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Volle Führungsfreiheit

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In vielen Diskussionen über die Ursachen der Niederlage vom 6. Mai hört man derzeit, daß die ÖVP in eine „strukturelle Minderheitensituation“ geraten sei, in der ihr nicht nur die momentane Wählergunst ins Gesicht blase. Vielmehr stünden die Maßgebenden sozialen und politischen Entwicklungen gegen sie.

Ich halte diese Feststellung für übertrieben und nicht im Einklang mit den tatsächlichen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen in Österreich.

Von manchen Kommentatoren wurde behauptet, das Ergebnis vom 6. Mai stelle einen Linksruck des ideologischen Bewußtseinsstandes der Bevölkerung und somit ein gesellschaftspolitisches Ereignis dar.

Die demoskopischen Befunde des Linzer IMAS-Institutes bestätigen dies nicht:

Sowohl 1975 wie nach dem 6. Mai 1979 erklärten 53 Prozent der Wähler zu ihren Hauptentscheidungsgründen: „Ich habe SPÖ gewählt, weil sie besser für die Aufwärtsentwicklung der Wirtschaft sorgen kann.“

1975 erklärten 53 Prozent: „Ich habe die SPÖ gewählt, weil sie mehr für die Sicherung der Arbeitsplätze tut“. 1979 haben 52 Prozent diese Antwort gegeben.

1975 erklärten 43 Prozent: „Ich wollte, daß Dr. Kreisky wieder Bundeskanzler wird.“ Nach dem 6. Mai haben 41 das von sich gesagt.

Demgegenüber hatten ideologische und gesellschaftspolitische Überlegungen weder 1975 noch jetzt eine bestimmende Rolle gespielt.

Nur 25 Prozent strebten 1979 mit ihrer Stimme an, daß sich „sozialistische Ideen bei uns stärker durchsetzen sollen.“

Daher kann das Wahlergebnis weder im Sinne eines Vormarsches sozialistischer Ideen noch einer Ablehnung christlich-demokratischer, liberaler oder bürgerlich-konservativer Wertvorstellungen interpretiert werden.

Die Bevölkerung begreift sich in ihrem ideologischem Bewußtseinsstand sehr viel konservativer, als sie es alle vier Jahre in der Wahlurne zum Ausdruck bringt.

Zwei wichtige Kriterien sind es, die die Voraussetzung für den Wahlerfolg einer Partei bilden:

• Wahlen werden gewonnen durch die Meinung der Bevölkerung von der Überlegenheit der eigenen Führungsmannschaft und insbesondere des Spitzenkandidaten.

• Wahlen werden von jener Partei gewonnen, die in der Einschätzung der Bevölkerung die wichtigsten politischen Ziele und Positionen am effektivsten vertritt und der die Lösung der wichtigsten Probleme und Anliegen am ehesten zugetraut wird.

Analysiert man die Nationalratswahl 1979 unter diesen wahlstrategischen Erkenntnissen, wird klar, daß die ÖVP während der gesamten Legislaturperiode praktisch zu keinem Zeitpunkt eine echte Chance gehabt hat, die SPÖ entscheidend zu schwächen.

Will die Volkspartei 1983 eine weitere absolute Mehrheit der SPÖ verhindern, ist die Wiedergewinnung des Images der Leistungsfähigkeit und der „Zeitgemäßheit“ die zentrale Voraussetzung.

Ein umfassendes gesellschaftspolitisches Alternativkonzept muß in einer neuen Grundsatzdiskussion vertieft werden, in der den sozialen Zielvorstellungen die Grundwerte der ÖVP und ihre Konsequenzen für die Gesellschaft entgegengestellt werden.

Die neue Grundsatzdiskussion bietet der ÖVP die Chance, Fehlentwicklungen zu korrigieren, wieder mehr ideologische Uberzeugungskraft und durch eine stärkere programmatische Identität mehr innerparteiliche Integration zu gewinnen.

Aber innerparteiliche Integration auf der Basis gemeinsamer Grundwerte ist für eine Volkspartei nicht nur ein Problem der Theorie, sondern auch ein Problem der Führung.

Es darf deshalb auch kein Zweifel bestehen, daß eine Partei diese Führung ihrem Spitzenkandidaten ganz gewähren muß. Dies gehört zu jenen Grundbedingungen der Personalisierung der Politik in der modernen Demokratie, die man zu akzeptieren hat. Dieses Faktum verlangt für die verschiedenen Führungsfunktionen der ÖVP eine klare Unterordnung unter das Amt und die Richtlinienkompetenz des Parteiobmanns.

Die politische Strategie einer sozialen Integrationspartei, die den sozialen Wandel und dem Trend zur Arbeitnehmergesellschaft Rechnung tragen will, muß sich vor allem die Frage stellen, wie die zwar berechtigten, aber minderheitlichen Interessen der Bauernschaft, der Industrie und des Gewerbes in der Öffentlichkeit vertreten werden sollen. Deren Interessenartikulation liegt derzeit bei ÖVP-Spitzenpolitikern und Mandataren.

Dadurch wird in der öffentlichen Meinung der Eindruck der Interes-sensidentität von Arbeitgebern, Selbständigen und Bauern mit der ÖVP-Politik erweckt.

Die Interessensvertretung der Arbeitnehmerschaft durch die ÖVP kommt zu kurz. Das „Konzept der Volkspartei“ wird in der Öffentlichkeit in Richtung auf eine Partei der ständischen Interessen verzerrt. Diesem Eindruck kann wirkungsvoll nur dann begegnet werden, wenn die In-teressensverbände und Kammern im vorparlamentarischen Raum von Sprechern und Vorsitzenden repräsentiert werden, die nicht zugleich ÖVP-Spitzenpolitiker sind und als solche dem Parlament angehören.

Eine ähnlich verzerrte Optik ergibt sich für die Öffentlichkeit bei der Sozialpartnerschaft. Auch hier wird, zumindest nach außen hin sichtbar, der '„Arbeitnehmerpart“ von Exponenten der SPÖ wahrgenommen, während der „Arbeitgeberpart“ bekannten ÖVP-Spitzenpolitikern zufällt.

Bei dieser einseitigen öffentlichen Rollenverteilung darf sich niemand wundern, daß der ÖVP in der Öffentlichkeit eine wenig mehrheitsfähige und einseitige Interessensidentität anhaftet.

Der Autor ist Landesparteisekretär der oberösterreichischen Volkspartei und wurde,von der FURCHE am Vorabend des Parteitags eingeladen, aus der Sicht der jungen Generation seine Meinung zu äußern.

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