvius Magnago wenig später vor der Presse den Ton und forderte die österreichische Bundesregierung auf, Italien gegenüber eine härtere Gangart einzuschlagen.

Kurz darauf lud Außenminister Alois Mock den italienischen Botschafter vor. Eine angesehene österreichische Tageszeitung sprach von einer „Kriegserklärung” (Italiens an die Südtiroler), eine andere schrieb, nun sei es Zeit, Südtirol wieder vor die UNO zu bringen. Gewichtige Sprecher aller österreichischen Parlamentsparteien drückten — mit unterschiedlicher Härte — ihr Bedauern über das Vorgehen des italienischen Parlaments aus.

Was war wirklich passiert—und was steht nun wirklich in den verabschiedeten Resolutionen des Abgeordnetenhauses?

Das römische Parlament hatte sich — auf Initiative der Linksund Rechtsopposition, deren Anträge naturgemäß sehr verschieden waren — seit Herbst 1985 die gesamte Südtirolfrage wieder vorgenommen, nachdem insbesondere der neofaschistische Wahlsieg in Bozen (12. Mai 1985) und zahlreiche andere Anzeichen der Spannung (Attentate inbegriffen) den Anlaß dazu gegeben hatten. Doch während die Neofa-schisten vom MSI (die viertstärkste Parlamentspartei) die Rücknahme einiger Bestimmungen des Autonomiestatuts für Südtirol forderten und insbesondere die rechtliche Gleichstellung der deutschen mit der italienischen Sprache, die Zweisprachigkeitspflicht der Beamten und den „ethnischen Proporz” bei der Besetzung von Staatsstellen abschaffen wollten, zielten die Kritiken und Vorschläge der demokratischen Parteien darauf ab, bestimmte Härten des Volkstums-kampfes und der übermäßigen ethnischen Abgrenzung und Frontstellung zwischen den Sprachgruppen in Südtirol zu mildern.

Um die Südtirolautonomie für alle drei im Lande lebenden Sprachgruppen und für rechtsstaatliche Erfordernisse annehmbar und konsensfähiger zu machen, wurde etwas weniger Starrheit und ethnische Diskriminierung (zum Beispiel bei der Wohnungsvergabe oder bei der Volksgruppenzählung) und dafür etwas mehr substantielle Wahrung der Autonomie empfohlen.

Da aber die SVP kurzsichtigerweise auf ihrer buchstabengläubigen Paragraphenreiterei und dem weiteren Ausbau ihres ethnischen „Proporzistans” beharrte, manövrierte sie sich langsam, aber sicher ins parlamentarische Abseits—sosehr ihre christdemokratischen und sozialistischen Bozner Regierungspartner dies zu verhindern suchten.

So kam es, daß die Abgeordnetenkammer am 19. Februar 1987 mit übergroßer Mehrheit sämtliche Forderungen der Neofaschi-sten niederstimmte und in den beiden sofort nachher genehmigten Resolutionen eine demokratische Korrektur der Südtirolautonomie zugunsten des besseren Zusammenlebens der Sprachgruppen forderte. Die SVP stimmte dagegen. Doch in den verabschiedeten Texten steht nicht viel mehr und anderes drin, als beispielsweise erst jüngst am 25. Jänner 1987 beim ersten (!) gemeinsamen Friedenstag der Katholischen Jugend Südtirols aller Sprachgruppen gefordert und vorgeschlagen wurde: Mehr Gelegenheit zur Begegnung quer durch die Sprachgruppen, weniger Volksgruppentrennung, mehr gegenseitiges Kennenlernen, weniger ethnische Zwänge, weniger Ausgrenzung, weniger Normenfetischismus.

Statt daß sich die SVP nun über die Niederlage der Neof aschisten gefreut und die Gelegenheit zur Ausweitung der positiven Akzeptanz der Südtirolautonomie bei allen Parteien (MSI ausgenommen) genutzt hätte, blies sie jedoch zum Sturm und verkündete den Belagerungszustand.

Was in Österreich prompt und geschlossen übernommen wurde — nicht hinterfragt übrigens. Besser wäre es, man hülfe der SVP, die ja nicht die Alleinvertretung der Südtiroler innehat, aus ihrer Erstarrung heraus und zu mehr Beweglichkeit. Denn wenn die Südtirolautonomie und die Rechte der Tiroler, die heute eine solide politische Mehrheit im italienischen Parlament hinter sich haben, auch in Zukunft dauerhaft gesichert sein sollen, genügen nicht Verträge und Paragraphen: Dazu braucht's vor allem jenes menschliche und politische Verständnis für Südtirol und die Südtiroler, das die SVP durch ihre unnötig volkstumskämpferische Haltung in den letzten Jahren auf eine harte Probe gestellt hat.

Aber auch in Österreich ist eine wahrheitsgetreue und weniger einseitige Südtirol-Information dringend nötig. Österreich sollte und könnte heute nicht nur als Anwalt der Autonomie- und Minderheitenrechte, sondern auch der Demokratie und des friedlichen Zusammenlebens in Südtirol wirksam werden.

Andernfalls wird man in der Sackgasse enden — wobei sich außerdem die Südtirolfrage als ständiger Hebel deutschnationaler Erpressung in der Innenpolitik mißbrauchen läßt. Zeit also, daß österreichische Demokraten etwas genauer hinsehen und differenzierter urteilen und reagieren!

Der Autor ist Abgeordneter zum Südtiroler Landtag für die „Alternative Liste fürs andere Südtirol”.

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