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Volldemokratie

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Vor einer Woche wurde in dieser Zeitung die Frage gestellt, wer — zu Ende dieser Legislaturperiode — einen Offenbarungseid ablegen müsse: die Regierung oder die Opposition.

Nachdem nun sogar ein Sonntag, an dem Österreichs Wählervolk Alte Donau, Strandbäder und Seen übervölkerte, zum Kehraus (und zur Selbstbewilligung höherer Bezüge) herhalten mußte und solcherart Fleiß fernsehgerecht demonstriert wurde, nachdem aber auch die Opposition eine weitere Juli-Sitzung zur Beratung des EWG-Arrangements gefordert hat, muß vorweg einmal festgestellt werden: Das Parlament als Institution der politischen Willensbildung hat wieder kräftigere Lebenszeichen von sich gegeben und ist wieder zur Stätte öffentlichen Disputs geworden — wie es sich gehört; denn schon hatte man den Eindruck, daß das Hohe Haus nur Applauskulisse diverser SPÖ-Allein-gänge, diverser SPÖ- oder FPÖ-oder, wie bei der Preisregelung, diverser SPÖlöVP-Gremien hinter Polstertüren sein sollte.

Zum zweiten aber hat die Opposition endlich das getan, was man als Bürger mit Recht von einer parlamentarischen Opposition erwarten darf: Sie hat ihr Kontrollrecht substantiell und umfassend geübt. Und das ist — endlich — ein Grund, dieser Opposition dankbar zu sein.

Man mag darüber diskutieren, ob und welche verbale Terminologie für die Vorgänge rund um Österreichs größten öffentlichen Bauauftrag zweckmäßig ist; ob das Wort „Schiebung“ nicht tatsächlich besser auf den Fußballplatz gehört — wohin es der Abgeordnete König bei seiner zweiten Wortmeldung später placierte.

Aber das ist im Grunde .doch nur Begleitmusik: In Wirklichkeit ist es der ÖVP wahrscheinlich nur auf diese rüde Art gelungen, überhaupt eine detaillierte öffentliche Plenumsdebatte über die UNO-City zu erzwingen. Und darum geht es: daß alles getan wird, um ein undurchsichtiges Dickicht (wie sagt der Bundeskanzler doch immer?) „transparent“ zu machen — und um das freie Ermessen, das im Falle der Vergabe des Superauftrages strapaziert wurde, auch ausreichend begründet zu erhalten. Das ist, bitte schön, das gute, legitime und notwendige Recht der Opposition!

Die Sache ist der Regierung peinlich. Das ist verständlich (und das waren ähnliche Kontroversen auch der Regierung Klaus); aber das gehört nun einmal zur vollfähigen Demokratie.

Man müßte in diesem Zusammenhang den Bundeskanzler ausdrücklich auf die Arbeit von Hochschulprofessor Manfried Welan und Heinrich Neisser aufmerksam machen, die die Stellung des „Bundeskanzlers im österreichischen Verfassungs-gefüge“ untersucht haben und eindeutig feststellen, daß „der Kern der Ministerverantwortlichkeit sich heute in der politischen Praxis darauf reduziert, daß der Regierungschef und die übrigen Mitglieder der Regierung verpflichtet sind, der Opposition im Parlament Rede und Antwort stehen“. Und die große Zahl der parlamentarischen Anfragen an den Regierungschef beweisen, daß er eben „zum Hauptträger parlamentarischer Verantwortlichkeit geworden ist“.

Nun redet sich Bundeskanzler Kreisky (zuletzt auch anläßlich der UNO-Debatte) darauf aus, man möge doch die verfassungsgemäßen Mittel, ihn rechtlich verantwortlich zu machen, einsetzen, und er meint damit die Ministeranklage (gemäß Art. 76 Abs. 1 und Art. 142 Abs. 2 B-VG.) und das Mißtrauensvotum (Art. 74 Abs. 1 B-VGJ.

Wenn Kreisky so etwas sagt, dann weiß er freilich, daß ihm nichts passieren kann: denn dazu bedarf es eines Mehrheitsbeschlusses im Nationalrat — und die SPÖ wird in jedem Fall ihren Obmann nicht vor den Verfassungsgerichtshof bringen. Dazu Welan und Neisser; „Ein Miß-trauensantrag im Nationalrat kann in diesem Fall einer politischen Partei höchstens eine vermehrte Öffentlichkeitswirkung verschaffen“.

Und Kreisky weiß auch, daß das alles leere Hülsen sind: denn die Bestimmungen der Bundesverfassung besitzen „lediglich theoretische und historische Bedeutung“.

Das Erfolgserlebnis dieser heißen Juliwoche wird der Volkspartei hoffentlich weiterhelfen. Sie braucht augenblicklich ja Ermutigung. Sie hat anläßlich der UNO-City-Debatte und auch anläßlich des Wirtschaftsberichtes der Bundesregierung bewiesen, daß sie durchaus auch die Zähne zeigen kann.

Hoffentlich schmilzt in der Sommersonne jetzt auch der Oppositionsspeck, der sie bisher so müde und zahm gemacht hat.

Was die Österreicher im Herbst sehen wollen, ist eine Volkspartei, die keine Gelegenheit ausläßt, von ihren — sowieso bescheidenen — Kontrollrechten auch Gebrauch zu machen. Und diese Volltüchtigkeit darf man doch — angesichts der drastisch angehobenen Abgeordnetenbezüge — als zahlender und wählender Österreicher auch erwarten. Oder etwa nicht?

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