Werbung
Werbung
Werbung

Das Alter bringt es mit sich, historische Ereignisse nicht nur aus Büchern zu kennen, sondern selbst miterlebt zu haben. Jetzt nicht unbedingt die Erfindung der Glühbirne oder die Mondlandung. Und ich bin auch dankbar, vor rund 80 Jahren noch nicht dabei gewesen zu sein.

Der Mauerfall ist hingegen noch in bester Erinnerung. Beeindruckende Bilder von jubelnden Menschen im Fernsehen. Zwei Monate später dann Studienreise nach Berlin. Eine ganze Stadt im Ausnahmezustand. Stücke der Mauer werden an jeder Ecke verkauft. Konstantin Wecker gibt ein Konzert am Alexanderplatz. Und ich als Zeitzeugin mitten drin. Fast zumindest. Eigentlich war ich im Bett im Studentenheim. Mit Angina und Fieber. Aber Angina in einer wiedervereinten Stadt ist auch besonders.

In der Justizanstalt ebenfalls einen Zeitzeugen getroffen. Der Insasse zeigt mir ein Urteil, das noch aus einer Zeit stammt, in der Strafe der Vergeltung diente. Keine Spur von humanem Strafvollzug. An jedem Jahrestag der Tat, steht da geschrieben, soll es Schlafen auf hartem Lager und nur Wasser und Brot geben. Verurteilungen wegen homosexueller Handlungen scheinen ebenfalls auf – wie Gutachten von heute umstrittenen Personen. Bei meinem Klienten geht es nach mehreren Jahrzehnten Haft um Resozialisierung. Insgesamt hat er mehr Lebensjahre im Gefängnis als in Freiheit verbracht – davor schon in Erziehungsheimen eingesperrt gewesen, wie er sagt. Und trotzdem ein unbeugsamer Lebenswille.

Zeit wird es brauchen, das Vorbereiten auf ein Leben außerhalb der Mauern. Vielleicht werde ich (Zeit-)Zeugin seiner ersten Schritte in die ersehnte Freiheit sein.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung