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Vom bürgerlichen Masochismus genug

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Ich bin Politiker und bin es gern. Wahrscheinlich eine nicht sehr populäre Aussage. In unserem Stande ist es üblich geworden, sich selbst zu bemitleiden. 42jährige Finanzminister bangen um ihre Zukunft, andere wieder genieren sich für ihre Bezüge und nehmen sie trotzdem, und überhaupt muß man feststellen, daß, nicht zuletzt bedingt durch AKH und AKW, die Politiker in der Wertschätzung in die Nähe der Gebrauchtwagenhändler gerutscht sind. Trotzdem bin ich es gerne und werde mich bemühen, zur Verbesserung dieses Zwischentiefs beizutragen.

Nur eines hätte ich gerne abgeschafft: Rundfragen wie diese und Artikelüberschriften, die ein Fragezeichen enthalten. Darum erlaube ich mir, einen durchaus verärgerten Beitrag unter dem Titel der Serie zu liefern. Verärgert nämlich, weil mir der bürgerliche Masochismus langsam reicht, alles in Auflösung zu sehen.

Ich möchte der Redaktion der FURCHE gerne sagen, daß ich allein schon verteidigungswert finde, daß sie solche Fragen stellen kann und ich in dieser Weise darauf antworte. Das allerdings, was diese ständigen Fragezeichen bewirken, macht mir mehr Sorgen: Es werden Selbstverständlichkeiten in Frage gestellt.

Meine Heimat ist mir nämlich verteidigungswert und darüber will ich eigentlich gar nicht diskutieren. Sie ist eine Selbstverständlichkeit, mit all ihren Schönheiten, Leistungen und Genüssen, mit den Gefahren, Irrtümern und Katastrophen. Ich will mir nämlich meine Geschichte nicht wegnehmen lassen.

Daher halte ich es für verteidigungswert, daß Österreich einmal ein großes Land, eine Doppel-Monarchie gewesen ist, in der alle Platz hatten, in vielen Sprachen, Religionen und Rassen. Ich möchte daher auch in Zukunft verteidigen, daß bei uns alle Platz haben: nicht nur Slowenen und Kroaten, sondern auch Gastarbeiter, Dissidenten und Flüchtlinge. Ich möchte mir nicht nehmen lassen, daß es viel Mut zu anderem gegeben hat, zu Vorausschauendem in Kultur und Wissenschaft.

Ich verstehe daher nicht jene Kleinmutigen, die sich mit anderen Meinungen nicht öffentlich auseinandersetzen getrauen. Ich finde verteidigungswert, daß Österreich eine Demokratie nach westlichem Muster hat. Ich wende mich daher dagegen, daß mir irgendjemand einreden will, daß unsere Neutralität am besten im Niemandsland der Weltpolitik zu schützen ist. Ich finde daher verteidigungswert, daß wir Stellung beziehen, mit Mut, aber auch mit Klugheit, und uns nur jener Probleme annehmen, zu denen wir auch einen Beitrag leisten können, während andere glauben, als Irrläufer der Außenpolitik durch die Gegend hasten zu müssen.

Ich finde es verteidigungswert, daß es Werte gibt und daß man davon auch redet; und ich möchte mir die Sprache zu diesen Werten nicht wegnehmen lassen. Verantwortung ist kein politisches Fremdwort, genausowenig wie Ehre und Wahrheit. Warum zieht niemand die Konsequenzen? Zu konstatieren, daß es da irgendwo Sümpfe und saure Wiesen gibt, nützt nichts, man muß auch Änderungen verlangen.

Ich finde es verteidigungswert, daß es unsere Demokratie gibt und möchte den Jungen zurufen, sie so zu gestalten, wie sie es sich vorstellen, wobei wir Älteren zu respektieren haben, daß nachfolgende Generationen andere Prioritäten haben.

Spätestens an dieser Stelle müßten nach guter alter österreichischer Tradition auch die Lippizaner, Sängerknaben und Oper, die Buntheit der Trachtenkapellen und was sonst noch als Argument für den Föderalismus angeführt wird, stehen. Ich glaube, daß die Verteidigung solcher Institutionen und Eigenschaften dieses Landes dann zum Scheingefecht wird, wenn wir die Voraussetzung nicht verteidigen: selbst etwas zu tun!

Die Rechte, die uns Demokratie und Verfassung zur Verfügung stellen, werden am besten durch ihre Ausübung verteidigt. Wir sind langsam und schleichend daran, sie zu verlieren. Kein Interesse an Wahlen und politischen Auseinandersetzungen, kein Interesse an Gemeinschaften und Vereinen, kein Interesse an sozialem und kulturellem Engagement.

Doch halt! Wenn man etwas tut, und die Aktion „pro wien" hat einiges in der Bundeshauptstadt versucht, dann sieht man, daß es einen äußerst lebendigen „Untergrund" unserer Gemeinschaft gibt. Die Vielfalt der Begabungen wird dann sichtbar und die Bereitschaft zum Engagement ist vorhanden. Ich halte es für verteidigungswert, daß dies möglich wird. Ein System von Bürokratismen, von Überheblichkeit und Arroganz, von Institutionen und Technokratiegläubigkeit überzieht unser Land, wodurch jede Initiative schon im Keim erstickt wird.

Ich halte es für verteidigungswert, daß wir nicht „niederadministriert" werden. Daher verlange ich den Maria-Theresia-Orden für jene, die wider den sogenannten Zeitgeist und die allgemeine Lethargie aktiv werden. Für die stillen Aktiven im Lande, die Bürgerinitiativen zur Verbesserung der Lebensqualität, die nicht gleichgeschaltet im Chor mitheulen, sondern noch Mut haben. Für die, die sich um Kinder und Jugendliche annehmen, nicht weil sie von Amts wegen dazu verpflichtet sind, sondern weil sie es einfach wollen.

Es ist keine besondere Leistung, eine gewisse Anzahl von Jahren einer Regierung anzugehören, oder in einem Amt zu verweilen, wenn man sonst nichts zu tun hat. Was ist aber mit jenen, die außerhalb ihres Berufs aus Neigung und ohne Honorar mit Tapferkeit und ohne Förderung Aufgaben für die Gemeinschaft wahrnehmen? Ich halte es für verteidigungswert, daß solches möglich ist. Denn nur dann wird unser System bestehen.

Der Autor ist Vizebürgermeister der Bundeshauptstadt und Wiener ÖVP-Landespar-teiobmann.

FURCHE und Bildungshaus Wien-Neuwaldegg veranstalten zu diesem Thema die nächste Zeitungsakademie am Freitag, 12. Dezember, von 15 bis 19 Uhr mit LAbg. Wolfgang Petrik, Uta Krammer, Hptm. Rolf Urrisk, Dir. Josef Prüwasser und Redaktionsmitgliedern als „Animatoren". Anmeldungen: Telefon (0222)46 22 220.

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