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Voller Einsatz gegen den Wind von rechts

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Kürzlich besuchte Dr. Kurt Kren- kel, Geschäftsführer der Gießereiindustrie Österreichs, mit einer neunköpfigen Delegation die Volksrepublik China. In einem Abschlußbericht faßte er seine Reiseeindrücke zusammen.

„Am Ende dieses Jahrhunderts muß China die größte Industriemacht der Welt sein”, postulierte einst der inzwischen verstorbene chinesische Ministerpräsident Tschou En-Lai. Um dieses Ziel zu erreichen, sind der 1949 ausgerufenen Volksrepublik 50 Jahre zur Verfügung gestanden. Nun ist die Hälfte der Zeit vorüber. Die wirtschaftlichen Erfolge sind seit Jahren ansteigend, ob die Forderung Tschou En-Lais allerdings Realität werden wird, ist nicht abzusehen.

Der wesentliche Durchbruch der chinesischen Wirtschaft erfolgte gegen Ende der fünfziger Jahre mit der Abkehr des chinesischen Entwicklungsweges von seinem sowjetischen Vorbild. Das sowjetische Modell stellte die Schwerindustrialisierung vor die Landwirtschaft, was mit der wirtschaftlichen und sozialen Realität in China nicht vereinbar war, die rückständige Landwirtschaft des Landes konnte nicht genügend Mittel bereitstellen, um die Industrie beschleunigt aufzubauen. Die Industrie ihrerseits war nicht in der Lage, die Landwirtschaft großräumig zu mechanisieren und zu modernisieren. Den Kreislauf von überzähligen Arbeitskräften und kaum vorhandenem Investitionskapital durchbrachen die Chinesen schließlich, indem sie ihre eigene Wirtschaftsstrategie aufbauten.

Sie kehrten die sowjetische Leitlinie- Schwerindustrie vor Landwirtschaft - um. Der Landwirtschaft wurde gegenüber der Schwerindustrie der Vorrang gegeben, mit der Verbindung von intensiver Arbeitskraftausnutzung und beschränktem Kapitaleinsatz sollte sich der Erfolg einstellen. Gleichzeitig wurde in die Maxime „Landwirtschaft vor Schwerindustrie” eine Brücke eingebaut. In ländlichen Gebieten wurden arbeitskraft- intensive Klein- und Leichtindustrien zwischen die beiden Entwicklungsschwerpunkte gerückt. „Der große Sprung nach vom” wurde mit zentral geplanten und gesteuerten Volkskommunen gemacht. Diese Massenbewegung endete schließlich zu Beginn der sechziger Jahre mit einem großen volkswirtschaftlichen Rückschlag.

Phase der Liberalisierung.

Die chinesischen Wirtschaftsplaner lernten schnell aus ihren Fehlem. Eine dogmatische und allumfassende Entscheidungsbefugnis, die ausschließlich zentralistisch gehandhabt wurde, konnte nicht erfolgreich sein. Deshalb wurde eine Phase der wirtschaftlichen Liberalisierung eingeleitet, und dem wirtschaftlichen Management wurde größerer Entscheidungsspielraum eingeräumt. Zahlreiche Elemente aus dieser Zeit, in der die chinesische Wirtschaft wieder Auftrieb erhielt, verschwanden dann aber wieder in der Kulturrevolution von 1966 bis 1968. Zum Modell der sowjetischen Planwirtschaft kehrten die Chinesen trotzdem nicht mehr zurück.

Wenn China seine volkswirtschaftlichen Ordnungsformen heute als „System der einheitlichen Leitung bei entflochtener Wirtschaftsorganisation” bezeichnet, handelt es sich weniger um eine dezentralisierte Wirtschaftsordnung im westlichen Sinn des Wortes. Es ist vielmehr ein System von abgestuften Entscheidungsräumen, um trotz allem eine mäßig zentralisierte Planwirtschaft aufrechtzuerhalten. Volkswirtschaftliche Mitentscheidung stellt auch nicht so sehr die innerbetriebliche Bewegungsfreiheit der Belegschaft und des Managements in den Vordergrund. In erster Linie wird sie nach geographischen Prinzipien gehandhabt.

Während noch zur Zeit der Kulturrevolution im Bereich des betrieblichen Managements das Ausschußprinzip - in Form der Revolutionskomitees - streng eingehalten wurde, er gaben sich im Laufe der letzten Jahre doch zahlreiche prinzipienlose Misch- formen: Zum Teü haben Ausschüsse den Charakter aktiver Entscheidungsorgane eingebüßt und sich mehr zu Kontroll- oder Aufsichtseinrichtungen verformt. Zwar widerspricht diese Form der Ausschüsse und der „Ein-Mann-Leitungen” grundsätzlich der ideologischen Auffassung, sie ist aber eine jener vielfältigen Varianten, die als eine Art von Kompromißlösung aus den Erfolgsanforderungen des wirtschaftlichen Alltags entstanden sind. Außerdem bestätigen die Erfolge der Wirtschaft seit 1970 ihre Zweckmäßigkeit.

Noch lebt eine Generation, die Chinas bewegte historische Entwicklung in diesem Jahrhundert selbst miterlebt hat Es sind Menschen, die Jahrzehnte nur mit dem Elend konfrontiert waren. Denn allzu lange ist es nicht her, daß Millionen in den Straßen verhungerten, ein Großteil der Bevölkerung kein eigenes Dach über dem Kopf hatte, Steuern und Zinsen bis auf das letzte Reiskorn aus den Bauern gepreßt wurden und Famüien ihre Kinder verkauften, um überleben zu können. Bei aller kritischen Distanz gegenüber dem rotchinesischen Regime muß deshalb anerkannt werden, daß sich das chinesische Volk mit eigener Kraft aus der hoffnungslos scheinenden Lage he raus gearbeitet hat.

Der Wind von rechts

Westlichen Besuchern fällt bei Führungen durch die zahlreichen Fabriken und Kommunen immer wieder die Formulierung „der Wind von rechts” auf. Gemeint ist damit nichts anderes als reaktionäre Strömungen. Eine Aufschrift in einer Pekinger Fabrik lautet beispielsweise: „Bereits im ersten Jahr des Fünf-Jahres-Planes voller Einsatz gegen den Wind von rechts.” Diese politischen Parolen werden von der Parteiführung bewußt ausgegeben, um das politische Bewußtsein der Bevölkerung nicht erstarren zu lassen. Auch die seit Monaten laufende Kampagne gegen die „Viererbande” Jcann in diesem Sinn interpretiert werden. Wie stark der

„Wind von rechts” wirklich weht, kann ein Außenstehender nur schwer erkennen. Die Chinesen selbst geben offen zu, daß es von Zeit zu Zeit Brisen gebe, mit denen man sich auseinandersetzen müsse.

Politisches Denken geht in der chinesischen Volksrepublik also durch sämtliche Lebensbereiche und alle Berufsschichten. So müssen auch die Studenten während der Ausbildungszeit ihren Beitrag zum Aufbau des Staates leisten. Der Grundsatz der Ausbildung heißt: Die Theorie durch Bücher kennenlernen und gleichzeitig die Praxis im Betrieb erleben. Wer an einer Universität studieren will, muß mindestens zwei Jahre praktische Arbeit nachweisen können. Die Studienzeit wurde von sechs auf drei Jahre herabgesetzt. Während dieser Zeit müssen die Studenten aber für ein Jahr aufs Land gehen und ihre Arbeitskraft einer Kommune zur Verfügung stellen. Begleitet werden sie dabei von Dozenten. Wer nicht in einem Betrieb arbeitet, kann sein Praktikum auch in einer universitätseigenen Werkstätte ablegen.

Der Status der Familie

Das moderne China hat sich seit der kommunistischen Machtübernahme im Jahre 1949 in seiner ganzen Sozialstruktur radikal verändert. Auch die Familienstruktur wurde natürlich vom Strudel der sozialen Veränderung mitgerissen. Mit der Abschaffung des traditionellen Familienoberhauptes wurde die Funktion der Familie von einer Lebensgemeinschaft in eine Produktionsgemeinschaft umgeformt. Kinderreiche Famüien sind im modernen China nicht mehr gerne gesehen, die Kinderzahl soll pro Famüie auf zwei beschränkt bleiben. Um das durchzusetzen, haben sich die zuständigen Parteifunktionäre auch gleich etwas einfallen lassen. Für mehr als zwei Kinder gibt es keine staatliche Unterstützung mehr.

Was in westlichen Demokratien nicht weniger befremdend anmutet: Es gibt wohl ein Gesetz, daß Mädchen mit 18 und Burschen mit 20 Jahren heiraten dürfen, dem steht aber eine Empfehlung des inzwischen verstorbenen Parteivorsitzenden Mao gegenüber, demzufolge Mädchen erst mit 25, Burschen erst mit 28 Jahren in den Stand der Ehe treten sollen, um ihre ganze junge Kraft dem staatlichen Aufbau zur Verfügung stellen zu können. Die Empfehlung Maos wiegt mehr als das Gesetz …

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