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Volksvertreter mit Karenzurlaub

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Auf dem Parteitag der SPÖ forderte die Junge Generation im Antrag 117 „alle Mitglieder der Bundesregierung, die Mandate zum Nationalrat innehaben, auf, diese zurückzulegen und damit eine Verbreiterung der parlamentarischen Basis der SPÖ möglich zu machen“. Der Parteitag wies den Antrag dem Parteivorstand zur Behandlung zu. Für die FURCHE beschäftigt sich Parlamentsdirektor Wilhelm F. Cemy an dieser Stelle mit der Thematik.

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Auf dem Parteitag der SPÖ forderte die Junge Generation im Antrag 117 „alle Mitglieder der Bundesregierung, die Mandate zum Nationalrat innehaben, auf, diese zurückzulegen und damit eine Verbreiterung der parlamentarischen Basis der SPÖ möglich zu machen“. Der Parteitag wies den Antrag dem Parteivorstand zur Behandlung zu. Für die FURCHE beschäftigt sich Parlamentsdirektor Wilhelm F. Cemy an dieser Stelle mit der Thematik.

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Der SPÖ-Parteitag am vergangenen Wochenende hat eine der in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllt: die Debatte darüber, ob Regierungsmitglieder zugleich Abgeordnete sein oder wenigstens für die Zeit ihrer Regierungstätigkeit das Mandat zurücklegen sollen.

Im Zusammenhang mit seiner vorzeitigen Auflösung beschloß der Nationalrat nämlich im Februar des heurigen Jahres auch eine Änderung der Bundesverfassung sowie der Nationalratswahlordnung. Hiebei wurde eine völlig neue Bestimmung geschaffen, daß Wahlwerber, die nicht gewählt wurden oder eine auf sie gefallene Wahl nicht angenommen haben, sowie solche, die ihr Mandat angenommen, in der Folge aber zurückgelegt haben, Ersatzkandidaten bleiben, solange sie nicht ausdrücklich ihre Streichung aus der Liste der Ersatzmänner verlangt haben.

Die stundenlange Debatte stand allerdings so sehr im Zeichen des Auflösungsbeschlusses, daß von den rund 20 Debattenbeiträgen sich nur ein einziger mit dieser wichtigen Bestimmung beschäftigte. Der inzwischen aus dem Nationalrat ausgeschiedene FPÖ-Abgeordnete Adalbert Schmidt führte hiezu aus:

„Vielleicht kann diese Regelung, meine Damen und Herren, eine Situation erleichtern, und zwar die an sich unverständliche und mit dem Grundsatz der Gewaltentrennung eigentlich nicht zu vereinbarende Situation, daß Minister gleichzeitig Abgeordnete sind. Vielleicht kann diese Situation aufgelockert werden, … denn an sich ist es schon unverständlich, wenn Minister auf der Regierungsbank sitzen,… aber als Abgeordnete selbst ein Teil dieses Hohen Hauses sind und etwa bei einem Mißtrauensantrag gegen sie dann von der Regierungsbank hinuntergehen und als Abgeordnete sich selbst das Vertrauen aussprechen …“

Und weiter Schmidt: „Es wäre viel naheliegender, wenn Abgeordnete, die Minister werden, ihr Mandat für die Zeit ihrer Ministerschaft zurücklegen würden. Das konnten sie bisher sehr schwer. Das war verständlich: Denn wenn sie es zurücklegten, waren sie von der Liste weg. Sie hatten ja keine Garantie, daß sie die ganze Legislaturperiode die Ministerschaft ausüben würden. Nach, der neuen Regelung bekommt zwar der Betreffende das Mandat auch nicht, wenn er als Minister ausscheidet, aber er bleibt auf der Liste und kann unter Umständen wieder in ein Abgeord- neterimandat einrücken.

Im Grunde geht es also hauptsächlich um zwei Fragen: ob ein Regierungsmitglied gleichzeitig Abgeordneter sein kann und ob ein Abgeordneter, der sein Mandat zurückgelegt hat, auf dem Umweg als „Ersatzmann“ wieder in den Nationalrat zurückkehren können soll.

Uber die Frage der Unvereinbarkeit von Abgeordnetenfunktion und Regierungsmitgliedschaft gibt es auch international die verschiedensten Ansichten. In manchen Staaten wird - teils auf Grund (verfassungs-) gesetzlicher Bestimmungen oder wenigstens gewohnheitsrechtlich - die Übernahme eines Regierungsamtes für unvereinbar mit dem Abgeordnetenmandat geheilten. Umgekehrt gibt es aber auch Staaten, in denen - wie vor allem in Großbritannien - es geradezu als erforderlich angesehen wird, daß Regierungsmitglieder gleichzeitig Parlamentarier sind.

Etwas ganz anderes ist jedoch die Frage, ob ein Abgeordneter, der sein Mandat zurückgelegt hat, auf dem Umweg als Ersatzmann wieder in den Nationalrat zurückkehren können soll. In der eingangs zitierten Rede wurde ja das politische Motiv der Neuregelung deutlich zum Ausdruck gebracht: Ein Parlamentarier, der in die Regierung berufen wird, soll sein Mandat zurücklegen und allenfalls später, wenn er nicht mehr der Regierung angehört, „wieder in den Nationalrat zurückkehren“ können.

Hier nun müssen gewichtige Überlegungen angestellt werden. Zunächst die, daß die Wahl der Abgeordneten für eine gesamte Gesetzgebungsperiode des Nationalrates erfolgt. Es erscheint daher zumindest „fragwürdig“, ob ein Mandatsverzicht auch sozusagen „bedingt“, nämlich für die Dauer der Mitgliedschaft in der Bundesregierung, möglich sein und als mit den Grundprinzipien einer parlamentarischen Demokratie vereinbar angesehen werden soll.

Eine weitere Überlegung betrifft den „Ersatzmann auf Zeit“, also jenen Abgeordneten, der für das von seinem Mandat zurückgetretene Regierungsmitglied in den Nationalrat einrückt, gegebenenfalls aber seinen Platz zugunsten des Vorgängers wieder räumen soll. Der bekannte Vizepräsident des Verfassungsgerichtshofes, Prof. Ringhofer, schreibt in seinem Kommenter: „Erste, wenngleich nicht einzige Voraussetzung für eine wirklich freie und unabhängige Amtsführung des Abgeordneten ist es, daß ihm das vom Wähler übertragene Mandat nicht oder jedenfalls nicht ohne zwingenden Grund wieder entzogen werden kann.“

Der Kern der aufgeworfenen und bisher nicht befriedigend ausdiskutierten Problematik besteht wohl darin, daß sowohl der „zeitweilige“ Verzicht eines Regierungsmitgliedes auf die Ausübung seines parlamentarischen Mandates als auch die „zeitweise“ Berufung eines Ersatzmannes eine einschneidende Manipulation der Wahlentscheidung über die Zusammensetzung des Parlaments darstellen.

Nun ist es zwar ein Prinzip der parlamentarischen Demokratie unserer Zeit, daß die Parteien das Monopol der Kandidatenaufstellung für Parlamentswahlen haben, doch ergibt sich anderseits schon aus der Natur des Verfahrens, daß die Gewählten als „Volksvertreter“ und nicht nur „Parteibeauftragte“ zu fungieren haben.

Selbst wenn man die Ansicht des Verfassers teilt, daß die öffentliche Meinung in Österreich noch immer viel zu wenig die Rolle der Parteien als Organ der staatlichen Willensbildung anerkennt, kann man doch schwere Bedenken dagegen anmelden, eine Korrektur des Wählerwillens in die Beliebigkeit einzelner Mandatare oder der Parteileitungen von Regierungsmehrheiten zu stellen.

Etwas ganz anäeres ist es, wenn ein gewählter Abgeordneter sein Mandat nicht annimmt oder aus gewichtigen Gründen auf die weitere Ausübung desselben verzichtet. Dies ist eine höchst persönliche Entscheidung, die man respektieren muß, zumal man ja niemanden zwingen kann, den Wählerauftrag zu erfüllen. Ebenso wäre es etwas anderes, wollte man in Österreich prinzipiell zur Unvereinbarkeit von Regierungsfunktion und Abgeordnetenmandat übergehen; denn das wär eine eingestandene Veränderung des politischen Systems, für die sich gute Gründe finden ließen.

Kaum vereinbar mit den Prinzipien der parlamentarischen Demokratie erscheint aber ein Karenzurlaub von Abgeordneten für die Dauer der Regierungstätigkeit. Die vom National- rat beschlossene Bestimmung besagt zwar nur, daß Abgeordnete, die ihr Mandat zurücklegen, Ersatzkandidaten bleiben können, doch liegt das politische Motiv klar zutage. Ein häufiger Gebrauch dieser neuen Möglichkeiten müßte zwangsläufig dem Parlamentarier das Bewußtsein nehmen, Vertreter aller seiner Wähler - und nicht nur seiner Parteimitglieder - zu sein, was schließlich zu einer uneingestandenen Veränderung des politischen Systems führen könnte.

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