6917585-1981_32_08.jpg
Digital In Arbeit

Vollendung des Menschen

Werbung
Werbung
Werbung

Diese Ausführungen haben nicht das Ziel, für eine Wiederbelebung der traditionellen Marienverehrung zu werben. Vielleicht läßt sich auf diesem Gebiet vorläufig sowieso nicht viel erreichen. Aber es dürfte durchaus möglich sein, einige Gesichtspunkte aufzuzeigen, die auch für das Glaubensbewußtsein und für den Glaubensvollzug derjenigen anregend sein dürften, die zur Marienverehrung kaum noch ein Verhältnis haben.

Sehr vergröbert lassen sich „früher“ und „heute“ so voneinander abheben: In früheren Zeiten wurde vor allem das Besondere an Maria hervorgehoben, das Einmalige und Unerreichbare. Wir Heutigen dagegen neigen, falls wir uns überhaupt für die Mutter Jesu interessieren, eher dazu, das zu betonen, was sie mit uns gemeinsam hat.

Wenn wir von unseren Verstorbenen sprechen, gebrauchen wir Bilder und Umschreibungen, die gar nicht wörtlich genommen werden dürfen und trotzdem sehr deutlich das sagen, was gemeint ist. Wir sagen: Er ging von uns, er verschied, er nahm Abschied - um so die Zuversicht zum Ausdruck zu bringen, daß wir uns eines Tages wiederfinden werden.

Ähnliches sagen wir von Maria, und wenn die Kirche diese Aussage zum Dogma erklärt, dann heißt dies, daß wir an diesem Punkt ganz sicher sein können. Das heißt aber nicht, daß wir deshalb bei den anderen Verstorbenen unsicher sein müßten. Auch von den anderen dürfen wir hoffen, daß Gott sie in die Gemeinschaft mit ihm hineingeholt hat. '

Aufnahme Mariens in den Himmel, das hat ebenso mit Jesus zu tun wie die Hoffnung für unsere Verstorbenen. Nach dem Evangelisten Johannes erklärt Jesus auf verschiedene Weise, daß er das Leben bringt, welches auch durch den Tod nicht überwunden werden kann. „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er gestorben ist.“ Beide Male geht es nicht nur um das Weiterleben der Seele. Das erwartete man auch schon vor Christus, auch schon in der heidnischen Welt. Um vom Weiterleben der Seele nach dem Tode sprechen zu können, hätte Christus nicht zu kommen brauchen. Im christlichen Glauben richtet sich die Hoffnung auf mehr, nämlich darauf, daß der ganze Mensch und seine Welt bejaht ist und umgestaltet werden wird nach dem Bild Jesu Christi.

Das Irdische ist nicht unwichtig; es wird nicht wie ein Taucheranzug nach vollbrachter Arbeit abgeworfen; es soll verwandelt und vollendet werden. Und wir sind überzeugt, daß diese Verwandlung schon begonnen hat. Von Christus, dem Anfang der neuen, endgültigen Welt, geht eine umwandelnde und erneuernde Kraft aus, die alle ergreift, die sich im Glauben zu ihm bekennen.

Nun war aber niemand so eng verbunden mit Jesus Christus wie seine Mutter Maria, nicht nur dem Leibe nach, sondern auch in der inneren Anteilnahme an seinem Lebensweg und im Glauben. Darum ist es nicht verwunderlich, wenn sich sehr bald in der Christenheit die Überzeugung herausbildet, daß sich die Kraft der Auferstehung, die allen Menschen zugedacht ist, an ihr zuallererst auswirken mußte.

Zwei Dinge scheinen hier für uns besonders beachtenswert zu sein:

a) Das Beste an uns, so sagt dieses Fest, ist nicht das, was wir durch unsere Leistung zustande bringen, sondern das, was wir als Geschenk empfangen. Sicherlich sind die Leistungen der Menschen wichtig und oft bewundernswert. Aber glücklich ist erst der Mensch, der sich beschenkt weiß. Maria ist ein Mensch, der ganz aus dem Glauben und aus dem Vertrauen auf Gott existiert, der sich von Gott unendlich bejaht und beschenkt weiß.

Heute, in einer Zeit der gesteigerten Leistungen» in der allzuoft ein Mensch nur noch nach dem beurteilt wird, was er leistet, kann es wichtig sein, über diese Maßstäbe hinauszublicken. Hat die Gestalt der Mutter Jesu nicht womöglich deshalb die Kunst der Vergangenheit in so reichem Maße angeregt, die Dichtung, die Malerei, die Bildhauerei, die Musik, weil hier verdanke tes Dasein Gestalt annahm?

b) Noch etwas anderes verdient Beachtung: Wenn wir heute nicht nur des Todes, sondern der Vollendung der Mutter Jesu gedenken, dann feiern wir zugleich die Auszeichnung des Menschen überhaupt.

Um dies zu verdeutlichen, sei auf die Lesung aus der Offenbarung des Johannes zurückgegriffen. Dort werden zwei Bilder einander gegenübergestellt. Auf der einen Seite die Frau, mit der Sonne bekleidet, den Mond unter ihren Füßen und einen Kranz von zwölf Sternen um ihr Haupt. Auf der anderen Seite der Drache, der so mächtig ist, daß er mit seinem Schweif ein Drittel der Sterne vom Himmel fegt. Gemeint sind auf der einen Seite das Volk Gottes, die Jungfrau Israel, die Tochter Zion, auf der anderen Seite die mächtigen heidnischen Völker, die das Volk Gottes bedrängen.

Das Volk Gottes existiert ganz aus dem Glauben; ohne seinen Halt in Gott würde es von den feindlichen Mächten hinweggefegt werden. Von Anfang an betrachteten die Christen Maria als die reinste Verkörperung dieses Volkes, und darum wurde dieses Bild sehr bald auf sie übertragen. Die ganze kosmische Welt dient als Schmuck dieses Menschen, dieses schlichten demütigen, beschenkten, glücklichen und teilnahmsvollen Menschen.

Heute scheint es genauso notwendig zu sein, den von Gott geliebten Menschen in den Mittelpunkt des Denkens zu rücken. Denn es besteht Gefahr, daß zwas nicht gerade die Sterne, wohl aber andere Dinge vergöttert werden, der Profit, die Macht und der Fortschritt. Je mehr aber der Mensch seinen Mitmenschen als Mittel für anderes benutzt, um so weniger ist er fähig, dem Menschen selbst gerecht zu werden.

Von hier aus könnten sich viele wichtige Perspektiven eröffnen: den von Gott geliebten Menschen in den Mittelpunkt des Denkens und Handelns zu stellen, entspricht dies nicht unserer Sehnsucht nach dem gereiften und geklärten Menschsein?

Wir alle machen die Erfahrung der Brüchigkeit und erleben das Verlangen danach, trotzdem ganz und gar bejaht zu sein. Genau darauf ist dieses Fest angelegt; es will unsere Zuversicht stärken, daß Gott jedem Menschen eine unendliche Zukunft zugedacht hat: dem Kind, von dem man noch gar nicht weiß, wie es sich entwickeln wird; dem Erwachsenen, der oft daran ist, zu resignieren, weil ihm so vieles mißlungen ist und weil er unter dem ständigen Leistungsdruck aufgerieben zu werden droht; dem alten Menschen, der sich zuweilen wie abgeschoben vorkommt .'. .Wir begehen den Todestag der Mutter Jesu und erneuern dabei zugleich unsere eigene Hoffnung auf jene Vollendung, die Gott uns zugedacht hat.

Der Autor ist Pastoraltheologe an der Unsiversität Münster, der Beitrag ist dem Band „ZU DIESEM LEBEN ERMUTIGEN“ Verlag Herder, Freiburg 1981, entnommen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung